Mathematikum Gießen bis 11. Mai 2014

 Ecken und Kanten - europäisch

  4 Künstler 150 mathematische Überraschungen

   Foto: © Kulturexpress

Aus Edelstahlblech „gestrahlte“ Würfel, aus Papier und Kunststoff gefaltete Sterne oder 3D-gedruckte und feingliedrig ausgestanzte Pyramiden haben eine eigenartige Wirkung auf den Betrachter. Die Faszination ist unbeschreiblich. Von mehreren Seiten sind die Einzelstücke begehbar, immer wieder entstehen neue Einsichten, einmal von vorne, von der Seite wie von hinten und von oben. Vielleicht wäre die Wirkung noch deutlicher, wenn in der Ausstellung an passender Stelle Spiegel angebracht wären, um die Brechung der Objekte zu erzeugen oder diese durch ihr Abbild zu vervielfältigen. Zu viel der Serialität führt jedoch zur Überforderung beim Betrachter. Hier fühlt sich das Mathematikum seinem jungen Publikum verpflichtet, das lernbedürftig ist. Denn schnell werden Formen unbegreifbar schwierig, entgleiten dem Erkenntnisgrad des jungen Bewußtseins und werden dadurch unerreichbar für die Kognition.

 

 

Solche Objekte üben dann oftmals eine magische Kraft aus. Grund dafür ist die innewohnende strenge Symmetrie. An sich perfekt geschlossene Systeme die in der Natur nicht ohne weiteres vorkommen, sondern auf menschlicher Ideenvielfalt beruhen. Solche Formen finden sich vielleicht in mikroskopisch kleinen Strukturen wieder, wo sie in kristalliner Form wie Bausteine einer molekularen Verbindung herausgebildet sind. Ähnliche Formen finden sich immer wieder auch in der Vielfalt von Weihnachtsschmuck. Andere könnten Blütenformen aus der Natur sein. Ein Garten Eden symmetrischer Formen der sich vor den Augen des Betrachters offenbart. Wandtafeln mit Leonardo da Vincis erhöhten Polyedern finden sich an den Außenwänden zwischen den Fenstern im Ausstellungsraum. Ebenso wird Bezug auf M. C. Eschers Metamorphosen genommen, die aus einem Quadrat entwickelt unterschiedliche sogar organische Formen annehmen können. Begleitung minimalistischer Musik von Mike Oldfield oder Werken der Minimal Music von Phil Glass, Steve Reich oder John Cage ließen dieser Wirkung, einer ins hypnotische oder ins psychedelische hinein reichenden Steigerung widerfahren.

 

Doch mit alledem haben die Ausstellungsstücke im Mathematikum reichlich wenig zu tun. Vier Künstler haben sich fachmännisch an die Arbeit gemacht, um streng geometrische Figuren, Geflechte, Strukturen oder Objekte zu entwerfen und auszuarbeiten. Manche scheinen industriell gefertigt, deren Machart ist nicht gleich erschließbar. Der Katalog zur Ausstellung gibt Auskunft. Die Materialien sind unterschiedlich geartet. Dienen unterschiedlichen Zwecken. Die Ergebnisse stehen jedoch in Bezug zueinander, was vielleicht nur über die Mathematik erklärbar bleibt. Das käme dem didaktischen Anspruch des Ausstellungs- und Projekthauses in der Bahnhofstraße in Gießen nur entgegen.

 

Mathematikum Gießen - Ecken und Kanten - europäisch (26 Bilder)

 

 

Aus dem Katalog heißt es: "Die ersten und höchstsymmetrischen uniformen Polyeder sind die Platonischen Körper. Sie bestehen jeweils aus nur einer Art von Fläche nämlich aus regelmäßigen Dreiecken, Quadraten oder Fünfecken. Die nächste Phase sind die Archimedischen Körper, die jeweils aus zwei oder drei unterschiedlichen Flächenarten aufgebaut sind."  Die weitere Verfeinerung sind Dodekaeder wie Stern-Dodekaeder die sogenannten Kepler-Poinsot-Körper, bei denen sich die Flächen gegenseitig durchdringen. Es ist auch möglich, Dekagramme nur über Quadrate zu verknüpfen, wie im Großen Rhombendodekaeder, der aus 12 Dekagrammen und 30 Quadraten besteht.

 

Rinus Roelofs (geb. 1954 in Sleen, Niederlande) einer der vier Künstler, hat Mathematik in Twente studiert und gibt an, dass er für seine Skizzen überwiegend den Computer verwendet. Danach entscheidet sich deren physische Realisierung. Vorlage ist zunächst ein Rendering, eine Animation oder ein 3D-Modell. Roelofs Objekte sind die aus Papier geformten Polyeder. www.rinusroelofs.nl

 

Friedhelm Kürpig (geb. 1942 in Düsseldorf) der Architekt und Modellbauer arbeitet dagegen mit blanken Metallflächen aus Edelstahl oder Aluminium, die mit Zentimeter Abstand parallel aneinandergesetzt eine Würfelform oder ein Polyeder ergeben. Diese Form der Bearbeitung wirkt manchmal wegen der metallischen Oberfläche wie aus industriell gefertigter Produktion. Im Vordergrund Kürpigs stehen jedoch didaktische Beweggründe. Eine ausgestellte Metallstele besteht aus sieben halben Oktaederstümpfen, zwölf Halbwürfeln mit Sechseck als Schnittfigur und acht Kuboktaedern ebenfalls als Sechseck mit Schnittfigur. Höhe der Skulptur ist 50 cm. www.kürpig.de

 

Ulrich Mikloweit (geb. 1954 in Haltern am See) ist Chemiker. www.polyedergarten.de

 

Ueli Wirtof (geb. 1943 in Zürich) Besuch der Waldorfschule ist ebenfalls Chemiker von Beruf. Arbeitete aber auch als Entwurfsarchitekt und entwickelte ein System zum Bau von geometrischen Körpern. www.geometricdesign.ch

 

Organisiert und kuratiert wird die Ausstellung von Laila Samuel aus Göttingen, Sabrina Schneider sowie Albrecht Beutelspacher. 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 22. April 2014