DIE WUNDERSAME WELT DER WASCHKRAFT (BRD 2009)

Ein Dokumentarfilm

 

Regie: Hans-Christian Schmid

 

Spieldauer: 96 Minuten

 

Kinostart 07. 05. 2009

 

Ein deutsches Unternehmen bringt die Schmutzwäsche führender Berliner Hotels nach Polen - und am nächsten Tag sauber gewaschen und gebügelt zurück. Eine Geschichte über Arbeit die auswandert. Und über Menschen, zu denen sie kommt. Eine Form des Outsourcing, wenn die Wäsche günstiger und schneller von einer Fremdfirma übernommen wird, obwohl Wäsche waschen zum täglichen Arbeitsablauf des Hotelgeschäfts gehört. Das ausgerechnet die Wäsche nach Polen gebracht wird, weil dort die Löhne niedriger sind, ist bedenklich, aber grundsätzlich nahe liegend bei der geographischen Nähe zu Berlin. Überwiegend geht es in diesem Dokumentarfilm um Menschen und deren Lebensverhältnisse in Polen. Insofern handelt es sich um ein ausgesprochen rhetorisches Mittel, wenn  Polen als Partner der Europäischen Union beschrieben werden, aber der Widerspruch zwischen arm und reich zwischen Polen und Deutschen erkannt wird. In Wirklichkeit kann es doch nur darum gehen, die Arbeitsplätze auch in Zukunft zu erhalten. Die Menschen sind abhängig von den Arbeitsplätzen, weil sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen. Während gleichzeitig in Deutschland ein Großunternehmen nach dem anderen wegen der Finanzkrise in Insolvenz geht und seine Arbeitnehmer auf die Straße schickt.

Text und Foto: Piffl Medien

Die wenigsten Gäste der Berliner Nobelhotels haben eine Vorstellung davon, welche Reise die frischen Laken und Handtücher ihrer Zimmer hinter sich haben, wenn sie jeden Morgen gegen die angefallene Schmutzwäsche ausgewechselt werden. Ein Dutzend Lastwagen pendelt täglich zwischen Berlin und der polnischen Kleinstadt Gryfino hin und her. Dort steht, gleich neben dem Kraftwerk, von dem der heiße Dampf bezogen wird, die deutsche Wäscherei »Fliegel«. Vierhundert polnische Mitarbeiter sorgen hier zu niedrigen Löhnen und rund um die Uhr dafür, dass die Container aus Berlin innerhalb von vierundzwanzig Stunden mit sauberer Wäsche gefüllt zurück in der deutschen Hauptstadt sind. »Die wundersame Welt der Waschkraft« ist eine Geschichte über Arbeit, die ausgewandert ist, und über die Menschen, die sie Tag für Tag erledigen.

 

Monika, die genau wie ihr Mann Schicht arbeitet und sich um die Zukunft ihrer Tochter Marta sorgt, seit die ihren Job in der Wäscherei verloren hat. Beata, eine allein erziehende Mutter, die mit ihrem Freund und dessen Ex-Frau unter einem Dach lebt und versucht, mit ihren drei Kindern über die Runden zu kommen. Und Beatas Mutter Lidia, die ein wenig Geld dazu verdienen will und sich in den Kopf gesetzt hat, ein halbes Jahr nach England zu fahren, um dort Tulpen einzutopfen. Drei Generationen von Frauen, ein gemeinsamer, bescheidener Traum: privates Glück, ein eigenes Haus, eine Familie. Und der Wunsch, dass es den Kindern einmal besser gehen soll. Fünf Jahre nach Polens Beitritt zur Europäischen Union ist die Grenze nach Deutschland offen, aber die schöne Welt der Berliner Fünf-Sterne-Hotels ist immer noch ein gutes Stück entfernt.

 

Interview mit Hans-Christian Schmid

 

Warum haben Sie erst jetzt wieder, 16 Jahre nach Ihrem Abschlussfilm einen Dokumentarfilm gemacht?

