Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929)
Reitergeschichte Erzählung
aus dem Jahre 1899
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Den 22.
Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verließ ein Streifkommando, die zweite
Eskadron von Wallmodenkürassieren, Rittmeister Baron Rofrano mit 107
Reitern, das Kasino San Alessandro und ritt gegen Mailand. Über der
freien, glänzenden Landschaft lag eine unbeschreibliche Stille; von den
Gipfeln der fernen Berge stiegen Morgenwolken wie stille Rauchwolken
gegen den leuchtenden Himmel; der Mais stand regungslos, und zwischen
Baumgruppen, die aussahen, wie gewaschen, glänzten Landhäuser und
Kirchen her. Kaum hatte das Streifkommando die äußerste Vorpostenlinie
der eigenen Armee etwa um eine Meile hinter sich gelassen, als zwischen
den Maisfeldern Waffen aufblitzten und die Avantgarde feindliche
Fußtruppen meldete. Die Schwadron formierte sich neben der Landstraße
zur Attacke, wurde von eigentümlich lauten, fast miauenden Kugeln
überschwirrt, attackierte querfeldein und trieb einen Trupp
ungleichmäßig bewaffneter Menschen wie die Wachteln vor sich her. Es
waren Leute der Legion Manaras, mit sonderbaren Kopfbedeckungen. Die
Gefangenen wurden einem Korporal und acht Gemeinen übergeben und nach
rückwärts geschickt. Vor einer schönen Villa, deren Zufahrt uralte
Zypressen frankierten, meldete die Avantgarde verdächtige Gestalten. Der
Wachtmeister Anton Lerch saß ab, nahm zwölf mit Karabinern bewaffnete
Leute, umstellte die Fenster und nahm achtzehn Studenten der Pisaner
Legion gefangen, wohlerzogene und hübsche junge Leute mit weißen Händen
und halblangem Haar. Eine halbe Stunde später hob die Schwadron einen
Mann auf, der in der Tracht eines Bergamasken vorüberging und durch sein
allzu harmloses und unscheinbares Auftreten verdächtig wurde. Der Mann
trug im Rockfutter eingenäht die wichtigsten Detailpläne, die Errichtung
von Freikorps in den Giudikarien und deren Kooperation mit der
piemontesischen Armee betreffend. Gegen 10 Uhr vormittags fiel dem
Streifkommando eine Herde Vieh in die Hände. Unmittelbar nachher stellte
sich ihr ein starker feindlicher Trupp entgegen und beschoß die
Avantgarde von einer Friedhofsmauer aus. Der Tete-Zug des Leutnants
Grafen Trautsohn übersprang die niedrige Mauer und hieb zwischen den
Gräbern auf die ganz verwirrten Feindlichen ein, von denen ein großer
Teil in die Kirche und von dort durch die Sakristeitür in ein dichtes
Gehölz sich rettete. Die siebenundzwanzig neuen Gefangenen meldeten sich
als neapolitanische Freischaren unter päpstlichen Offizieren. Die
Schwadron hatte einen Toten. Einer das Gehölz umreitenden Rotte,
bestehend aus dem Gefreiten Wotrubek und den Dragonern Holl und Haindl,
fiel eine mit zwei Ackergäulen bespannte leichte Haubitze in die Hände,
indem sie auf die Bedeckung einhieben und die Gäule am Kopfzeug packten
und umwendeten. Der Gefreite Wotrubek wurde als leicht verwundet mit der
Meldung der bestandenen Gefechte und anderer Glücksfälle ins
Hauptquartier zurückgeschickt, die Gefangenen gleichfalls nach rückwärts
