Der Autor nimmt Bezug
auf historische Bauformen und nennt
dies Alte Baukunst. Er bietet einen Rückblick auf die
Architektur der Antike, die immer
noch vielfältige Angebote grandioser
Baukunst bis in die Gegenwart zur
Verfügung hält. Eine Entwicklung der
Architektur in einer furiosen
Gesamtschau, neu erzählt als
Geschichte einer großen
Transformation: von der Baukunst der
Antike bis zur ersten Phase des
Neubeginns in der Renaissance. Ein
Bruch mit den alten Bauformen geht
erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts
vor sich. Die Ursachen sind bei
Günther Fischer unterschiedlicher
Natur. Hier setzt meiner Meinung die
Qualität des Büchleins aus dem
Schweizer Birkhäuser Verlag an, das
wie in einer großen Erzählung eine
Gesamtschau der
Architekturgeschichte umfasst und
weitererzählt.
Weil die vielfältigen Prozesse mit
Aufbruch der Moderne immer mehr
Fahrt aufnahmen und inzwischen ein
atemberaubendes Tempo erreicht
haben, drohen Überblick und
Orientierung gänzlich verloren zu
gehen: Was ist und was bleibt das
Wesen der Architektur? Warum ist sie
geworden, was sie heute ist? Wie
wird sie sich weiterentwickeln?
Diese Fragen stellt Günther Fischer
in einer frappierenden Erzählung,
die zum ersten Mal überzeugend
erklärt, warum die Welt der
Architektur so ist, wie sie geworden
ist. In leicht verständlicher
Sprache – für Architekten, Studenten
und kulturgeschichtlich
interessierte Laien. Das Buch
verfügt über eine hochwertige
Ausstattung mit 70 Abbildungen.
Günther Fischer ist Architekt und
Professor für Architekturtheorie an
der FH Erfurt. Das kleinformatige
Buch mit seinem zurückhaltenden
Einband und kupferfarbenen Lettern
lässt nicht erahnen, welche kompakte
Historie in ihm zu lesen ist. Auf
knapp 280 Seiten führt der Autor
durch die Architekturgeschichte von
der Antike bis ins 21. Jahrhundert.
Zielgruppe sind Architekten,
Architekturhistoriker und
Studierende im Fach Architektur bis
hin zu den unterschiedlichen Sparten
der Geschichtsforschung.
Vier große Kapitel unterteilt das
Buch über alte Baukunst und neue
Architektur
Angefangen mit:
1. Entstehung, Blüte und Untergang
der alten Baukunst ab Seite 13
Am Anfang war das Bauen 15
Die Anfänge der Baukunst 21
Die Entwicklung des Formenkanons 24
Bautechnik und Raumkunst 30
Der alternative Ansatz 36
Die "Wiedergeburt" der römischen
Antike 46
Europäische Klassik 55
Gründe des Zusammenbruchs 84
2. Die Erste Phase der neuen
Architektur ab
Seite 97
Die Ratlosigkeit vor dem Neuanfang
99
Stunde Null 107
Die falsche Theorie 110
Das Vorbild der abstrakten Malerei
145
Durchbruch zu einem neuen
Formkonzept 149
Kanonisierung als Internationaler
Stil 157
Reale Uneinheitlichkeit 162
Die Defizite des Internationalen
Stils 169
|
3. Die Entfaltung der neuen
Architektur ab
Seite 185
Das Prinzip der Inszenierung 186
Heroen der Nachkriegszeit 191
Wege aus dem Funktionalismus 205
Inszenierung der Konstruktion 216
Das Ende der Gewissheiten 221
Inszenierung des Raumes 236
Inszenierung der Einfachheit 243
Inszenierung des Materials und der
Oberflächen 247
4. Die Zukunft der neuen Architektur
ab
Seite 255
Rückblick auf die Geschichte des
Designs 257
Die verzögerte Industrialisierung
des Bauwesens 261
Konvergenz von Form und Technik 267
Gebäudedesign und Baukunst 271
Anmerkungen 278
Bildnachweis 286
|
Der Autor fragt sich in seinem
Kapitel ab Seite 145, wie all die
Meisterwerke der Baukunst, die
lkonen der Moderne, überhaupt
zustande kommen konnten? Er findet
eine Formulierung dafür und erklärt,
das war nur möglich, weil eine
Nachbardisziplin, die Malerei, einen
Ausweg aus der traditionellen
Vorgehensweise in Richtung einer
Kunst des Industriezeitalters fand.
Die Malerei hatte einen Großteil
ihrer bisherigen Funktionen durch
die aufkommende Fotografie verloren.
Eine realitätsabbildende Form der
künstlerischen Umsetzung wurde mehr
und mehr überflüssig. Was blieb, war
Impression, Expression, Vision und
die Ästhetik. Günther Fischer
konkretisiert seinen Vergleich
zwischen Malerei und Baukunst, indem
er als einen der wichtigsten
Multiplikatoren der Zeit den
Avantgardekünstler "EI" Lissitzky
benennt, der vor dem Ersten
Weltkrieg Architektur studierte, 1919 Malewitsch und dessen Suprematismus kennenlernte und durch
diese Begegnung entscheidend
beeinflusst wurde. 1920 dann in
Berlin auf Theo van Doesburg traf.