Nach meinem Abschluss an der HFF Anfang der 90er, war es sehr schwer, Dokumentarfilme zu finanzieren. Im Kino kam der Dokumentarfilm kaum vor, und die wenigen Sendeplätze, die es damals gab, waren von einer Handvoll Filmemachern besetzt, die in schöner Regelmäßigkeit ihre Beiträge ablieferten. Ich wollte damals einen Dokumentarfilm über eine innerkirchliche Sekte, das Engelwerk, drehen, hatte schon recherchiert und auch ein Treatment geschrieben, das ich aber nirgends unterbrachte. Als dann von der Redaktion „Debüt im Dritten“ der Vorschlag kam, eine fiktive Geschichte zu erzählen, ging ich auf das Angebot ein. So entstand das Fernsehspiel „Himmel und Hölle“. Der Kontakt zur Redaktion war gut, und zwei Jahre später konnte ich im Rahmen dieser Nachwuchsreihe „Nach fünf im Urwald“ drehen. Später habe ich immer wieder Anläufe unternommen, Dokumentarfilme zu drehen. Ich wollte einen Film über illegal eingereiste Flüchtlinge am Frankfurter Flughafen machen, aber bei der Recherche stellte sich heraus, dass die Aufnahmen diese Menschen in ihren Herkunftsländern gefährdet hätten. Und ich war vor ein paar Jahren in Tel Aviv und London, wo ich einen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter der englischen Armee besucht habe, der in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs Kindertransporte ermöglicht hatte. Er war aber schon sehr alt, man hätte ihm keine Filmaufnahmen mehr zumuten können. Mit der „Wundersamen Welt der Waschkraft“ war dann alles ganz einfach: Ich habe einen Artikel über diese Reise der Wäsche in der Zeitung gelesen und wusste sofort, dass ich das machen wollte. Ich habe mich mit der Autorin getroffen und dann das Exposé geschrieben. Mir kam das fast wie eine nicht verfilmte Episode von „Lichter“ vor. Als ob wir genau diese Geschichte noch vergessen hätten.

 

Woher kommt Ihr ausgeprägtes Interesse an Polen?

Mein Interesse an Polen fing vor zehn Jahren im Keller eines Jugendclubs in einer Kleinstadt irgendwo im Taunus an. Michael Gutmann und ich recherchierten für seinen Film „Herz im Kopf“ und trafen dort polnische Au-Pairs mit ihren deutschen Freunden. Eine Welt für sich, von der wir wenig wussten. Ein paar Jahre später, beim Studentenfilmfest in München, wurde ich auf Bogumił Godfrejów, einen jungen polnischen Kameramann aufmerksam. Wir drehten „Lichter“ zusammen, ich war bei seiner Hochzeit in Krakau, danach für ein paar Tage an der Ostseeküste bei Danzig. Im Jahr danach habe ich Kamera bei einem Dokumentarfilm von Michael Gutmann gemacht. Wir sind mit seiner Mutter und seiner Tochter nach Klodzko in Niederschlesien gefahren, wo die Familie bis zum Abtransport der Schmutzwäsche, Hyatt Berlin Beata verabschiedet ihre Mutter Lidia, die zum Arbeiten nach England geht Ende des Zweiten Weltkriegs gelebt hatte. Michaels Mutter Kriemhild war damals dreizehn, so alt wie seine älteste Tochter zur Zeit der Filmaufnahmen. Kurz nach Gründung von 23/5 schließlich kam Robert Thalheim mit „Am Ende kommen Touristen“ auf uns zu. Ich hatte ihn kurz zuvor in einem Kino in Slubice kennengelernt, in dem „Lichter“ und Roberts Kurzfilm „Granica“ gezeigt wurden, die beide in Frankfurt/Oder und Slubice spielen. Als ich dann vor knapp zwei Jahren über die deutsche Wäscherei Fliegel las, die in Polen für die Berliner Fünf-Sterne-Hotels waschen lässt, war das so, als ob sich ein Kreis schließen würde, vom ukrainischen Flüchtling Kolja, der in der Abenddämmerung Fotos von den Hochhäusern am Potsdamer Platz macht, zu Wladislaw, der früh am Morgen mit seinem LKW voller Wäsche den Potsdamer Platz hinter sich lässt, auf dem Weg zur deutsch-polnischen Grenze.

 

Wie hat sich die Arbeit an „Waschkraft“ entwickelt – wie „fertig“ war das Konzept vor Drehbeginn?

Unser Konzept war offen. Im Vergleich zur Arbeit an Spielfilmen fand ich das reizvoll. Zum Glück lässt sich nicht voraussagen, was über den Zeitraum von ein paar Monaten im Leben der Menschen, die wir portraitieren wollen, passieren wird. Man kann vorab nur so etwas wie eine Absichtserklärung formulieren, in Hinblick auf das, was man gern erreichen oder zeigen möchte.