transportiert, die Haubitze aber von der nach abgegebener Eskorte noch
78 Reiter zählenden Eskadron mitgenommen.
Nachdem laut übereinstimmender Aussagen der verschiedenen Gefangenen die
Stadt Mailand von den feindlichen sowohl regulären als irregulären
Truppen vollständig verlassen, auch von allem Geschütz und Kriegsvorrat
entblößt war, konnte der Rittmeister sich selbst und der Schwadron nicht
versagen, in diese große und schöne, wehrlos daliegende Stadt
einzureiten. Unter dem Geläute der Mittagsglocken, der Generalmarsch von
den vier Trompeten hinaufgeschmettert in den stählern funkelnden Himmel,
an tausend Fenstern hinklirrend und zurückgeblitzt auf achtundsiebzig
Kürasse, achtundsiebzig aufgestemmte nackte Klingen; Straße rechts,
Straße links, wie ein aufgewühlter Ameishaufen sich füllend mit
staunenden Gesichtern; fluchende und erbleichende Gestalten hinter
Haustoren verschwindend, verschlafene Fenster aufgerissen von den
entblößtem Armen schöner Unbekannter; vorbei an San Babila, an San
Fedele, an San Carlo, am weltberühmten marmornen Dom, an San Satiro, San
Giorgio, San Lorenzo, San Eustorgio; deren uralte Erztore alle sich
auftuend und unter Kerzenschein und Weihrauchqualm silberne Heilige und
brokatgekleidete strahlenäugige Frauen hervorwinkend; aus tausend
Dachkammern, dunklen Torbogen, niedrigen Butiken Schüsse zu gewärtigen,
und immer wieder nur halbwüchsige Mädchen und Buben, die weißen Zähne
und dunklen Haare zeigend; vom trabenden Pferde herab funkelnden Auges
auf alles dies hervorblickend aus einer Larve von blutbesprengtem Staub;
zur Porta Venezia hinein, zur Porta Ticinese wieder hinaus: so ritt die
schöne Schwadron durch Mailand.
Nicht weit vom letztgenannten Stadttor, wo sich ein mit hübschen
Platanen bewachsenes Glaçis erstreckte, glaubte der Wachtmeister Anton
Lerch am ebenerdigen Fenster eines neugebauten hellgelben Hauses ein ihm
bekanntes weibliches Gesicht zu sehen. Neugierde bewog ihn, sich im
Sattel umzuwenden, und da er gleichzeitig aus einigen steifen Tritten
seines Pferdes vermutete, es hätte in eines der vorderen Eisen einen
Straßenstein eingetreten, er auch an der Queue der Eskadron ritt und
ohne Störung aus dem Gliede konnte, so bewog ihn alles dies zusammen,
abzusitzen, und zwar nachdem er geradezu das Vorderteil seines Pferdes
in den Flur des betreffenden Hauses gelenkt hatte. Kaum hatte er hier
den zweiten weißgestiefelten Vorderfuß seines Braunen in die Höhe
gehoben, um den Huf zu prüfen, als wirklich eine aus dem Innern des
Hauses ganz vorne in den Flur mündende Zimmertür aufging und in einem
etwas zerstörten Morgenanzug eine üppige, beinahe noch junge Frau
sichtbar wurde, hinter ihr aber ein helles Zimmer mit Gartenfenstern,
worauf ein paar Töpfchen Basilikum und rote Pelargonien, ferner mit
einem Mahagonischrank und einer mythologischen Gruppe aus Biskuit dem
Wachtmeister sich zeigte, während seinem scharfen Blick noch
gleichzeitig in einem Pfeilerspiegel die Gegenwand des Zimmers sich
verriet, ausgefüllt von einem großen weißen Bette und einer Tapetentür,
durch welche sich ein beleibter, vollständig rasierter älterer Mann im
Augenblicke zurückzog.
