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Peter Behrens
(1868-1940), Salonflügel aus dem Haus Behrens,
Darmstadt, um 1901, Ausführung: Schiedmayer
Pianofortefabrik; Intarsienwerkstatt Wölfel &
Kiessling, Museum für Angewandte Kunst, Köln, Foto:
© Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_d037800_01 |
Die Ausstellung hat sich zur Aufgabe gestellt
den Besucher durch die Neupräsentation der Sammlung
Jugendstil zu begleiten. Damit will das Museum für Kunst und
Gewerbe Hamburg (MKG) eine Epoche nachzeichnen, die weit
mehr hervorbrachte als verspieltes Dekor. Denn Jugendstil
definiert sich über Reformen, Visionen und Utopien, die auf
eine Erneuerung der Gesellschaft ausgerichtet sind.
Die Sonderausstellung beleuchtet diese
kulturhistorischen Hintergründe und Entwicklungen und
schlägt den Bogen von Karl Marx‘ „Kapital“ bis zu Peter
Behrens‘ Salonflügel mit Zitaten aus Friedrich Nietzsches
„Zarathustra“.
Neueinrichtung der Sammlung Jugendstil
Um 1900 stehen in den Kunstgewerbemuseen die Zeichen auf
Neubeginn. Ein neues Konzept markiert den Umbruch vom Museum
als Vorbildersammlung zum Sammlermuseum: statt historisch
wird von nun an zeitgenössisch gesammelt. Einer der
Vorreiter dieses innovativen Typs von Museumskuratoren ist
Justus Brinckmann, der Gründungsdirektor des MKG.
Unter der Vorgabe “eine Auswahl vom Besten unserer Zeit zu
erstehen“, tätigt er auf der Pariser Weltausstellung 1900
umfangreiche Neuerwerbungen vom Möbel bis zum Bucheinband.
Er legt damit den Grundstein für die heute so bedeutende
Jugendstilsammlung des Hauses.
Seine Einrichtung des sogenannten Pariser Saals beruht auf
der Idee, beim Museumsbesucher den „Eindruck einer
bewohnbaren Halle hervorzurufen, wie solche sich etwa ein
Freund oder Sammler neuzeitiger Kunst einrichten möchte.“
Der Pariser Saal steht im Zentrum der Neueinrichtung der
Dauerausstellung. Er ist von diesem historischen Konzept
inspiriert, das sich anhand von Fotografien rekonstruieren
lässt. So können die Besucher nachvollziehen, was es vor
über 100 Jahren bedeutete, zeitgenössisch zu sammeln. Auf
der Pariser Weltausstellung 1900 macht außerdem ein
Tafelaufsatz Furore, den Brinckmann als vollständiges
Ensemble für das Haus erwirbt: das Schärpenspiel des
französischen Bildhauers Agathon Leonard. Im ebenso
repräsentativen wie konservativen Medium des Tafelschmucks
zelebriert er die damals avancierteste Kunstform: den Tanz.
Dieser Tafelaufsatz wird in dem Themenraum Tanz und
Tischkultur erstmals seit langem wieder in seiner
Tischchoreografie erfahrbar.
Wien um 1900
Die österreichische Hauptstadt Wien ist ein weiterer
Kristallisationspunkt der Moderne. Hier gründen Josef
Hoffmann und Koloman Moser 1903 die Wiener
Werkstätte. In deren Arbeitsprogramm heißt es: „Wir wollen
einen innigen Kontakt zwischen Publikum, Entwerfer und
Handwerker herstellen und gutes, einfaches Hausgerät
schaffen. Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit
ist uns erste Bedingung“. Als eine der ersten
Designerkooperativen erkennt die Wiener Werkstätte die
Bedeutung der Marke zur Sicherung des eigenen Marktwertes
und setzt konsequent auf kommerzielle Strukturen sowie eine
Corporate Identity und ein Branding. Dazu gehören auch die
Liebe zum Quadrat als Stilelement sowie die Reduktion auf
die Farben Schwarz und Weiß. Auch das Interieur als Bühne
des Individuums befindet sich im 1900 im Umbruch.
Neues Wohnen
Charles Rennie
Mackintosh, Stuhl für den Argyle Tea Room, Glasgow, 1897,
Eiche, gebeizt, H. 81 cm, B. 60 cm, T. 45 cm
Unter
dem Titel Neues Wohnen und Arbeiten werden zwei Ensembles
zweier deutscher Protagonisten des Jugendstils gezeigt: Auf
der einen Seite Henry van de Velde, der
Künstler-Handwerker, der mit speziell für die Auftraggeber
hergestellten Unikaten arbeitet. Auf der anderen Seite
Richard Riemerschmid, der sich für innovative und
serielle Produktionsformen im Design einsetzt. Wie kein
anderer steht er für die Demokratisierung der Wohnkultur am
Beginn des 20. Jahrhunderts. Dank der großzügigen
Unterstützung der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen
konnte das MKG in den letzten Jahren wichtige Neuerwerbungen
für die Sammlung Jugendstil tätigen, darunter ein Stuhl für
den Argyle Street Tea Room von Charles Rennie
Mackintosh sowie ein Stuhl aus dem berühmten „Schneckenraum“
von Carlo Bugatti. Sie bilden jeweils das Zentrum
zweier weiterer Themenräume: Ästhetisches Kräftemessen und
Glasgow: Tea Room Movement. In Turin
findet 1902 die 1. Internationalen Kunstgewerbeausstellung
statt. Dort profilieren die beiden Künstler durch ihre
eigenwillige Gestaltung. Die Werke beider Künstler
demonstrieren auf ganz unterschiedliche Weise die Suche nach
einer neuen ästhetischen Sprache und Ornamentik am Beginn
des 20. Jahrhunderts.
www.mkg-hamburg.de