Gleiche Vielfache  bis 13. September 2015 im dritten Stock

Gegenwartsarchiv im Saalhofgebäude des Historischen Museum Frankfurt. Künstler und Sammlungserfinder Karsten Bott fast wie zu Hause

Foto (c) Kulturexpress

Dr. Jan Gerchow, Direktor Historisches Museum Frankfurt, links neben Karsten Bott, Sammler und Erfinder des Gegenwartsarchiv

Regale stapeln sich bis unter die Decke wie meist in den Ausstellungen des international Agierenden. Die Liste seiner ausgestellten Orte ist lang und erstreckt sich bis nach China. Sechs Schränke in der Ausstellung sind von ihm selbst entworfen und zusammengebaut. Ursprünglich sollten diese einmal zwischen zwölf Innenraumstützen Platz finden und zählen jetzt zum Inventar der Ausstellungspräsentation.

 

Wohlfein geordnet in vertikaler Linie und von oben nach unten sortiert. In waagrechter Linie ergänzt und thematisch erweitert. So präsentieren sich lauter Gegenstände, die aufgehoben werden wie in einer Puppenstube. Mit viel Liebe geordnet, das muss man dem Künstler schon lassen! Nicht einfach dahingeworfen wie ein Stück Abfall, obwohl die meisten der Fundstücke aus dem Abfall sein dürften. Welche Kriterien Karsten Bott anlegt, um sich für einen Gegenstand zu entscheiden, ist schwer zu sagen. Eine ausgemachte Sammelleidenschaft könnte man ihm jedenfalls attestieren.

 

Alltagsgegenstände teils in Fragmenten erhalten, deren Herkunft ungewiss bleibt. Dann dämmert etwas aus der Erinnerung: Reklamemarken, alte Elektrosachen, Spielzeug, Bücher, Handwagen, Hocker und mehr. Triviales wie Klopapierrollen, eingetrocknete und damit haltbar gemachte Bäckereiwaren. Sachen die kein Mensch mehr anfassen will, stehen in einer Reihe wie Zinnsoldaten. Still und irgendwie erstarrt, denn Geschichten erzählen diese Dinge nicht. Karsten Bott ist kein Geschichtenerzähler, wenn hier und da auch einige Worte fallen, woher ein Gegenstand stammt und wie dieser in die Sammlung gelangt ist. Doch das geschieht eher informell.

 

Es gibt große wissenschaftliche Sammlungen, wie die Reiss-Engelhorn Sammlung, die sich um die Evolutionstheorie von Charles Darwin dreht, wie dies eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn im Jahre 2009 zeigte. Inwieweit das Gegenwartsarchiv der Evolutionstheorie verpflichtet ist, bleibt fraglich. Das Ordnungssystem scheint vordergründig wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, doch tut es das wirklich? Der Sammlungsanspruch liegt in jenen, meist auf der Straße gefundenen, Gegenständen, deren sich der Künstler annimmt, deren er sich erbarmt. Insofern unterliegt die Sammlung gar nicht so sehr einem Ordnungssystem, ist vielmehr die Folge einer andauernden Erweiterung. Das ist eindimensionale Handlungsweise, wenn nicht der künstlerische Impuls eine Rolle spielen würde. Mittlerweile füllen sich schon Speditionshallen und man kann sich fragen, wann das Zeug endlich auf dem Müll landet. Ein innerer Bezug zu den Sachen entsteht nicht, etwa als Fetisch. Dafür sind es einfach zu viele geworden, um diese noch als Erinnerungsstücke wahrzunehmen.

 

Vielleicht steckt etwas wie ein stadtplanerisches Vorhaben dahinter, indem aus Gefundenem eine Konstruktion entwickelt werden soll, die einer bestimmten Struktur folgt und damit auf seine Bewohner und Mitbürger im Umgang mit Alttagsgegenständen Bezug nimmt. Möglich wäre das wenigstens! Hinzu kommt die gesellschaftlich bedingte Auseinandersetzung mit der allseits kritisierten Wegwerfgesellschaft. Aufgebaut ist die Sammlung ja ähnlich einer "Gedenkausstellung gegen das Vergessen".

 

Doch ist dieser Aufwand tatsächlich gerechtfertigt oder verbirgt sich dahinter nur ein scheinbares Anliegen, das früher oder später ins Endlose führt? Gerade im Museum wird danach unterschieden, was von historischem Interesse ist. Diesem Anspruch werden die Gegenstände im Gegenwartsarchiv nicht unbedingt gerecht. Der Bedarf nach gewissenhafter Auswahl und Prüfung wäre notwendig, was vielleicht nicht dem Sammlungsspektrum des Künstlers zuzurechnen ist. Bliebe noch das Gesamtkunstwerk, ein Werk welches der Künstler Karsten Bott selbstbestimmt geschaffen hat und deshalb den Anspruch auf Authentizität und damit auf Zusammenhalt behält.

 

Interessant ist die Beleuchtung im Ausstellungsraum, die im dritten Stock des Saalhofgebäude von oben, von der Decke her nach unten in die Breite geht und aus hintereinander geschalteten grellen Leuchtstoffröhren besteht. Karsten Bott verzichtet bewußt auf Scheinwerfer oder Spots für seine Objektesammlung, um gleichmäßiges Licht herzuleiten. Er verzichtet auch auf Hierarchien, etwa einer Reihenfolge von oben nach unten, was bei den hohen Regalen nahe liegen würde. Lediglich eine Ordnung finden, um Orientierung während der Betrachtung zu haben, das will der Künstler mit seiner Reihenfolge ereichen. Das ist konstruktiver Ansatz und widerspricht dem Beliebigkeitscharakter, der auch möglich wäre. Insofern sind nicht Facetten im Spiel, die willkürlich aufblinken um aufmerksam auf sich zu machen. Ein Gehäuse ähnliches Format wird angestrebt. Aus dieser Motivlage heraus begründet der ehemalige Städelschüler seine künstlerische Intention, der sonst auf einem der selten gewordenen Abenteuerspielplätze in Frankfurt-Sachsenhausen sein Auskommen und damit Umgang mit lernwilligen Kindern hat.
 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 21. April 2015