Ferdinand Kramers Bauwerke im DAM - Das
Repräsentative lag ihm nicht - ein Vorbericht von Stefan Röttele
Ferdinand Kramer, dem Baumeister des
Universitätscampus in Bockenheim, wird eine späte Würdigung
zuteil. Mit dem Deutschen Architekturmuseum widmet sich erstmals
eine Frankfurter Einrichtung seinem Schaffen als Architekt. In
seiner Heimatstadt Frankfurt sind Kramer und seine Bauten 30
Jahre nach seinem Tod wieder sehr aktuell.
Frankfurt am Main (pia) Die alte Uni-Mensa in Bockenheim wird
derzeit für mehrere hundert Flüchtlinge hergerichtet. Ferdinand
Kramer, der Architekt des Gebäudes, hätte sich über diese
Nutzung gefreut, sind Philipp Sturm und Peter Körner sicher. Die
beiden Kuratoren bereiten für das Deutsche Architekturmuseum
(DAM) gerade eine Werkschau des Frankfurter
Universitätsbaumeisters vor. Es ist die erste über seine
Architektur, die in seiner Heimatstadt selbst entsteht. „Kramer
war ein sozialer Mensch“, sagt Sturm. „Und er hat Häuser gebaut,
die vor allem anpassungsfähig sein sollten. Anpassungsfähig an
die Ansprüche, die die Menschen an sie stellten.“
Wie mit dem Erbe umgehen?
Der Architekt (1898-1985), der wegen seiner geraden Linien und
dem schmucklosen Design der funktionalistischen Moderne
zugerechnet wird, ist derzeit wieder sehr aktuell. Seit dem
inzwischen fast abgeschlossenen Umzug der Goethe-Universität auf
den neuen Campus im Westend gibt es in der Stadt eine Diskussion
darüber, wie mit seinem Erbe umzugehen ist. Das
Kulturcampus-Projekt auf dem alten Gelände ist eines der
prestigeträchtigsten Bauvorhaben der Stadt. Noch ist nicht bis
ins letzte Detail ausgemacht, welche Kramer-Bauten einen Platz
darin haben werden. Einige bleiben erhalten, viele sind bereits
verschwunden, auf andere wartet die Abrissbirne.
Keine Vollmacht für den Abriss
Den von Ferdinand Kramer überlieferten und von seinen Gegnern
gerne aufgegriffenen Satz, er baue nur für einen Zeitraum von 30
Jahren, interpretieren die Kuratoren heute nicht als
Blanko-Vollmacht für den Abriss. „Seine Bauten waren ihm
wichtig“, sagt Philipp Sturm, der glaubt, dass der Satz anders
gemeint war. „Vielleicht sah er in ihnen ein Provisorium. Ihm
war bewusst, dass es sich um Nutzbauten handelte und dass
spätere Generationen vielleicht ganz andere Anforderungen daran
stellen würden. Entsprechend variabel baute er.“ Im
Philosophicum, das derzeit von einem Privatinvestor zum
Studentenwohnheim umgestaltet wird, und auch im Pharmazeutikum
sei es zum Beispiel möglich gewesen, auf manchen Stockwerken
sämtliche Wände herauszunehmen und die Größe der Räume so
beliebig zu verändern.
Design für das Neue Frankfurt
Aber noch etwas macht den umstrittenen Architekten heute wieder
aktuell: Frankfurt wächst sehr stark. Es herrscht Mangel an
bezahlbarem Wohnraum. Kramer war in den 1920er-Jahren Mitglied
des Teams um Ernst May, der als Stadtbaurat das Ziel verfolgte,
günstige Wohnungen für tausende in ärmlichen Verhältnissen
lebende Arbeiter zu schaffen. Kramer war damals für das Design
der Inneneinrichtung dieser Wohnungen und Häuser zuständig. Das
Projekt namens „Neues Frankfurt“ erzielte wegen seines sozialen
Anspruchs damals europaweit Aufmerksamkeit, und ein wenig davon
strahlte auch auf Kramer ab. Das Museum für Angewandte Kunst hat
diesen Aspekt von Kramers Schaffen, dem Design, im vergangenen
Jahr mit der Ausstellung „Das Prinzip Kramer“ gewürdigt.
Auch in den 1920ern baute Kramer Häuser, erklärt Philipp Sturm.
