Die
wenigsten Gäste der Berliner Nobelhotels haben eine Vorstellung davon,
welche Reise die frischen Laken und Handtücher ihrer Zimmer hinter sich
haben, wenn sie jeden Morgen gegen die angefallene Schmutzwäsche
ausgewechselt werden. Ein Dutzend Lastwagen pendelt täglich zwischen
Berlin und der polnischen Kleinstadt Gryfino hin und her. Dort steht,
gleich neben dem Kraftwerk, von dem der heiße Dampf bezogen wird, die
deutsche Wäscherei »Fliegel«. Vierhundert polnische Mitarbeiter sorgen
hier zu niedrigen Löhnen und rund um die Uhr dafür, dass die Container
aus Berlin innerhalb von vierundzwanzig Stunden mit sauberer Wäsche
gefüllt zurück in der deutschen Hauptstadt sind. »Die wundersame Welt
der Waschkraft« ist eine Geschichte über Arbeit, die ausgewandert ist,
und über die Menschen, die sie Tag für Tag erledigen.
Monika, die genau wie ihr Mann Schicht arbeitet und sich um die Zukunft
ihrer Tochter Marta sorgt, seit die ihren Job in der Wäscherei verloren
hat. Beata, eine allein erziehende Mutter, die mit ihrem Freund und
dessen Ex-Frau unter einem Dach lebt und versucht, mit ihren drei
Kindern über die Runden zu kommen. Und Beatas Mutter Lidia, die ein
wenig Geld dazu verdienen will und sich in den Kopf gesetzt hat, ein
halbes Jahr nach England zu fahren, um dort Tulpen einzutopfen. Drei
Generationen von Frauen, ein gemeinsamer, bescheidener Traum: privates
Glück, ein eigenes Haus, eine Familie. Und der Wunsch, dass es den
Kindern einmal besser gehen soll. Fünf Jahre nach Polens Beitritt zur
Europäischen Union ist die Grenze nach Deutschland offen, aber die
schöne Welt der Berliner Fünf-Sterne-Hotels ist immer noch ein gutes
Stück entfernt.
Interview mit Hans-Christian Schmid
Warum haben Sie erst jetzt wieder, 16 Jahre nach Ihrem Abschlussfilm
einen Dokumentarfilm gemacht?
Nach meinem Abschluss an der HFF Anfang der 90er, war es sehr schwer,
Dokumentarfilme zu finanzieren. Im Kino kam der Dokumentarfilm kaum vor,
und die wenigen Sendeplätze, die es damals gab, waren von einer Handvoll
Filmemachern besetzt, die in schöner Regelmäßigkeit ihre Beiträge
ablieferten. Ich wollte damals einen Dokumentarfilm über eine
innerkirchliche Sekte, das Engelwerk, drehen, hatte schon recherchiert
und auch ein Treatment geschrieben, das ich aber nirgends unterbrachte.
Als dann von der Redaktion „Debüt im Dritten“ der Vorschlag kam, eine
fiktive Geschichte zu erzählen, ging ich auf das Angebot ein. So
entstand das Fernsehspiel „Himmel und Hölle“. Der Kontakt zur Redaktion
war gut, und zwei Jahre später konnte ich im Rahmen dieser
Nachwuchsreihe „Nach fünf im Urwald“ drehen. Später habe ich immer
wieder Anläufe unternommen, Dokumentarfilme zu drehen. Ich wollte einen
Film über illegal eingereiste Flüchtlinge am Frankfurter Flughafen
machen, aber bei der Recherche stellte sich heraus, dass die Aufnahmen
diese Menschen in ihren Herkunftsländern gefährdet hätten. Und ich war
vor ein paar Jahren in Tel Aviv und London, wo ich einen ehemaligen
Geheimdienstmitarbeiter der englischen Armee besucht habe, der in den
letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs Kindertransporte ermöglicht hatte.