Indem aber dem Wachtmeister der Name der Frau einfiel und gleichzeitig
eine Menge anderes: daß es die Witwe oder geschiedene Frau eines
kroatischen Rechnungsunteroffiziers war, daß er mit ihr vor neun oder
zehn Jahren in Wien in Gesellschaft eines anderen, ihres damaligen
eigentlichen Liebhabers, einige Abende und halbe Nächte verbracht hatte,
suchte er nun mit den Augen unter ihrer jetzigen Fülle die damalige
üppig-magere Gestalt wieder hervorzuziehen. Die Dastehende aber lächelte
ihn in einer halb geschmeichelten slawischen Weise an, die ihm das Blut
in den starken Hals und unter die Augen trieb, während eine gewisse
gezierte Manier, mit der sie ihn anredete, sowie auch der Morgenanzug
und die Zimmereinrichtung ihn einschüchterten. Im Augenblick aber,
während er mit etwas schwerfälligem Blick einer großen Fliege nachsah,
die über den Haarkamm der Frau lief, und äußerlich auf nichts achtete,
als wie er seine Hand, diese Fliege zu scheuchen, sogleich auf den
weißen, warm und kühlen Nacken legen würde, erfüllte ihn das Bewußtsein
der heute bestandenen Gefechte und anderer Glücksfälle von oben bis
unten, so daß er ihren Kopf mit schwerer Hand nach vorwärts drückte und
dazu sagte: »Vuic«, – diesen ihren Namen hatte er gewiß seit 10 Jahren
nicht wieder in den Mund genommen und ihren Taufnamen vollständig
vergessen – »in acht Tagen rücken wir ein, und dann wird das da mein
Quartier«, auf die halb offene Zimmertür deutend. Unter dem hörte er im
Hause mehrfach Türen zuschlagen, fühlte sich von seinem Pferde, zuerst
durch stummes Zerren am Zaum, dann, indem es laut den anderen
nachwieherte, fortgedrängt, saß auf und trabte der Schwadron nach, ohne
von der Vuic eine andere Antwort als ein verlegenes Lachen mit in den
Nacken gezogenem Kopf mitzunehmen. Das ausgesprochene Wort aber machte
seine Gewalt geltend. Seitwärts der Rottenkolonne, einen nicht mehr
frischen Schritt reitend, unter der schweren metallischen Glut des
Himmels, den Blick in der mitwandernden Staubwolke verfangen, lebte sich
der Wachtmeister immer mehr in das Zimmer mit den Mahagonimöbeln und den
Basilikumtöpfen hinein und zugleich in eine Zivilatmosphäre, durch
welche doch das Kriegsmäßige durchschimmerte, eine Atmosphäre von
Behaglichkeit und angenehmer Gewalttätigkeit ohne Dienstverhältnis, eine
Existenz in Hausschuhen, den Korb des Säbels durch die linke Tasche des
Schlafrockes durchgesteckt. Der rasierte, beleibte Mann, der durch die
Tapetentür verschwunden war, ein Mittelding zwischen Geistlichem und
pensioniertem Kammerdiener, spielte darin eine bedeutende Rolle, fast
mehr noch als das schöne breite Bett und die feine weiße Haut der Vuic.
Der Rasierte nahm bald die Stelle eines vertraulich behandelten, etwas
unterwürfigen Freundes ein, der Hoftratsch erzählte, Tabak und Kapaunen
brachte, bald wurde er an die Wand gedrückt, mußte Schweigegelder
zahlen, stand mit allen möglichen Umtrieben in Verbindung, war
piemontesischer Vertrauter, päpstlicher Koch, Kuppler, Besitzer
verdächtiger Häuser mit dunklen Gartensälen für politische
Zusammenkünfte, und wuchs zu einer schwammigen Riesengestalt, der man an
zwanzig Stellen Spundlöcher in den Leib schlagen und statt Blut Gold
abzapfen konnte.
Dem Streifkommando begegnete in den Nachmittagsstunden nichts Neues und
die Träumereien des Wachtmeisters erfuhren keine Hemmungen. Aber in ihm
war ein Durst nach unerwartetem Erwerb, nach Gratifikationen, nach
plötzlich in die Tasche fallenden Dukaten rege geworden. Denn der
Gedanke an das bevorstehende erste Eintreten in das Zimmer mit den
Mahagonimöbeln war der Splitter im Fleisch, um den herum alles von
Wünschen und Begierden schwärte.