Die Laubenganghäuser in der Siedlung Westhausen, die
Schuhmaschinenfabrik am Güterplatz, das Haus Erlenbach in der
Hans-Sachs-Straße, das mit seinem Flachdach für die damalige
Zeit eine Provokation gewesen sei. Zwischenzeitlich wurde sogar
Kramers Baugenehmigung gestoppt, weil die Nachbarn ästhetische
Bedenken geltend machten. Eine Kritik, die bis heute anhält, so
Körner. „Man wirft Kramer immer wieder vor, seine Häuser seien
zu funktional, wenig lebens- und arbeitswert.“
Sozial denkend aber nicht revolutionär
„Er war nie politisch engagiert, aber ganz sicher ein sozial
denkender Charakter“, glaubt Sturm. „Er war eng befreundet mit
Max Horkheimer, dem Rektor der Universität, der Kramer zurück
nach Frankfurt holte. Das Institut für Sozialforschung, dem auch
Theodor W. Adorno angehörte, war damals geschlossen nach New
York ins Exil gegangen, und Kramer kannte die Protagonisten zum
Teil noch aus Zeiten vor dem Krieg.“ Deren Rückkehr nach
Frankfurt war an sich schon eine politische Handlung. Neben der
wissenschaftlichen Beschäftigung mit Holocaust und deutschem
Kulturbruch sollte dann auch das Bauen den demokratischen
Neuanfang nach außen demonstrieren.
Kramer sei aber auch kein Revolutionär gewesen. „Er war immer
misstrauisch und ängstlich, dass sich Strukturen und Hierarchien
ändern könnten. Vermutlich auch wegen der Erfahrung des Exils.“
Die Nationalsozialisten hatten Kramer zwingen wollen, seine
erste Ehefrau, eine Jüdin, zu verlassen. Als er sich weigerte,
wurde ein Berufsverbot gegen ihn verhängt, woraufhin er 1938 in
die USA emigrierte. Es habe ihn zwar gestört, dass so viele
Akteure der Nazi-Zeit auch in der jungen Bundesrepublik an den
Schaltstellen saßen. Dennoch stieß ihn die aufkommende
68er-Bewegung wegen ihrer Schrillheit und ihrer Unordnung ab. Es
gibt die Anekdote, wonach Kramer, der Ordnungsfanatiker gewesen
sein soll, als Rentner über den Campus gegangen ist, um dort
leise Flüche ausstoßend wild aufgehängte Plakate von seinen
Gebäuden zu entfernen.
Drei Schaffensphasen und einige Neuentdeckungen
Die neue DAM-Ausstellung konzentriert sich auf Kramers Bauwerke.
Peter Körner: „Wir zeigen gleichberechtigt nebeneinander die
drei Schaffensphasen: Die 1920er- und 1930er-Jahre, das Exil in
den USA, wo er kaum Fuß fassen konnte, und die 1950er-Jahre als
Baumeister von 23 Universitätsgebäuden.“ Bei ihren Recherchen
haben die Ausstellungsmacher auch einige Entdeckungen gemacht:
ein bereits 1926 erbautes Gästehaus der Frankfurter Universität
im Kleinwalsertal, das wohl ursprünglich für Studienfahrten
errichtet worden war; das Juridicum auf dem Uni-Campus, das
bisher Kramers Nachfolger zugeschrieben wurde; die
Vorlesungsgebäude der Sportuniversität.
Spagat zwischen damals und heute
Die Kuratoren zwingen den Betrachter in der Ausstellung zu einem
Spagat zwischen einer Zeit, in der Kramers Bauten hochmodern
waren, und dem oft tristen Heute. „Natürlich werden die Gebäude
nicht gerade ansehnlicher, wenn sie über Jahre nicht genutzt
werden“, sagt Körner. Ein Teil der alten Geografie an der
Senckenberganlage wurde zugunsten einer Erweiterung der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) abgerissen. An der Stelle
des Instituts für Kernphysik entstehen Wohnungen. Die Kuratoren
sind hin- und hergerissen und auch ein bisschen ratlos. „Nicht
jeder Kramerbau ist von gleicher Qualität. Wie soll man die
Gebäude nach dem Umzug der Uni denn auch nutzen?“, fragt Körner.
Und: „Je länger sie leer stehen, desto unwirtschaftlicher wird
es, sie zu revitalisieren.“ Andererseits gebe es auch Beispiele,
wie man behutsam mit diesem Architekten und seinem Erbe umgehen
könne. Die Umgestaltung des alten Instituts für Pharmazie zum
Biodiversitäts- und Klimaforschungszentrum für Senckenberg sei
ein schönes Beispiel.
Körner ist fasziniert von Kramer. „Er hat ein wahnsinnig großes
Werk hinterlassen. Viele Leute schimpfen über diesen
Architekten, aber ich finde, man muss ihn in den Kontext setzen.
Er hat fast immer mit begrenzten Mitteln gebaut.“ Und wenn
Kramer doch mal mehr Budget hatte? Ja, er habe auch für
Industrielle gebaut. Der Herausgeber und Chefredakteur der
Frankfurter Rundschau, Karl Gerold, habe sich im Tessin von ihm
ein Haus bauen lassen. Wirklich pompös habe aber auch das nicht
ausgesehen. „Auch hier dominierten gerade Linien, eine starke
Ausrichtung auf das Funktionale. Man kann schon sagen: das
Repräsentative lag ihm nicht.“
„Linie, Form, Funktion, Die Bauten von Ferdinand Kramer“ –
Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum vom 28. November
2015 bis 1. Mai 2016. Eröffnung: Freitag, 27. November, 19 Uhr
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