Er war aber schon sehr alt, man hätte ihm keine Filmaufnahmen mehr
zumuten können. Mit der „Wundersamen Welt der Waschkraft“ war dann alles
ganz einfach: Ich habe einen Artikel über diese Reise der Wäsche in der
Zeitung gelesen und wusste sofort, dass ich das machen wollte. Ich habe
mich mit der Autorin getroffen und dann das Exposé geschrieben. Mir kam
das fast wie eine nicht verfilmte Episode von „Lichter“ vor. Als ob wir
genau diese Geschichte noch vergessen hätten.
Woher
kommt Ihr ausgeprägtes Interesse an Polen?
Mein Interesse an Polen fing vor zehn Jahren im Keller eines Jugendclubs
in einer Kleinstadt irgendwo im Taunus an. Michael Gutmann und ich
recherchierten für seinen Film „Herz im Kopf“ und trafen dort polnische
Au-Pairs mit ihren deutschen Freunden. Eine Welt für sich, von der wir
wenig wussten. Ein paar Jahre später, beim Studentenfilmfest in München,
wurde ich auf Bogumił Godfrejów, einen jungen polnischen Kameramann
aufmerksam. Wir drehten „Lichter“ zusammen, ich war bei seiner Hochzeit
in Krakau, danach für ein paar Tage an der Ostseeküste bei Danzig. Im
Jahr danach habe ich Kamera bei einem Dokumentarfilm von Michael Gutmann
gemacht. Wir sind mit seiner Mutter und seiner Tochter nach Klodzko in
Niederschlesien gefahren, wo die Familie bis zum
Abtransport der Schmutzwäsche, Hyatt Berlin Beata verabschiedet ihre
Mutter Lidia, die zum Arbeiten nach England geht
Ende des Zweiten Weltkriegs gelebt hatte. Michaels Mutter Kriemhild war
damals dreizehn, so alt wie seine älteste Tochter zur Zeit der
Filmaufnahmen. Kurz nach Gründung von 23/5 schließlich kam Robert
Thalheim mit „Am Ende kommen Touristen“ auf uns zu. Ich hatte ihn kurz
zuvor in einem Kino in Slubice kennengelernt, in dem „Lichter“ und
Roberts Kurzfilm „Granica“ gezeigt wurden, die beide in Frankfurt/Oder
und Slubice spielen. Als ich dann vor knapp zwei Jahren über die
deutsche Wäscherei Fliegel las, die in Polen für die Berliner
Fünf-Sterne-Hotels waschen lässt, war das so, als ob sich ein Kreis
schließen würde, vom ukrainischen Flüchtling Kolja, der in der
Abenddämmerung Fotos von den Hochhäusern am Potsdamer Platz macht, zu
Wladislaw, der früh am Morgen mit seinem LKW voller Wäsche den Potsdamer
Platz hinter sich lässt, auf dem Weg zur deutsch-polnischen Grenze.
Wie hat sich die Arbeit an „Waschkraft“ entwickelt – wie „fertig“ war
das Konzept vor Drehbeginn?
Unser Konzept war offen. Im Vergleich zur Arbeit an Spielfilmen fand ich
das reizvoll. Zum Glück lässt sich nicht voraussagen, was über den
Zeitraum von ein paar Monaten im Leben der Menschen, die wir
portraitieren wollen, passieren wird. Man kann vorab nur so etwas wie
eine Absichtserklärung formulieren, in Hinblick auf das, was man gern
erreichen oder zeigen möchte.
Worin sehen sie den größten Unterschied zur Arbeit an einem Spielfilm?
Man kann weniger planen. Es gibt kein Drehbuch und vieles von dem was
passiert, ist einfach unvorhersehbar. Das macht den Reiz aus.
Gleichzeitig bedeutet es, dass man hellwach sein muss, weil sich nichts
wiederholen lässt. Ich fand es sehr unkompliziert, morgens mit zwei
Begleitern und dem kompletten Equipment in ein Auto zu steigen und
loszufahren, oft mit nichts weiter als der losen Verabredung: „Wir
kommen heute mal vorbei und sehen, was passiert.“ Man sammelt Material,
ohne eine abgeschlossene Vorstellung der Dramaturgie im Kopf, die Arbeit
am Schneidetisch hat mehr Gewicht als der Schnitt eines Spielfilms.
