Hintergrund der Erzählung bildet das Geschehen im Ersten Weltkrieg

 

Paul und Marie (2008) eine Novelle von Ernst Erich Noth aus dem glotzi Verlag neu veröffentlicht

 

Das Nachwort von Verleger Lothar Glotzbach beschreibt "Paul und Marie" als Novelle, die zuerst in französischer Übersetzung in der französischen Wochenzeitschrift für Literatur, Politik und Satire "Vendredi" publiziert wurde. Der in Berlin geborene Autor Ernst Erich Noth (1909-1983) mußte 1933 vor den Nationalsozialisten nach Frankreich fliehen. Dort veröffentlichte er mehrere Romane, Essays und Zeitschriftenartikel. Den Ausdruck dieser Lebensumstände zeichnet "Paul und Marie" mit feiner aber prägnanter Linie sinnlich nach.
 

 Buchumschlag: glotzi Verlag   

Erzählt wird eine einprägsame Geschichte, die zunächst aus den Sturmgewittern des Ersten Weltkrieges zusammensetzt ist. Paul Duval, wie der französische Infanterist und einfache Held der Geschichte heißt, gerät in deutsche Gefangenschaft, wo er, nach der Gefangennahme fachgerecht verarztet wird. Das Gefecht an der Front bleibt in unmittelbarer Nähe gegenwärtig und scheint für beide Parteien unausweichlich zu sein.

 

Die Erzählung berichtet ohne Umschweife und zieht den Leser mitten in das Geschehen hinein, wie das nur die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts vermag  -  diese Expression gelingt. Etwas von Stallgeruch um nicht zu sagen Gestank bleibt daran haften. Die Intensität mit der erzählt wird, ist zugleich Warnung an spätere Generationen und Leserschaft. Denn Beschreibungen solcher Art sind immer wieder ein Erlebnis und einzigartiges Zeugnis der Vergangenheit besonders wenn sie aus dem Ersten Weltkrieg berichten.

 

Was der Autor darüber hinaus mit seinen Worten schafft, ist, daß er seinen Helden mit etwas umgibt, was deutlich werden läßt, Paul soll am Leben bleiben und nicht das Schicksal vieler seiner Kameraden teilen, die tausendfach in den Schützengräben für Reich und Vaterland ihr Leben lassen mußten. Dieses Privileg ist aus heutiger Sicht beinahe selbstverständlich geworden. Das zarte Pflänzchen das hier gedeihen soll, ist Wegweiser für spätere Generationen, geschaffen von Schriftstellern und Kunstschaffenden im Geiste der Weimarer Republik. Doch der Nationalsozialismus setzt dem mit seinem Treiben ein jähes Ende, weil die Zeit nicht reif dafür war.

 

Noch verläuft die Handlung linear. Der Kriegsgefangene Paul geht seinen angetretenen Weg. Er kommt aus dem Gefangenenlager in einen Güterwaggon. Im übrigen ist der rollende Eisenbahnwagen der lauter Menschen an einen unbekannten Ort transportiert ein vertrautes Motiv. Die Bestimmung über Pauls Leben bleibt ungewiß.

 

Doch der Umstand will es, daß der Autor seinen Helden auch hier nicht verrecken läßt. Stattdessen kommt dieser in ein anderes Lager, wo er Rüben setzen, Unkraut jäten und Rüben ernten darf und zwar bis an das Ende seiner Tage, was der andauernde Krieg unmißverständlich deutlich werden läßt. Diese Unmißverständlichkeit der Zeitabläufe soll im Verlauf der Handlung auch nicht aufgelöst werden. Das zeigt, wie nachhaltig es dem Autor mit seiner Erzählung ist.

 

Der Wendepunkt, die Peripetie der Novelle setzt erst an dem Punkt ein, an dem Paul und Marie sich begegnen. Diese Begegnung ist nicht gewöhnlicher Natur, weil er Franzose ist und sie Deutsche, was damals noch als Ding der Unmöglichkeit galt, weil Deutsche und Franzosen verfeindet waren. Eine Deutsch-Französische Freundschaft gab es noch nicht.

 

In Aufbau und ausschnittartiger Darstellung der Handlung ist die Erzählung "Paul und Marie" eine typische Novelle, die aufschlußreiche Einblicke in das menschliche Innere erlaubt. Es sind dies die Beweggründe, die das Unmögliche wahr machen werden.

 

Marie Voß braucht ihren Mann, Bauer Fritz als Arbeitskraft und starkes Oberhaupt auf dem heimischen Hof zu Hause. Er ist jedoch an die Front berufen worden und damit nicht mehr greifbar. Sie wünscht sich insgeheim ein Kind von ihm. Sie wagt aber nicht weiter darüber nachzudenken. Es scheint ein Mysterium für sie zu sein.

 

Eine Novellierung der Verhältnisse wird mit dem Kinderwunsch der Bäuerin begründet. Der Krieg ist die Ursache dafür, daß die intakten Verhältnisse zerrüttet sind und nicht mehr funktionieren können im biologischen Sinne. Hier tritt der Held der Handlung, Paul Duval auf. Ein Franzose, der an den Hof der Bäuerin beordert wird, um als Gefangener der Armee der Bäuerin bei der schweren Arbeit zu helfen. Ein Vertrauensverhältnis bahnt sich an, das kann nicht ausbleiben. Die Dinge haben ihren Lauf.

 

Was jedoch bei Heinrich von Kleist in die Marquise von O. noch als schweres Verbrechen erscheint, ist bei Ernst Erich Noth ein glücklicher Zufall, wie er sich aus den Zusammenhängen des Krieges ergeben mußte. Er zeigt nicht nur, wie austauschbar Menschen untereinander sind, sondern verdeutlicht, daß Männern bzw. werdenden Männern in Situationen wie Maria und Josef in Bethlehem, als es um das Kind in der Krippe geht, immer wieder eine ausgesprochen sekundäre Rolle zukommt. Das reicht bis hin zum Freitod des jungen Fritz, Maries Sohn, weil dieser der Scham erlegen ist von welchem Vater er eigentlich abstammt.

 

Von einer wirklichen Liebesgeschichte zwischen Paul und Marie zu sprechen, fällt äußerst schwer, weil im Ton der Erzählung meist dasjenige überwiegt, was den Zwängen der Zeitumstände dienlich ist. Insofern bilden die beiden eine Zweckgemeinschaft auf Zeit, die sich irgendwann wieder auseinanderdividiert. Vielleicht läßt sich die karge Umgebung deshalb besser mit der Neuen Sachlichkeit erklären, die in den Romanen und Erzählungen bei Ernst Erich Noth auch sonst vorkommt.

 

 

Paul und Marie

Novelle von Ernst Erich Noth

Deutsche Erstausgabe

 

glotzi Verlag, Frankfurt am Main

1. Auflage (September 2008)

56 Seiten, broschiert

Größe:  19 x 12,2 x 0,8 cm

Gewicht: 75g

ISBN-10: 3935333129
ISBN-13: 978-3935333122

 

 

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vom 28. November 2009