Foto::Schirn Frankfurt a/M, den
09.11.2014 |
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Selten
hat mich eine Neuentdeckung so getroffen wie diese Bildnisse, die voll
von Leben von einer Vergangenheit erzählen, als die Klassische Moderne mit
zahlreichen Strömungen die Welt im Bann hielt. Das Individuum und
das menschliche Dasein bestimmt das Motiv dieser Malerin ein Leben lang.
Typen und Gesichter stammen aus einer Hemisphäre, die selten genug zur
künstlerischen Geltung gelangt, weil das seelische und die Natur
bestimmend ist für die Menschen in Finnland. In Helene Schjerfbeck (1862-1946) verbergen sich all die Namen großer Künstler,
die Anfang des 20. Jahrhunderts Furore gemacht haben. Das Pariser
Modeleben ist ebenso Bestandteil ihres Oeuvres wie das einfache
Schulkind im Profil und aus allen Perspektiven erfasst. Ein Motiv, das
Helene Schjerfbeck immer wieder malte. Es sind finnische Kinder aber
ebenso englische und amerikanische Gesichter auch Erwachsener, die mal im Profil
und mal im Konterfei aus den Bildern auf den Betrachter blicken. Die
Künstlerin zog es nach ausgedehnten Reisen durch Europa und weit davon
entfernt in ein einsames Leben in Finnland zurück, um sich der Malerei
zu widmen. Dafür war sie bekannt, für den konsequenten Rückzug aus der
Gesellschaft in ein Dasein, das sich der Häuslichkeit widmet in
heimatlicher Verbundenheit. Trotzdem blieb sie die Künstlerin, die ein
Leben lang weiter schaffte und sich in den Phasen ihres Lebens
konsequent weiter entwickelte. Anfänglich fertigte sie Kopien von El Greco, Frans Hals und
Velazquez an. Sie wäre eine hervorragende Kopistin geworden. Sie ist
eine hervorragende Kopistin.
Nicht viel ist bisher von ihr an die Öffentlichkeit gedrungen, dennoch
haben ganz unvermutet einzelne ihrer Werke ohne die Namensnennung
genauer zu beachten einiges an Bekanntheit durch
Vervielfältigung im Kunstdruck und aus Abbildungen in Kalendern erhalten. Ein
solches Bild ist: Schulmädchen II, Öl auf Leinwand aus dem Jahre 1908
im Format: 71 x 40,5 cm.
Zu
sehen ist ein schwarz gekleidetes Mädchen im Profil, das in voller
Körperstatur abgebildet ist. Der Blick ist nach rechts gerichtet. Die
Augen wirken ein wenig schläfrig, als wenn das Sandmännchen gerade erst
da gewesen sei, doch mehr ist nicht zu erkennen. Die feinen Hände sind
nach innen gekehrt. Dennoch steht das Mädchen im Mittelpunkt des
Geschehens, als wenn ein Lehrer, nicht sichtbar im Bild, vor ihr steht
und sie ermahnt oder aufruft. Auf dem Fußboden vor ihr grenzt sich eine kreisförmige
Aufhellung ab, die wie ein Lichtspot von oben einen Schattenwurf nach
links erzeugt, also hinter das Schulmädchen fällt und in einer
Linie zur Blickrichtung steht. Die Wirbelsäule des Kindes ist aufrecht,
fast kerzengerade ragt die Figur hinauf. Die Haarfarbe ist
blond bis hellblond und hinten zu einem Zopf gebunden, der beinahe unsichtbar am Rücken
auf dem schwarzen Kleid des Kindes verschwindet. Das Gesäß ist kaum zu bestimmen, was die Jugendlichkeit betont. Die Schuhe sind
leicht auseinandergedehnt spitz nach vorne gerichtet. Leichte
Abstufungen am Schnitt des Kleides lassen eine Oberhälfte, einen Mittelteil und
ein Unterteil vermuten. Die Umgebung wird durch erdfarbene Brauntöne
bestimmt. Hals und Kragen wirken zugeknöpft. Das Kinn des Mädchens ist
abgerundet. Nase und Stirn verlaufen kindlich. Das Ohr sitzt leicht
angerückt immer noch an der richtigen Stelle, um dem Gesicht seine
Dynamik in Blickrichtung zu geben. Andere Studien in ähnlicher Positur
bestätigen das Bildmotiv,
welches Helene Schjerfbeck hier wählte
beim
Malen des Bildes.
