"Räume der Stadt"
(2008) will kollektives Buch sein mehr als
nur ein gewöhnlicher Sammelband. Das bedeutet, daß aus einer dreijährigen Zusammenarbeit verschiedene Autoren das gemeinsame Interesse
bekundet haben, um sich mit Stadt und deren
räumlichen Bedingtheiten und Wirkungen auseinanderzusetzen. Der Rahmen
für diese Zusammenarbeit wurde durch
die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
ermöglicht, die zunächst ein wissenschaftliches Netzwerk förderte und
die Drucklegung des Buches finanziell unterstützte. Zehn Mitglieder des
Netzwerkes konnten mit Hilfe dieser Förderung zweimal im Jahr
zusammentreffen und Gäste zu ihren Arbeitstagungen einladen. Mit dem
hier publizierten Band soll die aktuelle Diskussion zum Thema "Stadt"
bereichert werden. Neben Autoren zählen zu den Netzwerkmitgliedern
zahlreiche Wissenschaftler und Inhaber unterschiedlichster Lehrstühle an verschiedenen
europäischen Universitäten.
Genannt werden neben
vielen anderen Namen die von Vittorio Magnago Lampugnani
(Zürich); Eduard Führ (Architekturtheoretiker, BTU Cottbus); und
Alessandro Nova (Florenz). Personen, die sich zumindest an der
Organisation des Netzwerks und damit am Zustandekommen dieses Buches
beteiligt haben. Die Herausgeberin, Cornelia Jöchner
erläutert einführend den historisch
bedingten Ansatz, wenn sie sich auf die ältesten Stadtgründungen im
Altertum bezieht und diese näher schildert. Im Alten Testament fällt und
steht alles mit dem Turm zu Babel, der im AT als Ursache für die Entstehung
eines weit verbreiteten Völkergemischs angesehen wird, indem die
Mundarten der Erde in einem Durcheinander vermengt wurden. Diese ethnische
Verschiedenheit zeichnet aber "Stadt" erst aus.
Diversität und
Pluralität
sind nach Cornelia Jöchner auch die vorrangigen Kenzeichen
bei der Beschäftigung mit dem Thema.
Georg Simmel formuliert: zu Beginn der Moderne, daß
nicht der Raum, sondern die Gliederung und Einheit gesellschaftliche
Bedeutung erlangen können. Räume entstehen erst in der Wechselwirkung
zueinander, das was dazwischen ist, bedingt die Raumerfüllung. Simmels
These war, daß der städtische Raum einer Mehrfachbestimmung durch die
Unterschiedlichkeit sozialer Gruppen unterliegt.
Die Herausgeberin erschließt
sich diese Mehrdeutigkeit durch die
Janusköpfigkeit im städtischen Raum. Sie argumentiert mit Attributen aus
dem Klassischen Altertum, wenn sie die Zweigesichtigkeit der Räume
anspricht. Nicht unbeabsichtigt,
denn in großen Teilen beschäftigt sich der Band mit antiken Beispielen
städtischer Umgebungen. Obwohl hinzugefügt wird, der Sammelband will sich
nicht nach Regionen oder Epochen einteilen lassen, sondern verfolgt ausschließlich
räumliche Kategorien. Cornelia Jöchner unterscheidet hierbei Örtlichkeiten wie Innen und Außen
und setzt damit auf das Raumgebilde selbst. Wodurch sich die Architektur und
die Skulptur übrigens unterscheiden, wie dies Städtebauer Fritz Schumacher
nahe legt. Er läßt zudem deutlich werden, wie stark der Faktor Bewegung
der entscheidende
Modus zwischen den Räumen ist.
Von wesentlicher Bedeutung bei
Cornelia Jöchner ist die Stadtgrenze. Unter der
Rubrik Grenze und Territorium nehmen die Beiträge ihren
Ausgangspunkt. Bei der Herstellung von Stadt hat auch Sprache ein
gewisses Mitspracherecht. Fünf Beiträge befassen sich mit Medialer Repräsentation
und dem Thema Vorstellung und Darstellung in der Stadt. Die
Raumordnung will Verbindungen zwischen den Orten herstellen, was bei
Mascha Bisping mit Hilfe alter Stadtpläne von Krefeld geschieht,
die im späten 18. Jahrhundert deutlich erkennbare Ordnungsmodelle
darstellen. Die politische Bedeutung von Stadt als eine gebaute Ordnung ist
das Interesse bei Ludger
Schwarte. Er wendet sich gegen eine ästhetisierende Sichtweise. Stadt
selbst kann auch zum Medium des Theaters werden, wie dies bei Thomas
Steiert anhand der Salzburger Festspiele untersucht wird. Kumulative
Textur erkennt Kerstin Pinther am Beispiel afrikanischer Städte
Accra und Kumasi in Ghana. Mit den Fragestellungen über die Wechselwirkungen der
Räume befassen sich insgesamt 17 Beiträge, die mit unterschiedlichen
Ansätzen und Methoden der Autoren argumentieren. Nach dem bebilderten
Textteil finden sich am Schluß mehrere Seiten mit Farbabbildungen, wobei
diese farbigen Abbildungen Wiederholungen sind, die im Textcorpus ihr
Gegenstück in s/w haben.