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden? Was waren Ihre Kriterien für
die Auswahl?
Wir hatten uns das ganz einfach vorgestellt: Wir wollten mit einer
Videokamera in die Wäscherei und alle befragen, die sich in eine Liste
eingetragen hatten, die dort aushing. Es gibt etwa 400 Wäscherinnen bei
Fliegel. Wir dachten, eine Woche würde reichen, wenn wir diese
Vorgespräche im Zwanzig- Minuten-Takt führen. Als wir ankamen, stand ein
einziger Name auf der Liste. Und das nur, weil eine Freundin dieser Frau
einen Streich spielen wollte und sie ohne ihr Wissen eingetragen hatte.
Ein Grund für die geringe Bereitschaft, sich zu beteiligen, war sicher,
dass durch die Gespräche mit uns Arbeitszeit verloren geht. Die
Arbeiterinnen in den einzelnen Schichten können Sonderzulagen bekommen,
wenn sie ein besonders hohes Pensum bewältigen. Wir sind dann einfach
sehr hartnäckig geblieben und haben über mehrere Tage hinweg
Wäscherinnen, die uns interessant erschienen, einzeln angesprochen. Zum
Teil sah das wahrscheinlich so aus, als würden wir ihnen regelrecht
auflauern:
»Wo man auch hinhört,
überall fehlt es an Geld. Und den Ärmsten geht es immer schlechter. Ich
bin heilfroh über diesen Job hier. Sei er, wie
er eben ist. Aber wie kommen irgendwie über die Runden damit.«
(Monika)
»Fliegel ist
eine Geschäftsidee. Niemand der Gründer war eigentlich Wäscher. Man
hatte gewisse Ressourcen vor Ort, d.h. Arbeitskräfte waren in Polen
relativ preiswert, Medien, Strom, Wasser, Dampf. Wir liegen direkt neben
einem Kraftwerk. Bei diesem Kraftwerk ist Dampf ein Abfallprodukt der
Stromproduktion. Und da kam dann die Idee: was kann man mit solchen
Ressourcen machen? Wo habe ich einen hohen Personalaufwand? In einer
Wäscherei hat man zwischen 45 und 50 % Personalaufwand der Gesamtkosten.
Der reine Waschprozess, vorher das Sortieren, ist Handarbeit, weil es
immer noch keine Maschinen gibt, die Kopfkissen von Bettlaken
unterscheidet. Und so ist man auf Wäscherei gekommen.«
(Herr
Wiesemann)
»Heute in der globalisierten
Welt gibt es auch im Winter Produkte, die es früher nicht gab. Aber die
Qualität! Einmal im Jahr möchten wir etwas Heimisches essen, etwas
Selbstgemachtes, von dem wir wissen, dass es gut ist.« (Andrzej)
Nach der
Mittagspause standen wir neben dem Kaffeeautomaten und haben versucht,
irgendwie ins Gespräch zu kommen. Letztlich konnten wir mit etwa vierzig
Frauen kurze Gespräche führen. Meist zwischen Tür und Angel, vor oder
nach der Arbeit in den Umkleideräumen, beim Warten auf den Bus, wann
immer ein paar Minuten Zeit waren.
Wir haben einfach gefragt, was sie über ihre Arbeit denken, ob sie
allein sind oder eine Familie haben, welche Wünsche, welche Sorgen sie
haben, was sie glauben, dass in den nächsten Monaten auf sie zukommen
könnte. Mit etwa zehn Frauen haben wir uns ein paar Wochen später ein
zweites Mal getroffen, außerhalb der Firma, und uns mehr Zeit genommen.
Wir wollten herausfinden, ob es auch nach ein, zwei Stunden noch etwas
zu erzählen gibt, und wollten genauer wissen, wie die Zukunftspläne
aussehen. Für Beata und Monika haben wir uns entschieden, weil wir das
Gefühl hatten, dass sie in spannenden Phasen ihres Lebens stecken.
