Der unter
anderem für
das
Wohnraummietrecht
zuständige
VIII.
Zivilsenat
des
Bundesgerichtshofs
hat am 10.
Juli 2024
entschieden,
dass als
Familienangehörige
im Sinne des
§ 577a BGB ebenso wie
im Falle der
Eigenbedarfskündigung
§ 573 ausschließlich
diejenigen
Personen
anzusehen
sind, denen
ein
Zeugnisverweigerungsrecht
aus
persönlichen
Gründen
zusteht.
Cousins
zählen nicht
dazu.
Sachverhalt:
Die Klägerin, eine Gesellschaft
bürgerlichen Rechts, begehrt nach Ausspruch
einer Kündigung wegen Eigenbedarfs eines ihrer
Gesellschafter von den Beklagten die Räumung und
Herausgabe einer an diese vermieteten Wohnung.
Die Klägerin hatte das Gebäude, in dem sich die
Wohnung befindet, nach deren Überlassung an die
Beklagten erworben und ist dadurch als
Vermieterin in das bestehende Mietverhältnis
eingetreten. Zum damaligen Zeitpunkt hatte die
Klägerin zwei Gesellschafter, die Cousins waren.
Die Beklagten haben die Kündigung für
unwirksam gehalten und sich hierbei auf die
Kündigungsbeschränkung des § 577a Abs. 1a Satz 1
Nr. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der
Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes
Berlin vom 13. August 2013 berufen. Hiernach
kann sich eine Personengesellschaft, an die
vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den
Mieter veräußert worden ist, erst nach Ablauf
von zehn Jahren seit der Veräußerung für eine
Kündigung der Wohnung gegenüber dem Mieter auf
berechtigte Interessen im Sinne von § 573 Abs. 2
Nr. 2 oder 3 BGB berufen. Diese
Kündigungsbeschränkung gilt indes dann nicht,
wenn die im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs
vorhandenen Gesellschafter derselben Familie
angehörten. Die Klägerin hat die Auffassung
vertreten, dass dies (auch) bei Cousins der Fall
sei und deshalb die Kündigungsbeschränkung im
Streitfall nicht eingreife.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das
Landgericht das amtsgerichtliche Urteil
abgeändert und der Räumungsklage stattgegeben.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts
kann sich die Klägerin auf die Ausnahmeregelung
des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB berufen, so dass
die zehnjährige Kündigungsbeschränkung nicht
gelte. Die beiden Gesellschafter der Klägerin im
Zeitpunkt des Eigentumserwerbs gehörten als
Cousins, zwischen denen hier eine enge soziale
Bindung bestanden habe, einer Familie im Sinne
von § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB an.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgen die Beklagten ihr
Klageabweisungsbegehren weiter.
Die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs:
Die Revision der Beklagten hatte
Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat entschieden,
dass den Begriffen "Familie" in § 577a Abs. 1a
Satz 2 BGB und "Familienangehörige" in § 573
Abs. 2 Nr. 2 BGB dieselbe Bedeutung zukommt und
hiervon ausschließlich diejenigen Personen
umfasst sind, denen ein
Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen
Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht. Ein
entfernterer Verwandter, der - wie ein Cousin -
nicht nach § 383 ZPO, § 52 StPO zur
Zeugnisverweigerung berechtigt ist, gehört somit
auch dann nicht zu dem von § 573 Abs. 2 Nr. 2
BGB privilegierten Personenkreis, wenn zwischen
ihm und dem Vermieter eine enge persönliche
Bindung besteht. Ebenso gilt die Privilegierung
des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB selbst im Falle
einer engen persönlichen Verbundenheit zwischen
den Mitgesellschaftern nicht, wenn das
Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihnen so
entfernt ist, dass es sie nicht zur
Zeugnisverweigerung nach § 383 ZPO, § 52 StPO
berechtigt.
Mit der Privilegierung von
Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen
wollen, dass innerhalb einer Familie aufgrund
enger Verwandtschaft typischerweise ein
Verhältnis persönlicher Verbundenheit und
gegenseitiger Solidarität besteht, das die
Ermöglichung einer Kündigung zu Gunsten
Familienangehöriger rechtfertigt. Auch die
Privilegierung von Familienangehörigen in § 577a
Abs. 1a Satz 2 BGB beruht auf der Überlegung,
dass aufgrund der engen persönlichen Bindung ein
legitimes Interesse an der (zeitnahen)
Geltendmachung des Eigenbedarfs besteht.