 

Worin sehen sie den größten Unterschied zur Arbeit an einem Spielfilm?

Man kann weniger planen. Es gibt kein Drehbuch und vieles von dem was passiert, ist einfach unvorhersehbar. Das macht den Reiz aus. Gleichzeitig bedeutet es, dass man hellwach sein muss, weil sich nichts wiederholen lässt. Ich fand es sehr unkompliziert, morgens mit zwei Begleitern und dem kompletten Equipment in ein Auto zu steigen und loszufahren, oft mit nichts weiter als der losen Verabredung: „Wir kommen heute mal vorbei und sehen, was passiert.“ Man sammelt Material, ohne eine abgeschlossene Vorstellung der Dramaturgie im Kopf, die Arbeit am Schneidetisch hat mehr Gewicht als der Schnitt eines Spielfilms.

 

Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden? Was waren Ihre Kriterien für die Auswahl?

Wir hatten uns das ganz einfach vorgestellt: Wir wollten mit einer Videokamera in die Wäscherei und alle befragen, die sich in eine Liste eingetragen hatten, die dort aushing. Es gibt etwa 400 Wäscherinnen bei Fliegel. Wir dachten, eine Woche würde reichen, wenn wir diese Vorgespräche im Zwanzig- Minuten-Takt führen. Als wir ankamen, stand ein einziger Name auf der Liste. Und das nur, weil eine Freundin dieser Frau einen Streich spielen wollte und sie ohne ihr Wissen eingetragen hatte. Ein Grund für die geringe Bereitschaft, sich zu beteiligen, war sicher, dass durch die Gespräche mit uns Arbeitszeit verloren geht. Die Arbeiterinnen in den einzelnen Schichten können Sonderzulagen bekommen, wenn sie ein besonders hohes Pensum bewältigen. Wir sind dann einfach sehr hartnäckig geblieben und haben über mehrere Tage hinweg Wäscherinnen, die uns interessant erschienen, einzeln angesprochen. Zum Teil sah das wahrscheinlich so aus, als würden wir ihnen regelrecht auflauern:

 

»Wo man auch hinhört, überall fehlt es an Geld. Und den Ärmsten geht es immer schlechter. Ich bin heilfroh über diesen Job hier. Sei er, wie er eben ist. Aber wie kommen irgendwie über die Runden damit.« (Monika)

 

»Fliegel ist eine Geschäftsidee. Niemand der Gründer war eigentlich Wäscher. Man hatte gewisse Ressourcen vor Ort, d.h. Arbeitskräfte waren in Polen relativ preiswert, Medien, Strom, Wasser, Dampf. Wir liegen direkt neben einem Kraftwerk. Bei diesem Kraftwerk ist Dampf ein Abfallprodukt der Stromproduktion. Und da kam dann die Idee: was kann man mit solchen Ressourcen machen? Wo habe ich einen hohen Personalaufwand? In einer Wäscherei hat man zwischen 45 und 50 % Personalaufwand der Gesamtkosten. Der reine Waschprozess, vorher das Sortieren, ist Handarbeit, weil es immer noch keine Maschinen gibt, die Kopfkissen von Bettlaken unterscheidet. Und so ist man auf Wäscherei gekommen.« (Herr Wiesemann)

 

»Heute in der globalisierten Welt gibt es auch im Winter Produkte, die es früher nicht gab. Aber die Qualität! Einmal im Jahr möchten wir etwas Heimisches essen, etwas Selbstgemachtes, von dem wir wissen, dass es gut ist.« (Andrzej)

 

