Es ist noch nicht
lange her, dass die deutsche
Bundesregierung im Rahmen des neuen
Klimaschutzgesetzes das Erreichen
der Klimaziele um fünf Jahre
vorverlegt hat. Dass man auf dem Weg
ins Jahr 2045 auch auf den Bausektor
blickt, überrascht dabei keinen – er
ist verantwortlich für gut 60
Prozent des CO2-Ausstoßes,
von Ressourcenverbrauch,
Materialherstellung und Transport
über die Erstellung bis zum Betrieb
der Gebäude. Gleichzeitig hallt der
Ruf nach mehr Bauland und dringend
benötigtem Wohnraum durch unsere
Städte und Gemeinden. So ist mit der
Frage, wie die Klimaziele eigentlich
erreicht werden wollen, untrennbar
die Frage verbunden, wie künftig
gewohnt werden soll.
Die Maßnahmen für die angestrebte CO2-Neutralität
betreffen den Bausektor dabei in
unterschiedlicher Weise. Konkrete
Richtlinien für Gebäude und
Quartiere – wie Energieeffizienz
oder nachhaltige Materialien und
Konstruktionsweisen – gehören ebenso
dazu wie die berechtigte Forderung
nach dem verstärkten Blick auf den
gesamten Lebenszyklus und die graue
Energie eines Gebäudes, auf
Lowtech-Gebäudetechnik, auf
Umnutzung wie auch auf Rückbau statt
einfach nur auf Abriss zu setzen.
Dazu zählen Prinzipien wie
Cradle-to-Cradle, Upcycling und
Urban Mining. Die Müllmengen, die
bei einem Abriss und generell auf
den Baustellen entstehen, spielen
dabei eine nicht minder relevante
Rolle.
Nachhaltiger Materialeinsatz kann
dennoch funktionieren: Für das
Ensemble „M GRUND Social Housing
Mühlgrund“ in Wien kamen
wartungsarme Materialien zum
Einsatz, Verbundkonstruktionen
wurden ausgeschlossen und durch eine
Bauweise mit vorgefertigten
Elementen wurde nicht nur Bauzeit,
sondern auch Müll auf der Baustelle
reduziert. Die damit einhergehende
Kostenreduktion erlaubt Bauherren
Spielraum bei der Planung,
ermöglicht beispielweise
Gemeinschaftsflächen, wie im Holzbau
„Walden 48“ in Berlin.
Meist steht bei der Diskussion um
Klimaneutralität der urbane Raum im
Fokus, in Deutschland leben rund 70
Prozent der Bevölkerung in Mittel-
und Großstädten. Rechnet man die
„größeren Kleinstädte“ mit über
10.000 Einwohnern ein, sind es rund
86 Prozent. [1] Dem gegenüber steht
nach wie vor das Bedürfnis nach
„Wohnen im Grünen“ im Eigenheim, das
sich pandemiebedingt noch verstärkt
hat. Dass die Antwort nicht die
Einfamilienhaussiedlung weit
außerhalb am Stadtrand sein muss,
zeigt das Projekt „Mehrfamilienhäuser
Allensbach“, wo eine
Nachverdichtung mitten im Ortskern
der Kleinstadt mit einem hohen
Anspruch an die Gestaltung der
Außenbereiche verbunden war. Aber
auch in Großstädten ist das
kleinmaßstäbliche Eigenheim mit
Garten realisierbar: In Hamburg
lassen die „Stadthäuser Finkenau“
die Tradition der Stadthäuser mit
Gärten gekonnt aufleben – und dies
nicht nur als Einfamilienhaus, auch
als Häuser mit Raum für zwei
Familien.
So geht es nicht nur darum, „wie“
zukunftsgerecht, sondern es geht
auch um das „wo“ bauen.
Revitalisierung, Umnutzung,
Nachverdichtung, Innenentwicklung
und die „Stadt der kurzen Wege“ sind
ebenso dringende Forderungen wie die
Vermeidung von Flächenfraß. Geht der
Blick zwar oft in Richtung Stadt,
ist doch der ländliche Raum nicht
weniger relevant. Gerade in kleinen
Gemeinden verwaisen die Ortskerne,
da außerhalb die Neubaugebiete mit
Einfamilienhäusern und
Versorgungszentren wie auch die
benötigte Infrastruktur entstehen.
Neue Flächen werden versiegelt,
während in der Dorfmitte der
historische Bestand dem Verfall
überlassen bleibt. Dabei muss dies
nicht sein: Förderprogramme des
Bundes und der Kommunen bieten
Unterstützung – das „Oberschätzlhaus
in Gars a. Inn“ steht
beispielhaft für diesen Weg.
