Bei
den Franzosen gibt es Kunstgattungen, die beinahe ausschließlich
Ausdruck der eigenen Lebensqualität sind, mehr als das sie an den Entwicklungen
der Epoche orientiert
wären. Die Strömungen der Epoche gehen an Boissieu zwar nicht völlig vorüber,
weil er zu Lebzeiten stets auf der Höhe seiner Zeit war. Doch die
Kunstform des aus Lyon stammenden Boissieu ist delikater Natur. Es sind italienische und niederländische Meister,
die Einfluss auf sein Werk ausüben. Das ist für sich schon eine
Besonderheit, denn sowohl in der Kunst der Italiener als auch der Niederländer und deren sinnlicher Wahrnehmung ist
Jean-Jacques de Boissieu (1736 - 1810) gleichermaßen beheimatet gewesen. Boissieu besuchte niemals eine Akademie, sondern lernte Malen und
Zeichnen an einer Bergbauschule, die seine zeichnerischen Fähigkeiten erkannten und
ausbauten.
Der Radierkünstler kopiert Gemälde wie die von Ruisdael und anderen und setzt
diese in Grafiken um. Auch das Werk eines Piranesi wird bei Boissieu
sichtbar, er beherrscht die Helldunkel-Szenerie ebenso schaurig
meisterhaft wie der Italiener auch ohne ihn unmittelbar zu kopieren.
Kopien entstehen nicht um gleichwertiges Ersatzwerk vom Original zu schaffen, sondern um
der Hinweisgeber auf ein
Originalwerk zu sein. Eine Tradition, die schon seit der Renaissance üblich war.
Doch Boissieu bemühte sich manche der Werke in Originalgröße zu
kopieren, ein kleineres Format hätte für die Kopie längst ausgereicht.
Darin verstand sich der Künstler als sehr gewissenhaft. Vielleicht gilt
das als Form der frühen Vernetzung, wenn Werke durch Kopien bekannt
werden. Als extremstes Beispiel dürften Kopien von Heiligenbildern gelten, wobei Boissieu
gar nicht deren religiöse Aussage bezweckte, sondern nur an der
Ausführung des Bildmotivs interessiert war. Die Fotografie als solche existierte noch nicht, die neuen Techniken, die im
19. Jahrhundert aufkamen, waren noch nicht erfunden. Insofern befindet
sich Boissieu genauso wie der Schweizer Maler Caspar Wolf am Scheideweg
einer Entwicklung, die sich aus dem lange währenden Barock heraus anbahnte,
aber noch nicht voll erkannt wurde.
Es sind
Genre-Szenen, wie der Schuhverkäufer oder die Kinder beim Seifenblasen
herstellen, die zu den eigenen Werken des Künstlers zählen. Zum anderen sind es
ausgedehnte Landschaften, die eine parkähnliche Natur zeigen. Das erinnert an andere französische
Maler, die ein Leben lang am gleichen Landschaftsmotiv festhielten und
dieses im Sinne der französischen Lebensart perfektionierten. Von
französischer Revolution ist kaum etwas zu bemerken, obwohl Boissieu
kein Feind der Revolution ist, sondern eigene künstlerische Wege suchte
und sich vor Gefahren der Revolution zu schützen wußte.
Eine Besonderheit zeichnet den Grafiker Boissieu aus, weil dieser von
Museumsgründer Johann Friedrich Städel (1728 - 1816) gesammelt wurde, vielleicht als
Wertanlage oder weil Boissieu zu Lebzeiten als zukunftsträchtiger
Künstler galt, dessen Werke sich gut verkauften. Vielleicht weil
er viele Ansichten zeichnete und Prospekte zu diesen
veröffentlichte und zunehmend an Bekanntheitsgrad gewann.
Aus dem Städel Archiv sind insgesamt 13 Zeichnungen und 83 Radierungen
ausgestellt, die einen bemerkenswerten Einblick in das künstlerische
Schaffen geben. Kuratiert wird die Ausstellung von Dr. Jutta
Schütt, Leiterin Graphische Sammlungen ab 1750.
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