Obwohl
das Mädchen schwarz, wenn nicht pechschwarz gekleidet ist, verzichtet
die Künstlerin fast völlig auf Konturen. Stattdessen verwendet sie die
Abgrenzung der Farbräume in einem Hell-und-Dunkel Takt, um das
Figürliche hervorzuheben. Das wirkt manchmal etwas holzschnitzerartig, was im
Ganzen betrachtet sehr aufregend ist, weil sich fast stufenförmig das
Bildmotiv vor den Augen des Betrachters in sämtlichen Farbräumen
aufbaut.
Beeindruckend sind auch die Mannsbilder, die sie malte. Meist halbnackte
maskuline Körper, wobei die künstlerische Intention stets lebendig
bleibt. Das Pulsieren der Halsschlagader lebt bis Kopf hinauf im Bild
"Der Segler". Der Gesichtsausdruck bleibt trotz männlicher Härte aber freundlich
gestimmt.
Ganz stark auch die Selbstportraits der Künstlerin in jungen Jahren, wobei die
Altersportraits eine ganz eigene Kategorie bilden, die in ihrer
drastischen Schilderung nicht mehr viel mit den sinnlichen Jugendbildern
zu tun haben. Helene Schjerfbeck ist eine großartige Künstlerin und eine
Entdeckung die ihresgleichen in der modernen Kunstwelt sucht.
Zur Ausstellung ist ein 168seitiger broschierter Katalog aus dem Kerber
Verlag erschienen. Darin sind ganzseitige Abbildungen der vielen
Portraits. Die Abbildungen veranschaulichen einmal mehr wie diese Bilder
Schjerfbecks im Grunde aufgebaut sind. Viele sind flächig und
skizzenhaft angelegt. Das Schemenhafte bestimmt auch das Alterswerk,
während Schjerfbeck in jungen Jahren eher naturalistisch malte. Die
Monografie aus dem Kerber Verlag stellt die finnische Künstlerin in mehr
als 80 eindrucksvollen Arbeiten aus allen Schaffensphasen vor.
Während in der Ausstellung zuerst Arbeiten überraschen, die im vorderen
hohen Raum nebeneinander aufgereiht hängen und im Langhaus der Schirn
auch übereinander in sogenannter "Petersburger Hängung". Für den
der Schjerfbeck noch nicht im Original gesehen hat, ist der
Überraschungseffekt gelungen.
Helene Schjerfbeck (1862-1946) ist die prominenteste
Künstlerin Finnlands, ihr Werk von epochaler Bedeutung. Die Anerkennung
von Schjerfbecks Porträtkunst ist in Skandinavien allgegenwärtig – nicht
zuletzt auch als Reproduktion auf der finnischen Zwei-Euro-Münze. Die
Künstlerin wird als nationale Ikone verehrt. Die Monografie bietet einen
Überblick über das Œuvre der Malerin von den realistischen Anfängen der
1880er-Jahre bis zu den späten, stark abstrahierenden Selbstporträts der
1940er-Jahre.
Helene
Schjerfbeck
Herausgegeben von Carolin Köchling und Max Hollein.
Vorwort von Max Hollein, Essays von Anna-Maria von Bonsdorff, Carolin
Köchling, Riitta Konttinen, Marja Lahelma, Abigail Solomon-Godeau.
Dt. sowie Engl. Ausgabe, 168 Seiten, 102 Abbildungen, 31,5 x 22 cm
(Hochformat), Broschüre mit Umschlag (Siebdruck); Gestaltung
BankerWessel,
Kerber Verlag, 1. Auflage, Bielefeld, Berlin 2014
broschiert, 168 Seiten
ISBN 978-3-7356-0009-7 (deutsche Ausgabe)
ISBN 978-3-7356-0010-3 (englische Ausgabe)
Kerber Verlag
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