2. Oktober 2014 – 11. Januar 2015

Helene Schjerfbeck begeistert die Kunst in der Frankfurter Schirn mit ungewöhnlichen Portraits und Bilder über das existentielle Dasein

Foto::Schirn Frankfurt a/M, den 09.11.2014

Selten hat mich eine Neuentdeckung so getroffen wie diese Bildnisse, die voll von Leben von einer Vergangenheit erzählen, als die Klassische Moderne mit zahlreichen Strömungen die Welt im Bann hielt. Das Individuum und das menschliche Dasein bestimmt das Motiv dieser Malerin ein Leben lang. Typen und Gesichter stammen aus einer Hemisphäre, die selten genug zur künstlerischen Geltung gelangt, weil das seelische und die Natur bestimmend ist für die Menschen in Finnland.  In Helene Schjerfbeck (1862-1946) verbergen sich all die Namen großer Künstler, die Anfang des 20. Jahrhunderts Furore gemacht haben. Das Pariser Modeleben ist ebenso Bestandteil ihres Oeuvres wie das einfache Schulkind im Profil und aus allen Perspektiven erfasst. Ein Motiv, das Helene Schjerfbeck immer wieder malte. Es sind finnische Kinder aber ebenso englische und amerikanische Gesichter auch Erwachsener, die mal im Profil und mal im Konterfei aus den Bildern auf den Betrachter blicken. Die Künstlerin zog es nach ausgedehnten Reisen durch Europa und weit davon entfernt in ein einsames Leben in Finnland zurück, um sich der Malerei zu widmen. Dafür war sie bekannt, für den konsequenten Rückzug aus der Gesellschaft in ein Dasein, das sich der Häuslichkeit widmet in heimatlicher Verbundenheit. Trotzdem blieb sie die Künstlerin, die ein Leben lang weiter schaffte und sich in den Phasen ihres Lebens konsequent weiter entwickelte. Anfänglich fertigte sie Kopien von El Greco, Frans Hals und Velazquez an. Sie wäre eine hervorragende Kopistin geworden. Sie ist eine hervorragende Kopistin.

 

Nicht viel ist bisher von ihr an die Öffentlichkeit gedrungen, dennoch haben ganz unvermutet einzelne ihrer Werke ohne die Namensnennung genauer zu beachten einiges an Bekanntheit durch Vervielfältigung im Kunstdruck und aus Abbildungen in Kalendern erhalten. Ein solches Bild ist: Schulmädchen II, Öl auf Leinwand aus dem Jahre 1908 im Format: 71 x 40,5 cm.

 

Zu sehen ist ein schwarz gekleidetes Mädchen im Profil, das in voller Körperstatur abgebildet ist. Der Blick ist nach rechts gerichtet. Die Augen wirken ein wenig schläfrig, als wenn das Sandmännchen gerade erst da gewesen sei, doch mehr ist nicht zu erkennen. Die feinen Hände sind nach innen gekehrt. Dennoch steht das Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens, als wenn ein Lehrer, nicht sichtbar im Bild, vor ihr steht und sie ermahnt oder aufruft. Auf dem Fußboden vor ihr grenzt sich eine kreisförmige Aufhellung ab, die wie ein Lichtspot von oben einen Schattenwurf nach links erzeugt, also hinter das Schulmädchen fällt und in einer Linie zur Blickrichtung steht. Die Wirbelsäule des Kindes ist aufrecht, fast kerzengerade ragt die Figur hinauf. Die Haarfarbe ist blond bis hellblond und hinten zu einem Zopf gebunden, der beinahe unsichtbar am Rücken auf dem schwarzen Kleid des Kindes verschwindet. Das Gesäß ist kaum zu bestimmen, was die Jugendlichkeit betont. Die Schuhe sind leicht auseinandergedehnt spitz nach vorne gerichtet. Leichte Abstufungen am Schnitt des Kleides lassen eine Oberhälfte, einen Mittelteil und ein Unterteil vermuten. Die Umgebung wird durch erdfarbene Brauntöne bestimmt. Hals und Kragen wirken zugeknöpft. Das Kinn des Mädchens ist abgerundet. Nase und Stirn verlaufen kindlich. Das Ohr sitzt leicht angerückt immer noch an der richtigen Stelle, um dem Gesicht seine Dynamik in Blickrichtung zu geben. Andere Studien in ähnlicher Positur bestätigen das Bildmotiv, welches Helene Schjerfbeck hier wählte beim Malen des Bildes.