Als nun gegen Abend das Streifkommando mit gefütterten und halbwegs
ausgerasteten Pferden in einem Bogen gegen Lodi und die Addabrücke
vorzudringen suchte, wo denn doch Fühlung mit dem Feind sehr zu
gewärtigen war, schien dem Wachtmeister ein von der Landstraße
abliegendes Dorf, mit halbverfallenem Glockenturm in einer dunkelnden
Mulde gelagert, auf verlockende Weise verdächtig, so daß er, die
Gemeinen Holl und Scarmolin zu sich winkend, mit diesen beiden vom
Marsche der Eskadron seitlich abbog und in dem Dorfe geradezu einen
feindlichen General mit geringer Bedeckung zu überraschen und
anzugreifen oder anderswie ein ganz außerordentliches Prämium zu
verdienen hoffte, so aufgeregt war seine Einbildung. Vor dem elenden,
scheinbar verödeten Nest angelangt, befahl er dem Scarmolin links, dem
Holl rechts die Häuser außen zu umreiten, während er selbst, Pistole in
der Faust, die Straße durchzugaloppieren sich anschickte, bald aber,
harte Steinplatten unter sich fühlend, auf welchen noch dazu irgendein
glitschiges Fett ausgegossen war, sein Pferd im Schritt parieren mußte.
Das Dorf blieb totenstill; kein Kind, kein Vogel, kein Lufthauch. Rechts
und links standen schmutzige kleine Häuser, von deren Wänden der Mörtel
abgefallen war; auf den nackten Ziegeln war hie und da etwas Häßliches
mit Kohle gezeichnet; zwischen bloßgelegten Türpfosten ins Innere
schauend, sah der Wachtmeister hie und da eine faule, halbnackte Gestalt
auf einer Bettstatt lungern oder schleppend, wie mit ausgerenkten
Hüften, durchs Zimmer gehen. Sein Pferd ging schwer und schob die
Hinterbeine mühsam unter, wie wenn sie von Blei wären. Indem er sich
umwendete und bückte, um nach dem rückwärtigen Eisen zu sehen,
schlurften Schritte aus einem Hause, und da er sich aufrichtete, ging
dicht vor seinem Pferde eine Frauensperson, deren Gesicht er nicht sehen
konnte. Sie war nur halb angekleidet; ihr schmutziger, abgerissener Rock
von geblümter Seide schleppte im Rinnsal, ihre nackten Füße staken in
schmutzigen Pantoffeln; sie ging so dicht vor dem Pferde, daß der Hauch
aus den Nüstern den fettig glänzenden Lockenbund bewegte, der ihr unter
einem alten Strohhute in den entblößtem Nacken hing, und doch ging sie
nicht schneller und wich dem Reiter nicht aus. Unter einer Türschwelle
zur Linken rollten zwei ineinander verbissene blutende Ratten in die
Mitte der Straße, von denen die unterliegende so jämmerlich aufschrie,
daß das Pferd des Wachtmeisters sich verhielt und mit schiefem Kopf und
hörbarem Atem gegen den Boden stierte. Ein Schenkeldruck brachte es
wieder vorwärts und nun war die Frau in einem Hausflur verschwunden,
ohne daß der Wachtmeister hatte ihr Gesicht sehen können. Aus dem
nächsten Hause lief eilfertig mit gehobenem Kopfe ein Hund heraus, ließ
einen Knochen in der Mitte der Straße fallen und versuchte, ihn in einer
Fuge des Pflasters zu verscharren. Es war eine weiße unreine Hündin mit
hängenden Zitzen; mit teuflischer Hingabe scharrte sie, packte dann den
Knochen mit den Zähnen und trug ihn ein Stück weiter. Indessen sie
wieder zu scharren anfing, waren schon drei Hunde bei ihr: zwei waren
sehr jung, mit weichen Knochen und schlaffer Haut; ohne zu bellen und
ohne beißen zu können, zogen sie einander mit stumpfen Zähnen an den
Lefzen. Der Hund, der zugleich mit ihnen gekommen war, war ein
lichtgelbes Windspiel von so aufgeschwollenem Leib, daß es nur ganz
langsam auf den vier dünnen Beinen sich weitertragen konnte. An dem