Ab dieser Zeit gab es einen engen
Austausch. EI Lissitzky ertwickelt
ab 1921 seine Proun-Bilder und im
Mai 1922 bildeten van Doesburg und
Lissitzky zusammen mit den
russischen Konstruktivisten auf dem
internationalen Kongress
fortschrittlicher Künstler in
Düsseldorf die sogenannte
"Internationale Fraktion der
Konstruktivisten". Schließlich
traf die Gruppierung auf Le
Corbusier, der über die figürliche
Malerei zur Architektur kam und durch die Begegnung mit
den Konstruktivisten auch einen
gänzlich freien Umgang mit den
modernen Bauelementen gewann.
Die Begründer der abstrakten Malerei
entwickelten also eine Methode,
bestimmten Kombinationen abstrakter
Elemente einen neuen und hohen
ästhetischen Reiz abzuringen. Genau
dieses Konzept - und nicht die
Funktion, nicht die Logik und nicht
die Überlegungen zum Typus - schlug
dann auch die Brücke zum Bauen und
schuf die Grundlagen, die den
Architekten und Architektinnen den
Weg zum neuen Bauen ebnen sollte,
erläutert Günther Fischer weiter, um
die beiden Disziplinen miteinander
zu verbinden. Das hier eine
Vereinfachung der Formen stattfand
zugunsten von Baukunst und
Architektur, ist unbestritten. Eine
ganz andere Frage ist jedoch die
kritische Hinterfragung dessen, was
die Reduzierung auf das Notwendigste
bedeutete, außer vielleicht der
zukunftsweisenden ökonomischen
Nutzbarmachung von Ressourcen, um
verstärkt massentaugliches zu
verwirklichen. Welcher historische
und humanitäre Verlust war mit der
Abweichung von der Tradition in
Malerei und Baukunst eigentlich
verknüpft? Das fragt sich die
Gesellschaft heutzutage, nachdem
beinahe eine Übersättigung an
modernistischen Formen stattgefunden
hat und gewachsenes Wissen bei der
Umsetzung von Projekten fast in
Vergessenheit geraten ist.
Ein
abschließendes Fazit gibt Günther
Fischer mit seiner
Architekturgeschichte nicht ab. Seine
Gewichtung liegt jedoch auf einer
spezifischen
Unterscheidung zwischen Architektur
und Design, die beide, jede für
sich, ihre Berechtigung haben.
Daraus entsteht ein gravierender Vorwurf, indem industrielle Produktion bei modernen
Industrie- und Hochhausbauten nach
wie vor viel zu sehr durch konventionelle
Bauweisen also handwerkliche
Techniken bestimmt würde. Ab diesem
Punkt wird der Autor äußerst
kleinteilig in seiner Analyse, da
diese auf die Ebene der
Bauelemente und Einzelkomponenten,
der Halbzeuge und Baumaschinen, der
Materialien und neuen
Materialkombinationen abzielt.
Standardisierung und Normierung
vorantreiben, um die Kompatibilität
eigenständig optimierter Bauelemente
zu fördern, Herstellungsprozesse in
den Fabriken rationalisieren und
zugleich flexibilisieren, lautet
seine Devise, damit durch
Vorfabrikation der Komponenten in
unterschiedlichen Größen und
Abmessungen umso mehr Bestellungen
nach Katalog möglich werden. Wichtig
sei das Zusammenfügen von
Einzelelementen, was letztlich die
gesamte Verbindungstechnik der Pass-
und Anschlusselemente
revolutionieren müsse.
Alte Baukunst und neue Architektur
von Günther Fischer
Birkhäuser Verlag, Basel
1. Auflage, 2018
gebunden, 288 Seiten, 40 farbige
Abb.
Größe: 18,5 x 11,7 x 2,5 cm
ISBN: 9783035616194
auch als ebook
ISBN: 9783035616224
Ich möchte bemerken, dass mir der
Autor noch aus einem anderen
Zusammenhang in Erinnerung geblieben
ist, was mich erst neugierig auf "Alte Baukunst und
neue Architektur" gemacht hat. Zu
Günther Fischers Schriften zählt
auch: "Architektur und Sprache.
Grundlagen des architektonischen
Ausdrucksystems" (1991), worin der
Autor eine linguistisch intendierte
Untersuchungsmethode anwendet, eine
Art Strukturalismus der sich mit dem
Ausdruckssystem von Architekten und
Architektinnen befasst und damit
eine auf unbekannten Pfaden
versteckt gebliebene berufsbezogene
Terminologie näher untersucht. Ein
unfassbarer Kosmos der sich hier
entfaltet und zugleich die Mängel
eines gesamten Wissenschaftssystems
offenbart, wobei das sogenannte
Ausdruckssystem des Architekten von
sich aus immer wieder durchaus
Mängel aufweist. Denn an einer
korrekten, sprachlichen Umsetzung
mit allen Beteiligten, auch den
Außenstehenden, scheitert so manch
hervorragend ausgedachtes
Bauprojekt an seiner eigenen
Realität.
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