 

Obwohl das Mädchen schwarz, wenn nicht pechschwarz gekleidet ist, verzichtet die Künstlerin fast völlig auf Konturen. Stattdessen verwendet sie die Abgrenzung der Farbräume in einem Hell-und-Dunkel Takt, um das Figürliche hervorzuheben. Das wirkt manchmal etwas holzschnitzerartig, was im Ganzen betrachtet sehr aufregend ist, weil sich fast stufenförmig das Bildmotiv vor den Augen des Betrachters in sämtlichen Farbräumen aufbaut.              

 

Beeindruckend sind auch die Mannsbilder, die sie malte. Meist halbnackte maskuline Körper, wobei die künstlerische Intention stets lebendig bleibt. Das Pulsieren der Halsschlagader lebt bis Kopf hinauf im Bild "Der Segler". Der Gesichtsausdruck bleibt trotz männlicher Härte aber freundlich gestimmt.
 

Ganz stark auch die Selbstportraits der Künstlerin in jungen Jahren, wobei die Altersportraits eine ganz eigene Kategorie bilden, die in ihrer drastischen Schilderung nicht mehr viel mit den sinnlichen Jugendbildern zu tun haben. Helene Schjerfbeck ist eine großartige Künstlerin und eine Entdeckung die ihresgleichen in der modernen Kunstwelt sucht.

 

Zur Ausstellung ist ein 168seitiger broschierter Katalog aus dem Kerber Verlag erschienen. Darin sind ganzseitige Abbildungen der vielen Portraits. Die Abbildungen veranschaulichen einmal mehr wie diese Bilder Schjerfbecks im Grunde aufgebaut sind. Viele sind flächig und skizzenhaft angelegt. Das Schemenhafte bestimmt auch das Alterswerk, während Schjerfbeck in jungen Jahren eher naturalistisch malte. Die Monografie aus dem Kerber Verlag stellt die finnische Künstlerin in mehr als 80 eindrucksvollen Arbeiten aus allen Schaffensphasen vor.

 

Während in der Ausstellung zuerst Arbeiten überraschen, die im vorderen hohen Raum nebeneinander aufgereiht hängen und im Langhaus der Schirn auch übereinander in sogenannter "Petersburger Hängung".  Für den der Schjerfbeck noch nicht im Original gesehen hat, ist der Überraschungseffekt gelungen.

 

Helene Schjerfbeck (1862-1946) ist die prominenteste Künstlerin Finnlands, ihr Werk von epochaler Bedeutung. Die Anerkennung von Schjerfbecks Porträtkunst ist in Skandinavien allgegenwärtig – nicht zuletzt auch als Reproduktion auf der finnischen Zwei-Euro-Münze. Die Künstlerin wird als nationale Ikone verehrt. Die Monografie bietet einen Überblick über das Œuvre der Malerin von den realistischen Anfängen der 1880er-Jahre bis zu den späten, stark abstrahierenden Selbstporträts der 1940er-Jahre.

 

Helene Schjerfbeck

Herausgegeben von Carolin Köchling und Max Hollein.
Vorwort von Max Hollein, Essays von Anna-Maria von Bonsdorff, Carolin Köchling, Riitta Konttinen, Marja Lahelma, Abigail Solomon-Godeau.
Dt. sowie Engl. Ausgabe, 168 Seiten, 102 Abbildungen, 31,5 x 22 cm (Hochformat), Broschüre mit Umschlag (Siebdruck); Gestaltung BankerWessel,

Kerber Verlag, 1. Auflage, Bielefeld, Berlin 2014

broschiert, 168 Seiten

ISBN 978-3-7356-0009-7 (deutsche Ausgabe)

ISBN 978-3-7356-0010-3 (englische Ausgabe)

Kerber Verlag

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 09. November 2014