dicken wie eine Trommel gespannten Leib erschien der Kopf viel zu klein;
in den kleinen ruhelosen Augen war ein entsetzlicher Ausdruck von
Schmerz und Beklemmung. Sogleich sprangen noch zwei Hunde hinzu: ein
magerer, weißer, von äußerst gieriger Häßlichkeit, dem schwarze Rinnen
von den entzündeten Augen herunterliefen, und ein schlechter Dachshund
auf hohen Beinen. Dieser hob seinen Kopf gegen den Wachtmeister und
schaute ihn an. Er mußte sehr alt sein. Seine Augen waren unendlich müde
und traurig. Die Hündin aber lief in blöder Hast vor dem Reiter hin und
her; die beiden Jungen schnappten lautlos mit ihrem weichen Maul nach
den Fesseln des Pferdes, und das Windspiel schleppte seinen
entsetzlichen Leib hart vor den Hufen. Der Braun konnte keinen Schritt
mehr tun. Als aber der Wachtmeister seine Pistole auf eines der Tiere
abdrücken wollte und die Pistole versagte, gab er dem Pferde beide
Sporen und dröhnte über das Steinpflaster hin. Nach wenigen Sätzen aber
mußte er das Pferd scharf parieren. Denn hier sperrte eine Kuh den Weg,
die ein Bursche mit gespanntem Strick zur Schlachtbank zerrte. Die Kuh
aber, von dem Dunst des Blutes und der an den Türpfosten genagelten
frischen Haut eines schwarzen Kalbes zurückschaudernd, stemmte sich auf
ihren Füßen, sog mit geblähten Nüstern den rötlichen Sonnendunst des
Abends in sich und riß sich, bevor der Bursche sie mit Prügel und Strick
hinüber bekam, mit kläglichen Augen noch ein Maulvoll von dem Heu ab,
das der Wachtmeister vorne am Sattel befestigt hatte. Er hatte nun das
letzte Haus des Dorfes hinter sich und konnte, zwischen zwei niedrigen,
abgebröckelten Mauern reitend, jenseits einer alten einbogigen
Steinbrücke über einen anscheinend trockenen Graben den weiteren Verlauf
des Weges absehen, fühlte aber in der Gangart seines Pferdes eine so
unbeschreibliche Schwere, ein solches Nichtvorwärtskommen, daß sich an
seinem Blick jeder Fußbreit der Mauern rechts und links, ja jeder von
den dort sitzenden Tausendfüßen und Asseln mühselig vorbeischob, und ihm
war, als hätte er eine unmeßbare Zeit mit dem Durchreiten des
widerwärtigen Dorfes verbracht. Wie nun zugleich aus der Brust seines
Pferdes ein schwerer röhrender Atem hervordrang, er dies ihm völlig
ungewohnte Geräusch aber nicht sogleich richtig erkannte und die Ursache
davon zuerst über und neben sich und schließlich in der Entfernung
suchte, bemerkte er jenseits der Steinbrücke und beiläufig in gleicher
Entfernung von dieser, als wie er sich selbst befand, einen Reiter des
eigenen Regiments auf sich zukommen, und zwar einen Wachtmeister, und
zwar auf einem Braunen mit weißgestiefelten Vorderbeinen. Da er nun wohl
wußte, daß sich in der ganzen Schwadron kein solches Pferd befand,
ausgenommen dasjenige, auf welchem er selbst in diesem Augenblicke saß,
er das Gesicht des anderen Reiters aber immer noch nicht erkennen
konnte, so trieb er ungeduldig sein Pferd sogar mit den Sporen zu einem
sehr lebhaften Trab an, worauf auch der andere sein Tempo ganz im
gleichen Maße verbesserte, so daß nun nur mehr ein Steinwurf sie
trennte, und nun, indem die beiden Pferde, jedes von seiner Seite her,
im gleichen Augenblick, jedes mit dem gleichen, weißgestiefelten Vorfuß
die Brücke betraten, der Wachtmeister mit stierem Blick in der
Erscheinung sich selber erkennend, wie sinnlos sein Pferd zurückriß und
die rechte Hand mit ausgespreizten Fingern gegen das Wesen vorstreckte,
worauf die Gestalt, gleichfalls parierend und die Rechte erhebend,
plötzlich nicht da war, die Gemeinen Holl und Scarmolin mit unbefangenen