Zukunftsfähiges Bauen führt zu einer
Transformation der Städte und des
ländlichen Raums und damit auch zu
anderen Formen unseres Wohnens und
Zusammenlebens. Denn was bedeutet
Nachverdichtung nicht nur im
Planerischen, sondern auch im
gesellschaftlichen und sozialen
Kontext? Stadt und Land sind dabei
keine Gegensätze, sondern müssen
gemeinsam gedacht werden. Zumal es
die gleichen Fragen zu beantworten
gilt – von der Bodenfrage über
wirtschaftliche Aspekte bis zum
Substanzerhalt, von Durchmischung
bis zum Umgang mit privaten,
öffentlichen und halb-öffentlichen
Räumen. Und gerade für letztere
fallen die Antworten gar nicht mal
so unterschiedlich aus: Das
Neubauensemble „Schlösslipark“
bei St. Gallen öffnet sich mit einem
Gewerbebereich Erdgeschoss zum
Quartier, während die
Baugemeinschaft des „Shared Space
Malmöer“ in Berlin den alten
Kiezladen zurück in das Gebäude
holt. Oder im größeren Maßstab die
Integration eines Hotels im Rahmen
der Umnutzung der ehemaligen
Postverwaltung in Bern zur „SBG
Schönburg“.
Wohnungsbau ist eine
gesellschaftliche Aufgabe:
Einerseits geht es um unseren
Lebensraum, andererseits müssen
Veränderungen von uns mitgetragen
werden. Gerade in den Städten
bedeutet Nachverdichtung ein
Austarieren der Flächennutzung. Die
Qualität des Raums gilt es zu
erhalten und Konflikte um Platz,
Lärm und Luft zu vermeiden.
Architektur kann dabei einen
wesentlichen Beitrag leisten,
Prozesse in Gang bringen. Teilhabe
ist einer der Schlüssel, um
Identitätsbildung zu fördern und
Infrastrukturen für ein soziales
Miteinander zu schaffen. Wie
bereichernd gerade ein vielseitiges
Zusammenleben gelingen kann, zeigt
die Wohnhausanlage „Die drei
Schwestern“ in Wiens Seestadt
Aspern.
Partizipative Prozesse erlauben,
Problemfelder vorzeitig zu erkennen,
und durch frühzeitige Einbindung
entsteht mehr Bereitschaft, sich auf
Neues einzulassen und Verständnis
für baukulturelle Themen zu
entwickeln. Baugemeinschaften sind
hierbei inzwischen ein
städtebauliches
Entwicklungsinstrument. Man weiß um
das Potenzial einer während des
Bauprozesses gewachsenen
Gemeinschaft, die später integrativ
ins Quartier wirkt. Nicht selten
werden innovative Konzepte dieser
Gruppen von den Städten aufgegriffen
und in die Stadtentwicklung
gespielt.
Die 50 „Wohnbauten des Jahres 2021“
– erstmals aus dem gesamten
deutschsprachigen Raum – zeigen die
Vielseitigkeit aktueller Bauaufgaben
und den Anspruch aller Beteiligten,
neue und andere Lösungen zu finden.
Dabei ging es nicht um
„Fertigstellung 2021“, vielmehr
spiegelt die Auswahl die Themen
wider, die aktuell den Diskurs
bestimmen. Manch ein Projekt mag den
impulsgebenden Aspekt vielleicht
erst auf den zweiten Blick
offenbaren. Dass vermehrt Projekte
mit partizipativen Konzepten unter
den Gewinnern sind, war ebenso wenig
geplant wie die Vergabe von zwei
ersten Plätzen. Die sich als
Gewinner herauskristallisierenden
Projekte „ortsverbundenheit“
und „Gleis 21“ überzeugten
nicht nur aufgrund ihrer
beispielhaften Wirkung, sondern
gerade auch in dieser unerwarteten
Dualität – die urbane Antwort im
ländlichen Raum gegenüber der Idee,
das „Dorf in die Stadt zu bringen“.
Stadt und Land als gemeinsame
Zukunft des Wohnungsbaus.
Bei Entwicklung und Erhalt unserer
gebauten und natürlichen Umwelt sind
alle gefragt, und zwar gemeinsam. So
möchte der Wohnungsbau Award
ermutigen – Entwickler, Entscheider,
Planende wie zukünftige Bewohner –
weiterhin neue Konzepte zu denken
und andere Wege zu gehen. Denn um
eine Antwort auf den Wohnungsmangel
zu finden und dabei sozialen,
ökologischen wie auch ökonomischen
Aspekten gerecht zu werden, braucht
es kein Umdenken. Gebraucht wird ein
gänzlich anderes Denken.
Meldung: Cornelia
Hellstern, Callwey Verlag, München
[1]
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161809/umfrage/anteil-der-einwohner-an-der-bevoelkerung-in-deutschland-nach-gemeindegroessenklassen
Stand 31.12.2019