Der vom Gesetzgeber bezweckten
Privilegierung von Familienangehörigen in den
vorgenannten Bestimmungen liegt mithin eine
typisierende Betrachtungsweise dahingehend
zugrunde, dass zwischen den hiervon umfassten
Personen auf Grund einer familiären Beziehung
eine besondere persönliche Nähebeziehung
anzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund bedarf es
für den vom Gesetzgeber privilegierten
Personenkreis des (zusätzlichen) Vorliegens
eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses
nicht. Auch scheidet eine Erweiterung dieses
geschützten Personenkreises auf Grund einer
einzelfallbezogenen Prüfung des Vorliegens einer
besonderen sozialen Nähe angesichts der dem
Gesetz zu Grunde liegenden typisierenden
Betrachtungsweise aus.
Entscheidend ist damit
letztlich, für welchen Personenkreis der
Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs
der Familie eine typischerweise vorliegende
besondere soziale Bindung angenommen hat. Im
Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a
Abs. 1a Satz 2 BGB hat der Gesetzgeber dies
nicht näher konkretisiert. Er hat eine solche
Bewertung jedoch im Rahmen der ebenfalls auf der
persönlichen Nähebeziehung und Verbundenheit
gründenden Gewährung eines
Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen
Gründen vorgenommen. Dort hat er objektive
Kriterien nach dem Grad der familiären Beziehung
aufgestellt und hierdurch den Personenkreis
definiert, innerhalb dessen nach seiner
Auffassung typischerweise eine persönliche
Nähebeziehung besteht. Es ist sachgerecht, diese
gesetzgeberischen Wertungen auch für die
ebenfalls in der persönlichen Verbundenheit
begründeten Privilegierungen von
Familienangehörigen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB heranzuziehen.
Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze kam eine Anwendung des § 577a Abs. 1a
Satz 2 BGB im Streitfall nicht in Betracht. Denn
den im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs an dem
streitgegenständlichen Grundstück vorhandenen
beiden Gesellschaftern der Klägerin steht als
Cousins und damit als Verwandte in der
Seitenlinie im vierten Grad ein
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52
StPO nicht zu. Sie gehören somit nicht zu
derselben Familie im Sinne des § 577a Abs. 1a
Satz 2 BGB.
Der Senat hat deshalb das Urteil
des Berufungsgerichts aufgehoben und - da es
weitere Feststellungen nicht bedarf - das Urteil
des Amtsgerichts unter Zurückweisung der
Berufung wiederhergestellt.
§ 577a BGB
(1) Ist an
vermieteten
Wohnräumen
nach der
Überlassung
an den
Mieter
Wohnungseigentum
begründet
und das
Wohnungseigentum
veräußert
worden, so
kann sich
ein Erwerber
auf
berechtigte
Interessen
im Sinne des
§ 573 Abs. 2
Nr. 2 oder 3
erst nach
Ablauf von
drei Jahren
seit der
Veräußerung
berufen.
(1a) Die
Kündigungsbeschränkung
nach Absatz
1 gilt
entsprechend,
wenn
vermieteter
Wohnraum
nach der
Überlassung
an den
Mieter
1. an eine
Personengesellschaft
oder an
mehrere
Erwerber
veräußert
worden ist
oder
2. […]
Satz 1 ist
nicht
anzuwenden,
wenn die
Gesellschafter
oder
Erwerber
derselben
Familie oder
demselben
Haushalt
angehören
oder vor
Überlassung
des
Wohnraums an
den Mieter
Wohnungseigentum
begründet
worden ist.
(2) Die
Frist nach
Absatz 1
oder nach
Absatz 1a
beträgt bis
zu zehn
Jahre, wenn
die
ausreichende
Versorgung
der
Bevölkerung
mit
Mietwohnungen
zu
angemessenen
Bedingungen
in einer
Gemeinde
oder einem
Teil einer
Gemeinde
besonders
gefährdet
ist und
diese
Gebiete nach
Satz 2
bestimmt
sind. Die
Landesregierungen
werden
ermächtigt,
diese
Gebiete und
die Frist
nach Satz 1
durch
Rechtsverordnung
für die
Dauer von
jeweils
höchstens
zehn Jahren
zu
bestimmen.
§ 573 BGB
(1) Der Vermieter kann nur
kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an
der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die
Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist
ausgeschlossen.
(2) Ein berechtigtes Interesse
des Vermieters an der Beendigung des
Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn
1. […]
2. der Vermieter die Räume als
Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder
Angehörige seines Haushalts benötigt […]
Der Bundesgerichtshof - Presse :
Pressemitteilungen aus dem Jahr 2024 - Zu dem in
den Vorschriften zur Ausnahme von der
Kündigungsbeschränkung bei einem Wohnungserwerb
und zur Eigenbedarfskündigung verwendeten
Begriff der Familienangehörigen - hier: Cousins
Meldung: Pressestelle des
Bundesgerichtshofs, Karlsruhe |