Der Beitrag von Monika
Wagner beschäftigt sich mit den Strategien sozialistischer Festräume
in Städten der frühen DDR. In erster Linie waren es die Fassaden der
Gebäude auf den neu gestalteten Plätzen und Straßen mit lokalem Bezug
die Stilpluralismus generierten. Mit dem "Nationalen Aufbauwerk" sollten
die weitgehend zerstörten Innenstädte von Dresden, Magdeburg, Rostock
und Leipzig neue, großzügige "sozialistische Stadträume" erhalten. Damit
verbunden waren programmatische Umbenennungen in Stalin- oder
Marx-Engels-Allee.
Die Ausstattung der Festräume
gehorchte durch sein stilistisches Dekor der Doktrin vom "nationalen
Erbe". Die groß angelegte Kampagne für eine nationale Architektur folgte Stalins Konzept der Integration im Vielvölkerstaat
Sowjetunion. Walter Ulbricht sah es jedoch als vordringliche Aufgabe
"eine deutsche Architektur" zu entwickeln. Die Kampagne richtete sich
gegen den Kosmopolitismus des neuen Bauens im Westen und seiner
angeblichen "Entmenschlichung der Fassaden". Das propagierte nationale
Erbe meinte genau genommen ein regionales Repertoire der Schmuckformen.
In Berlin spielten für den Aufbau der Stalinallee vor allem
Versatzstücke aus Schinkels Bauakademie und dem Feilnerhaus als
Leitbilder eine zentrale Rolle. In der grundlegenden Schrift zum
"Nationalen Aufbauwerk" erwähnte Ulbricht unterschiedliche Stilepochen,
ließ aber den Barock aus. Für Dresden mußte deshalb eine eigene Lösung
gefunden werden.
Diese Strategie der
Architektur verfolgte das Ziel als qualitative Veränderung gegenüber
"kunstlosen" Modernismen der BRD verstanden zu werden.
Insofern wird die Architektur mißbräuchlich als Mittel der Macht
verwendet. Dies drückt sich
an den handwerklichen Oberflächen der Bauten aus, wenn z.B. eine
Kachelverkleidung den Platz der Berliner Stalinallee bedeckte, wofür 365
verschiedene Formteile verwandt wurden. Die Herausbildung des sozialistischen
Festraums sollte nicht allein durch die architektonische Gestaltung
erfolgen, sondern von vornherein durch die Beteiligung der
ungezählten Aufbauhelfer beim Beseitigen der Kriegstrümmer mithelfen.
Die Beschäftigung mit der
Architektur der früheren DDR ist interessant geworden, weil immer mehr
Bausubstanz dieser Epoche verloren geht. Zum einen, weil die DDR nicht mehr
existiert und dessen ideologisches Programm abgeschafft ist. Zum anderen
hat es zu Folge, daß Bauten mit DDR Programmatik abgerissen
werden und aus der Landschaft verschwinden. Bestes Beispiel hiefür ist
der abgerissene Palast der Republik an dessen Stelle das alte Berliner Stadtschloß neu ersteht.
Hier findet auch etwas wie Geschichtsglättung statt, wenn sich westliches knowhow über gebaute Substanz der früheren DDR setzt.
Nicht Thema des Aufsatzes von
Monika Wagner ist die Beschäftigung mit sozialistischer Architektur im
Zusammenhang mit dem Roman "Franziska Linkerhand" von Brigitte Reimann,
in welchem sich eine Architektin kritisch mit sozialistischen Bauformen
auseinandersetzt. Das Buch wurde zu DDR Zeiten nur in einer zensierten
Version publiziert. Der vollständige Roman ist zuerst 1998 im Aufbau-Verlag erschienen. Im Roman werden sehr bildhaft Gedanken und Vorgänge
beschrieben, wie sie die Menschen empfanden, die in der DDR leben mußten.