Gesichtern von rechts und links aus dem trockenen Graben auftauchten und
gleichzeitig über die Hutweide her, stark und aus gar nicht großer
Entfernung die Trompeten der Eskadron »Attacke« bliesen. Im stärksten
Galopp eine Erdwelle hinansetzend, sah der Wachtmeister die Schwadron
schon im Galopp auf ein Gehölz zu, aus welchem feindliche Ritter mit
Piken eilfertig debouchierten; sah, indem er, die vier losen Zügel in
der Linken versammelnd, den Handriemen um die Rechte schlang, den
vierten Zug sich von der Schwadron ablösen und langsamer werden, war nun
schon auf dröhnendem Boden, nun in starkem Staubgeruch, nun mitten im
Feinde, hieb auf einen blauen Arm ein, der eine Pike führte, sah dicht
neben sich das Gesicht des Rittmeisters mit weit aufgerissenen Augen und
grimmig entblößtem Zähnen, war dann plötzlich unter lauter feindlichen
Gesichtern und fremden Farben eingekeilt, tauchte unter in lauter
geschwungenen Klingen, stieß den nächsten in den Hals und vom Pferd
herab, sah neben sich den Gemeinen Scarmolin, mit lachendem Gesicht,
Einem die Finger der Zügelhand ab- und tief in den Hals des Pferdes
hineinhauen, fühlte die Mêlée sich lockern und war auf einmal allein, am
Rand eines kleinen Baches, hinter einem feindlichen Offizier auf einem
Eisenschimmel. Der Offizier wollte über den Bach; der Eisenschimmel
versagte. Der Offizier riß ihn herum, wendete dem Wachtmeister ein
junges, sehr bleiches Gesicht und die Mündung einer Pistole zu, als ihm
ein Säbel in den Mund fuhr, in dessen kleiner Spitze die Wucht eines
galoppierenden Pferdes zusammengedrängt war. Der Wachtmeister riß den
Säbel zurück und erhaschte an der gleichen Stelle, wo die Finger des
Herunterstürzenden ihn losgelassen hatten, den Stangenzügel des
Eisenschimmels, der leicht und zierlich wie ein Reh die Füße über seinen
sterbenden Herrn hinhob.
Als der Wachtmeister mit dem schönen Beutepferd zurückritt, warf die in
schwerem Dunst untergehende Sonne eine ungeheure Röte über die Hutweide.
Auch an solchen Stellen, wo gar keine Hufspuren waren, schienen ganze
Lachen von Blut zu stehen. Ein roter Widerschein lag auf den weißen
Uniformen und den lachenden Gesichtern, die Kürasse und Schabracken
funkelten und glühten, und am stärksten drei kleine Feigenbäume, an
deren weichen Blättern die Reiter lachend die Blutrinnen ihrer Säbel
abgewischt hatten. Seitwärts der rotgefleckten Bäume hielt der
Rittmeister und neben ihm der Eskadronstrompeter, der die wie in roten
Saft getauchte Trompete an den Mund hob und Appell blies. Der
Wachtmeister ritt von Zug zu Zug und sah, daß die Schwadron nicht einen
Mann verloren und dafür neun Handpferde gewonnen hatte. Er ritt zum
Rittmeister und meldete, immer den Eisenschimmel neben sich, der mit
gehobenem Kopf tänzelte und Luft einzog, wie ein junges, schönes und
eitles Pferd, das es war. Der Rittmeister hörte die Meldung nur
zerstreut an. Er winkte den Leutnant Grafen Trautsohn zu sich, der dann
sogleich absaß und mit sechs gleichfalls abgesessenen Kürassieren hinter
der Front der Eskadron die erbeutete leichte Haubitze ausspannte, das
Geschütz von den sechs Mannschaften zur Seite schleppen und in ein von
dem Bach gebildetes, kleines Sumpfwasser versenken ließ, hierauf wieder
aufsaß und, nachdem er die nunmehr überflüssigen beiden Zuggäule mit der
flachen Klinge fortgejagt hatte, stillschweigend seinen Platz vor dem
ersten Zug wieder einnahm. Während dieser Zeit verhielt sich die in zwei