Nach der Mittagspause standen wir neben dem Kaffeeautomaten und haben versucht, irgendwie ins Gespräch zu kommen. Letztlich konnten wir mit etwa vierzig Frauen kurze Gespräche führen. Meist zwischen Tür und Angel, vor oder nach der Arbeit in den Umkleideräumen, beim Warten auf den Bus, wann immer ein paar Minuten Zeit waren. Wir haben einfach gefragt, was sie über ihre Arbeit denken, ob sie allein sind oder eine Familie haben, welche Wünsche, welche Sorgen sie haben, was sie glauben, dass in den nächsten Monaten auf sie zukommen könnte. Mit etwa zehn Frauen haben wir uns ein paar Wochen später ein zweites Mal getroffen, außerhalb der Firma, und uns mehr Zeit genommen. Wir wollten herausfinden, ob es auch nach ein, zwei Stunden noch etwas zu erzählen gibt, und wollten genauer wissen, wie die Zukunftspläne aussehen. Für Beata und Monika haben wir uns entschieden, weil wir das Gefühl hatten, dass sie in spannenden Phasen ihres Lebens stecken. Monika, frisch verheiratet und mit einer erwachsenen Tochter, die gerade ihren Job bei Fliegel gekündigt hatte. Und Beata mit ihren drei Kindern und einer Mutter, die vor hatte, ein halbes Jahr nach England zu gehen.

 

Wie genau hatten Sie das Konzept der Bildgestaltung vorher ausgearbeitet?

Mir fällt bei Dokumentarfilmen oft auf, dass sie im Kino keine richtige Wirkung entfalten. Vor allem weil inhaltliche Aspekte im Vordergrund stehen und dann einfach so mitgefilmt wird, meist auf Video. Das setzt sich auch im Schnitt fort. Man braucht eine Möglichkeit, um von einer Interviewpassage zur nächsten zu kommen und schneidet dann eben irgendwo hin. Mir kommt das oft sehr lieblos vor. Ich mag die Dokumentarfilme des „Direct Cinema“, die in einer Zeit entstanden sind, als man die Technik hatte, um Ton getrennt vom Bild aufzunehmen, und die 16-mm-Kameras so handlich wurden, dass man sie einfach auf die Schulter nehmen konnte. Genau so wollte ich das auch für dieses Projekt. Wir haben letztlich nicht viel anders gearbeitet als bei unserem Spielfilm „Lichter“. Bogumił hatte die Kamera auf der Schulter und versucht, das was sich abspielt, so gut wie möglich mitzubekommen. Mit dem Unterschied, dass er bei „Lichter“ wusste, was passieren würde, bei „Waschkraft“ nicht.

 

Hat Ihr Kameramann Bogumił Godfrejów schon öfters dokumentarisch gearbeitet?

Ja, ich kannte zwei Dokumentarfilme von ihm, bevor wir mit „Waschkraft“ anfingen. Einen kurzen und einen mittellangen Film, die an der Filmschule in Lodz entstanden waren. Sehr ausdrucksstarke Filme, die fast nur von ihren Bildern und der genauen Beobachtung leben.

 

Wie ist das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihren Protagonistinnen entstanden, die Sie so nahe auch in ihr privates Leben haben kommen lassen?

Hier kommt Bogumił natürlich eine wichtige Rolle zu. Da ich nur ganz wenig Polnisch spreche, war mir klar, dass ich diesen Film nur gemeinsam mit ihm machen würde. Er war einfach so etwas wie ein Mittler zwischen mir und den Protagonisten. Das Gleiche gilt für Malgorzata, die für mich übersetzt hat. Wir kannten uns schon von der Zusammenarbeit bei „Am Ende kommen Touristen“, und ich konnte darauf vertrauen, dass sowohl Bogumił wie auch Malgorzata wissen, worauf es mir ankommt und dass sie das unseren Protagonisten entsprechend vermitteln können. Im Film hört man, dass die meisten Fragen von Malgorzata kommen, manche von Bogumił, manche von mir. Wenn nur ich die Fragen gestellt hätte, wäre nie ein richtiger Gesprächsfluss entstanden, weil jede Antwort hätte übersetzt werden müssen. Also nahm ich in Kauf, dass die Gespräche eine Zeit lang ihren eigenen Verlauf nehmen, und habe Malgorzata gebeten, wenn eine Pause entstand, das bisher Besprochene für mich kurz zusammenzufassen. Eine richtige Entscheidung war es sicher auch, mit einem möglichst kleinen Team zu arbeiten. Wir waren zu dritt, und ich glaube, dass jede Person mehr gestört hätte. Für Bogumił war die Belastung extrem. Er musste sowohl die 16-mm-Kassetten selbst einund auslegen wie auch alle Aufgaben, die normalerweise ein Assistent erledigt, selbst übernehmen. Ich habe Ton gemacht, Malgorzata hat Fragen gestellt, übersetzt und die Pausen genutzt, um die weiteren Termine zu koordinieren.

 

 

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vom  13. Juni 2009