Monika, frisch verheiratet und mit einer erwachsenen Tochter, die gerade
ihren Job bei Fliegel gekündigt hatte. Und Beata mit ihren drei Kindern
und einer Mutter, die vor hatte, ein halbes Jahr nach England zu gehen.
Wie genau hatten Sie das Konzept der Bildgestaltung vorher
ausgearbeitet?
Mir fällt bei Dokumentarfilmen oft auf, dass sie im Kino keine richtige
Wirkung entfalten. Vor allem weil inhaltliche Aspekte im Vordergrund
stehen und dann einfach so mitgefilmt wird, meist auf Video. Das setzt
sich auch im Schnitt fort. Man braucht eine Möglichkeit, um von einer
Interviewpassage zur nächsten zu kommen und schneidet dann eben irgendwo
hin. Mir kommt das oft sehr lieblos vor. Ich mag die Dokumentarfilme des
„Direct Cinema“, die in einer Zeit entstanden sind, als man die Technik
hatte, um Ton getrennt vom Bild aufzunehmen, und die 16-mm-Kameras so
handlich wurden, dass man sie einfach auf die Schulter nehmen konnte.
Genau so wollte ich das auch für dieses Projekt. Wir haben letztlich
nicht viel anders gearbeitet als bei unserem Spielfilm „Lichter“.
Bogumił hatte die Kamera auf der Schulter und versucht, das was sich
abspielt, so gut wie möglich mitzubekommen. Mit dem Unterschied, dass er
bei „Lichter“ wusste, was passieren würde, bei „Waschkraft“ nicht.
Hat Ihr Kameramann Bogumił Godfrejów schon öfters dokumentarisch
gearbeitet?
Ja, ich kannte zwei Dokumentarfilme von ihm, bevor wir mit „Waschkraft“
anfingen. Einen kurzen und einen mittellangen Film, die an der
Filmschule in Lodz entstanden waren. Sehr ausdrucksstarke Filme, die
fast nur von ihren Bildern und der genauen Beobachtung leben.
Wie ist das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihren Protagonistinnen
entstanden, die Sie so nahe auch in ihr privates Leben haben kommen
lassen?
Hier kommt Bogumił natürlich eine wichtige Rolle zu. Da ich nur ganz
wenig Polnisch spreche, war mir klar, dass ich diesen Film nur gemeinsam
mit ihm machen würde. Er war einfach so etwas wie ein Mittler zwischen
mir und den Protagonisten. Das Gleiche gilt für Malgorzata, die für mich
übersetzt hat. Wir kannten uns schon von der Zusammenarbeit bei „Am Ende
kommen Touristen“, und ich konnte darauf vertrauen, dass sowohl Bogumił
wie auch Malgorzata wissen, worauf es mir ankommt und dass sie das
unseren Protagonisten entsprechend vermitteln können. Im Film hört man,
dass die meisten Fragen von Malgorzata kommen, manche von Bogumił,
manche von mir. Wenn nur ich die Fragen gestellt hätte, wäre nie ein
richtiger Gesprächsfluss entstanden, weil jede Antwort hätte übersetzt
werden müssen. Also nahm ich in Kauf, dass die Gespräche eine Zeit lang
ihren eigenen Verlauf nehmen, und habe Malgorzata gebeten, wenn eine
Pause entstand, das bisher Besprochene für mich kurz zusammenzufassen.
Eine richtige Entscheidung war es sicher auch, mit einem möglichst
kleinen Team zu arbeiten. Wir waren zu dritt, und ich glaube, dass jede
Person mehr gestört hätte. Für Bogumił war die Belastung extrem. Er
musste sowohl die 16-mm-Kassetten selbst einund auslegen wie auch alle
Aufgaben, die normalerweise ein Assistent erledigt, selbst übernehmen.
Ich habe Ton gemacht, Malgorzata hat Fragen gestellt, übersetzt und die
Pausen genutzt, um die weiteren Termine zu koordinieren.
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