Gliedern formierte Eskadron nicht eigentlich unruhig, es herrschte aber
doch eine nicht ganz gewöhnliche Stimmung, durch die Erregung von vier
an einem Tage glücklich bestandenen Gefechten erklärlich, die sich im
leichten Ausbrechen halbunterdrückten Lachens, sowie in halblauten
untereinander gewechselten Zurufen äußerte. Auch standen die Pferde
nicht ruhig, besonders diejenigen, zwischen denen fremde erbeutete
Pferde eingeschoben waren. Nach solchen Glücksfällen schien allen der
Aufstellungsraum zu enge, und solche Reiter und Sieger verlangten sich
innerlich, nun im offenen Schwarm auf einen neuen Gegner loszulegen,
einzuhauen und neue Beutepferde zu packen. In diesem Augenblicke ritt
der Rittmeister Baron Rofrano dicht an die Front seiner Eskadron, und
indem er von den etwas schläfrigen blauen Augen die großen Lider hob,
kommandierte er vernehmlich, aber ohne seine Stimme zu erheben:
»Handpferde auslassen!« Die Schwadron stand totenstill. Nur der
Eisenschimmel neben dem Wachtmeister streckte den Hals und berührte mit
seinen Nüstern fast die Stirne des Pferdes, auf welchem der Rittmeister
saß. Der Rittmeister versorgte seinen Säbel, zog eine seiner Pistolen
aus dem Halfter, und indem er mit dem Rücken der Zügelhand ein wenig
Staub von dem blinkenden Lauf wegwischte, wiederholte er mit etwas
lauterer Stimme sein Kommando und zählte gleich nachher »eins« und
»zwei«. Nachdem er das »zwei« gezählt hatte, heftete er seinen
verschleierten Blick auf den Wachtmeister, der regungslos vor ihm im
Sattel saß und ihm starr ins Gesicht sah. Während Anton Lerchs starr
aushaltender Blick, in dem nur dann und wann etwas Gedrücktes,
Hündisches aufflackerte und wieder verschwand, eine gewisse Art devoten,
aus vieljährigem Dienstverhältnisse hervorgegangenen Zutrauens
ausdrücken mochte, war sein Bewußtsein von der ungeheuren Gespanntheit
dieses Augenblicks fast gar nicht erfüllt, sondern von vielfältigen
Bildern einer fremdartigen Behaglichkeit ganz überschwemmt, und aus
einer ihm selbst völlig unbekannten Tiefe seines Innern stieg ein
bestialischer Zorn gegen den Menschen da vor ihm auf, der ihm das Pferd
wegnehmen wollte, ein so entsetzlicher Zorn über das Gesicht, die
Stimme, die Haltung und das ganze Dasein dieses Menschen, wie er nur
durch jahrelanges, enges Zusammenleben auf geheimnisvolle Weise
entstehen kann. Ob aber in dem Rittmeister etwas Ähnliches vorging, oder
ob sich ihm in diesem Augenblicke stummer Insubordination die ganze
lautlos um sich greifende Gefährlichkeit kritischer Situationen
zusammenzudrängen schien, bleibt im Zweifel: Er hob mit einer
nachlässigen, beinahe gezierten Bewegung den Arm, und indem er, die
Oberlippe verächtlich hinaufziehend, »drei« zählte, krachte auch schon
der Schuß, und der Wachtmeister taumelte, in die Stirn getroffen, mit
dem Oberleib auf den Hals seines Pferdes, dann zwischen dem Braun und
dem Eisenschimmel zu Boden. Er hatte aber noch nicht hingeschlagen, als
auch schon sämtliche Chargen und Gemeinen sich ihrer Beutepferde mit
einem Zügelriß oder Fußtritt entledigt hatten und der Rittmeister, seine
Pistole ruhig versorgend, die von einem blitzähnlichen Schlag noch
nachzuckende Schwadron dem in undeutlicher dämmernder Entfernung
anscheinend sich ralliierenden Feinde aufs neue entgegenführen konnte.
Der Feind nahm aber die neuerliche Attacke nicht an, und kurze Zeit
nachher erreichte das Streifkommando unbehelligt die südliche
Vorpostenaufstellung der eigenen Armee.
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