Der Roman "Die Architekten" von Stefan Heym ist ebenso eine Auseinandersetzung
mit sozialistischer
Architektur, ein
Strukturalismus vom Anbeginn bis zum Niedergang der DDR mit machtpolitischer
Auswirkung.
Auch die Beschäftigung mit
Plattenbausiedlungen der früheren DDR liegt außerhalb von Monika Wagners
Aufsatz. Die Analyse solcher Siedlungen mit der sich die
wissenschaftliche Arbeit einer Autorin an der UdK in Berlin
auseinanderzusetzen versucht, dienen der Aufarbeitung des von Ulbricht
sogenannten "nationalen Erbe" in der früheren DDR. Das geht soweit, daß
isometrische Zeichnungen einem Atlas zur Untersuchung der
Plattenbausiedlung von Bitterfeld-Wolfen dienen, die erst nachträglich
zum Zwecke der Untersuchung angefertigt worden sind. Unter der
Überschrift "Urbane Identitäten" soll hier ein Stück Identität
zurückgewonnen werden, für das, was früher einmal Marktplatz der
Sehnsüchte von Menschen bedeutete und verständlicherweise immer mehr westlichem knowhow weichen soll.
Inhalt des
Buches
Grenze und Territorium
Felix Pirson
Das Territorium der
hellenistischen Residenzstadt Pergamon.
Herrschaftlicher Anspruch als
raumbezogene Strategie
Robert Born
Spätantike Stadtgrenzen und
Chritianisierung
in Historia und Tropaeum
Traiani
Cornelia Jöchner
Ränder der Stadt, Ränder der
Nation. Das "historische" Architekturensemble
der Budapester
Milleniumsausstellung 1896
Innen-Außen-Beziehungen
Jörg Stabenow
Verortungen, Spiegelungen. Der
sakrale Innenraum als Element
der städtischen Raumordnung
Marion Limhardt
"Eidometropolis".
Raumerfahrungen im Londoner Unterhaltungstheater des 19. Jahrhunderts
Topologien der Stadt
Gerhard Vinken
Ort und Bahn. Die Räume der
modernen Stadt bei Le Corbusier und Rudolf Schwarz
Monika Wagner
Strategien der Beteiligung.
Zur Fabrikation "sozialistischer Festräume" in Städten der frühen DDR
Antje Schlottmann
Raum, Sprache, Stadt und Land
Räumliche Ordnungen
Mascha Bisping
"Manufaktur" oder Garten?
Krefeld im Prozess der Verlandschaftung zwischen kameralistischer und
liberalistischer Raumordnung
Jasper Cepl
Eine Vorstellung von der Stadt
als Kunstwerk.
Über Oswald Mathias Ungers und
seine Wege zur räumlichen Ordnung
Joachim Schlör
Religiöse Praxis als räumliche
Ordnung der Stadt.
Die jüdische "Sabbatgrenze" (Eruv)
Ludger Schwarte
Der geplante Aufstand.
Räumliche Unordnung der Stadt
Mediale Repräsentation
Tanja Michalsky
Gewachsene Ordnung.
Zur Chorographie Neapels in
der Frühen Neuzeit
Markus Bauer
"Czernowitz" - "Mitteleuropa".
Theater und Medien in der Produktion virtueller Räume
Thomas Steiert
"Durch das Medium dieser Stadt
verbinden wir die großen Kunstwerke der Menschheit mit dem Leben."
Zum Stadtbezug der Salzburger
Festspiele
Kirsten Wagner
Die visuelle Ordnung der
Stadt. Das Bild der Stadt bei Kevin Lynch
Kerstin Pinther
Accra Kumasi Beautiful.
Postkoloniale Stadtimages in Ghana
Räume der Stadt. Von der
Antike bis heute
Herausgegeben von Cornelia
Jöchner
mit 17 Beiträgen
Reimer Verlag, Berlin
1. Auflage (Oktober 2008)
386 Seiten, gebundene Ausgabe
Größe: 24,6 x 17,2 x 2,4 cm
Gewicht: 1000g
ISBN-10: 3496013931
ISBN-13: 978-3496013938
Die Bindung des Buches
zumindest des vorliegenden Exemplars läßt zu wünschen übrig. Die Leimung
der Seiten im Falz hält nicht was die Bindung verspricht.
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