bis 07. Februar 2016

Jugendstil. Die große Utopie - Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg - Neueinrichtung der Sammlung

   Meldung: MKG Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg   

Peter Behrens (1868-1940), Salonflügel aus dem Haus Behrens, Darmstadt, um 1901, Ausführung: Schiedmayer Pianofortefabrik; Intarsienwerkstatt Wölfel & Kiessling, Museum für Angewandte Kunst, Köln, Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, rba_d037800_01

Die Ausstellung hat sich zur Aufgabe gestellt den Besucher durch die Neupräsentation der Sammlung Jugendstil zu begleiten. Damit will das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) eine Epoche nachzeichnen, die weit mehr hervorbrachte als verspieltes Dekor. Denn Jugendstil definiert sich über Reformen, Visionen und Utopien, die auf eine Erneuerung der Gesellschaft ausgerichtet sind.

 

 

Die Sonderausstellung beleuchtet diese kulturhistorischen Hintergründe und Entwicklungen und schlägt den Bogen von Karl Marx‘ „Kapital“ bis zu Peter Behrens‘ Salonflügel mit Zitaten aus Friedrich Nietzsches „Zarathustra“.

 

Neueinrichtung der Sammlung Jugendstil

Um 1900 stehen in den Kunstgewerbemuseen die Zeichen auf Neubeginn. Ein neues Konzept markiert den Umbruch vom Museum als Vorbildersammlung zum Sammlermuseum: statt historisch wird von nun an zeitgenössisch gesammelt. Einer der Vorreiter dieses innovativen Typs von Museumskuratoren ist Justus Brinckmann, der Gründungsdirektor des MKG. Unter der Vorgabe “eine Auswahl vom Besten unserer Zeit zu erstehen“, tätigt er auf der Pariser Weltausstellung 1900 umfangreiche Neuerwerbungen vom Möbel bis zum Bucheinband. Er legt damit den Grundstein für die heute so bedeutende Jugendstilsammlung des Hauses.

 

Seine Einrichtung des sogenannten Pariser Saals beruht auf der Idee, beim Museumsbesucher den „Eindruck einer bewohnbaren Halle hervorzurufen, wie solche sich etwa ein Freund oder Sammler neuzeitiger Kunst einrichten möchte.“ Der Pariser Saal steht im Zentrum der Neueinrichtung der Dauerausstellung. Er ist von diesem historischen Konzept inspiriert, das sich anhand von Fotografien rekonstruieren lässt. So können die Besucher nachvollziehen, was es vor über 100 Jahren bedeutete, zeitgenössisch zu sammeln. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 macht außerdem ein Tafelaufsatz Furore, den Brinckmann als vollständiges Ensemble für das Haus erwirbt: das Schärpenspiel des französischen Bildhauers Agathon Leonard. Im ebenso repräsentativen wie konservativen Medium des Tafelschmucks zelebriert er die damals avancierteste Kunstform: den Tanz. Dieser Tafelaufsatz wird in dem Themenraum Tanz und Tischkultur erstmals seit langem wieder in seiner Tischchoreografie erfahrbar.

 

Wien um 1900

Die österreichische Hauptstadt Wien ist ein weiterer Kristallisationspunkt der Moderne. Hier gründen Josef Hoffmann und Koloman Moser 1903 die Wiener Werkstätte. In deren Arbeitsprogramm heißt es: „Wir wollen einen innigen Kontakt zwischen Publikum, Entwerfer und Handwerker herstellen und gutes, einfaches Hausgerät schaffen. Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit ist uns erste Bedingung“. Als eine der ersten Designerkooperativen erkennt die Wiener Werkstätte die Bedeutung der Marke zur Sicherung des eigenen Marktwertes und setzt konsequent auf kommerzielle Strukturen sowie eine Corporate Identity und ein Branding. Dazu gehören auch die Liebe zum Quadrat als Stilelement sowie die Reduktion auf die Farben Schwarz und Weiß. Auch das Interieur als Bühne des Individuums befindet sich im 1900 im Umbruch.

 

 Neues Wohnen

 Charles Rennie Mackintosh, Stuhl für den Argyle Tea Room, Glasgow, 1897, Eiche, gebeizt, H. 81 cm, B. 60 cm, T. 45 cm

Unter dem Titel Neues Wohnen und Arbeiten werden zwei Ensembles zweier deutscher Protagonisten des Jugendstils gezeigt: Auf der einen Seite Henry van de Velde, der Künstler-Handwerker, der mit speziell für die Auftraggeber hergestellten Unikaten arbeitet. Auf der anderen Seite Richard Riemerschmid, der sich für innovative und serielle Produktionsformen im Design einsetzt. Wie kein anderer steht er für die Demokratisierung der Wohnkultur am Beginn des 20. Jahrhunderts. Dank der großzügigen Unterstützung der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen konnte das MKG in den letzten Jahren wichtige Neuerwerbungen für die Sammlung Jugendstil tätigen, darunter ein Stuhl für den Argyle Street Tea Room von Charles Rennie Mackintosh sowie ein Stuhl aus dem berühmten „Schneckenraum“ von Carlo Bugatti. Sie bilden jeweils das Zentrum zweier weiterer Themenräume: Ästhetisches Kräftemessen und Glasgow: Tea Room Movement. In Turin findet 1902 die 1. Internationalen Kunstgewerbeausstellung statt. Dort profilieren die beiden Künstler durch ihre eigenwillige Gestaltung. Die Werke beider Künstler demonstrieren auf ganz unterschiedliche Weise die Suche nach einer neuen ästhetischen Sprache und Ornamentik am Beginn des 20. Jahrhunderts.

 

www.mkg-hamburg.de

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 12. Oktober 2015