Erzählt
wird eine einprägsame Geschichte, die zunächst aus den
Sturmgewittern des Ersten Weltkrieges zusammensetzt ist. Paul Duval, wie der
französische Infanterist und einfache Held der Geschichte heißt, gerät
in deutsche Gefangenschaft, wo er, nach der Gefangennahme fachgerecht
verarztet wird. Das Gefecht an der Front bleibt in unmittelbarer Nähe
gegenwärtig und scheint für beide Parteien unausweichlich zu sein.
Die Erzählung berichtet
ohne Umschweife und zieht den Leser mitten in das Geschehen hinein, wie
das nur die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts vermag -
diese Expression gelingt. Etwas von Stallgeruch um nicht zu sagen
Gestank bleibt daran haften. Die Intensität mit der erzählt wird, ist
zugleich Warnung an spätere Generationen und Leserschaft. Denn
Beschreibungen solcher Art sind immer wieder ein Erlebnis und
einzigartiges Zeugnis der Vergangenheit besonders wenn sie aus dem
Ersten Weltkrieg berichten.
Was der Autor darüber
hinaus mit seinen Worten schafft, ist, daß er seinen Helden mit etwas
umgibt, was deutlich werden läßt, Paul soll am Leben bleiben und
nicht das Schicksal vieler seiner Kameraden teilen, die tausendfach in den Schützengräben für
Reich und Vaterland ihr Leben lassen mußten. Dieses Privileg ist aus heutiger
Sicht beinahe selbstverständlich geworden. Das zarte Pflänzchen das hier
gedeihen soll, ist Wegweiser für spätere Generationen, geschaffen von
Schriftstellern und Kunstschaffenden im Geiste der Weimarer Republik.
Doch der Nationalsozialismus setzt dem mit seinem Treiben ein jähes
Ende, weil die Zeit nicht reif dafür war.
Noch verläuft die
Handlung linear. Der Kriegsgefangene Paul geht seinen angetretenen Weg.
Er kommt aus dem Gefangenenlager in einen Güterwaggon. Im übrigen ist
der rollende Eisenbahnwagen der lauter Menschen an einen unbekannten
Ort transportiert ein vertrautes Motiv. Die Bestimmung über Pauls Leben bleibt ungewiß.
Doch der Umstand will
es, daß der Autor seinen Helden auch hier nicht verrecken läßt. Stattdessen
kommt dieser in ein anderes Lager, wo er Rüben setzen, Unkraut jäten und
Rüben ernten darf und zwar bis an das Ende seiner Tage, was der
andauernde Krieg unmißverständlich deutlich werden läßt. Diese
Unmißverständlichkeit der Zeitabläufe soll im Verlauf der Handlung auch nicht aufgelöst
werden. Das zeigt, wie nachhaltig es dem Autor mit seiner Erzählung ist.
Der Wendepunkt, die Peripetie
der Novelle setzt erst an dem Punkt ein, an dem Paul und Marie sich
begegnen. Diese Begegnung ist nicht gewöhnlicher Natur, weil er Franzose
ist und sie Deutsche, was damals noch als Ding der Unmöglichkeit galt,
weil Deutsche und Franzosen verfeindet waren. Eine Deutsch-Französische
Freundschaft gab es noch nicht.
In Aufbau und
ausschnittartiger Darstellung der Handlung ist die Erzählung "Paul und
Marie" eine typische Novelle, die aufschlußreiche Einblicke in
das menschliche Innere erlaubt. Es sind dies die Beweggründe, die das
Unmögliche wahr machen werden.
Marie Voß braucht ihren Mann,
Bauer Fritz als Arbeitskraft und starkes Oberhaupt auf dem heimischen Hof
zu Hause. Er ist jedoch an die
Front berufen worden und damit nicht mehr greifbar. Sie wünscht sich
insgeheim ein Kind von ihm. Sie wagt aber nicht weiter darüber
nachzudenken. Es scheint ein Mysterium für sie zu sein.
Eine Novellierung der
Verhältnisse wird mit dem Kinderwunsch der Bäuerin begründet. Der Krieg
ist die Ursache dafür, daß die intakten Verhältnisse zerrüttet sind und
nicht mehr funktionieren können im biologischen Sinne. Hier tritt der
Held der Handlung, Paul Duval auf. Ein Franzose, der an den Hof der
Bäuerin beordert wird, um als Gefangener der Armee der Bäuerin bei der
schweren Arbeit zu helfen. Ein Vertrauensverhältnis bahnt sich an, das
kann nicht ausbleiben. Die Dinge haben ihren Lauf.
Was jedoch bei Heinrich
von Kleist in die Marquise von O. noch als schweres Verbrechen
erscheint, ist bei Ernst Erich Noth ein glücklicher Zufall, wie er sich
aus den Zusammenhängen des Krieges ergeben mußte. Er zeigt nicht nur, wie austauschbar
Menschen untereinander sind, sondern verdeutlicht, daß Männern bzw. werdenden
Männern in Situationen wie
Maria und Josef in Bethlehem, als es um das Kind in der Krippe geht,
immer wieder eine ausgesprochen sekundäre Rolle zukommt. Das reicht bis
hin zum Freitod des jungen Fritz, Maries Sohn, weil dieser der Scham
erlegen ist von welchem Vater er eigentlich abstammt.
Von einer wirklichen
Liebesgeschichte zwischen Paul und Marie zu sprechen, fällt äußerst schwer, weil im Ton der Erzählung meist
dasjenige
überwiegt, was den Zwängen der Zeitumstände dienlich ist. Insofern
bilden die beiden eine Zweckgemeinschaft auf Zeit, die sich irgendwann wieder
auseinanderdividiert. Vielleicht läßt sich die karge
Umgebung deshalb besser mit der Neuen Sachlichkeit erklären, die in den
Romanen und Erzählungen bei Ernst Erich Noth auch sonst vorkommt.
Paul und Marie
Novelle von Ernst Erich Noth
Deutsche Erstausgabe
glotzi Verlag, Frankfurt am
Main
1. Auflage (September 2008)
56 Seiten, broschiert
Größe: 19 x 12,2 x 0,8
cm
Gewicht: 75g
ISBN-10: 3935333129
ISBN-13: 978-3935333122
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