If you have a mind, you can lose it

SOMEONE BESIDE YOU (CH 2006)

Dokumentarisches Roadmovie

 

Regie: Edgar Hagen

 

Mit den Ärzten Edward Podvoll (Lama Mingyur), Tilman Borghardt (Lama Lhundrup), Jakob Litschig und Eric Chapin

den Klienten Karen, Kaspar, Andrea u.a.

 

Ein Ventura Film, in der Produktion der maximage, Zürich

Bildformat: Farbe 35 mm, Tonformat: Dolby Digital

 

Originalsprache: Schweizer-Deutsch und Englisch

Untertitel: Deutsch

 

Spieldauer: 98 Minuten

 

Kinostart  07. Februar 2008

 

Zusammen mit einigen Psychiatern und deren Klienten bricht der Film zu einem dokumentarischen Roadmovie durch die Schweiz, Europa und die USA auf. In Wohnmobilen durchreisen sie die Abgründe der Psyche und gehen existenziellen Frage nach: Was ist der menschliche Geist? Wie verhält er sich in psychotischen Extremsituationen? In den USA begegnet Edgar Hagen dem buddhistischen Mönch und Psychiater Edward Podvoll, der nur noch wenige Monate zu leben hat. Seine Vision, daß Mut und Freundschaft die Kraft zur Heilung von Psychosen haben, ist sein inspirierendes Vermächtnis. Im Dialog zwischen westlicher Psychologie und östlicher Spiritualität eröffnet sich, daß auch aus größter Verwirrung heraus geistige Klarheit möglich wird.

Text und Foto: Ventura Film

Statement des Autors und Regisseurs Edgar Hagen
Wir sind fassungslos, wenn ein Mensch in seinen Grundfesten erschüttert wird, ausrastet und durchdreht. Unabhängig von Schicht, Alter und Geschlecht – es kann jedem passieren: Eine lange Beziehung geht in Brüche, ein Kind stirbt... und plötzlich landen sogenannte „gestandene Menschen“ auf einer geschlossenen Station. Das Umfeld ist in diesem Moment meist hilflos und oft voller Angst. Aber sobald die Krise überstanden ist, wird wieder verdrängt, was eigentlich passiert ist. Woher kommt diese Hilflosigkeit? Hat sie vielleicht damit zu tun, dass wir nicht wissen, was eigentlich passiert, wenn ein Mensch durchdreht und vor allem, wie er wieder normal wird? Wir wissen inzwischen sehr viel über Hirnstoffwechsel aber wenig über den Verstand oder den menschlichen Geist. Wie funktioniert er und wie verhält er sich in Extremsituationen? Wie kann er zurückgeholt werden, wenn er abgedriftet ist? Dieser Unsicherheit und allgemeinen Unwissenheit nachzugehen, war die Herausforderung dieses Films. Dieser Film erzählt vom menschlichen Geist, der durch Krisen hindurchgeht. Dabei geht es mir in erster Linie darum, das allmähliche Erwachen nach dem geistigen Zusammenbruch darzustellen und nicht, den Weg in den Wahn hinein zu zeigen. Möglich wurde dies durch die Fokussierung auf eine neuartige Vision, die aus altem Wissen eine gewandelte Einstellung zu geistiger Verwirrung und den Umgang damit ableitet – und das ist letztendlich für uns alle relevant.

 

"Die Vision ist die Auflösung der hierarchischen Struktur zwischen Therapeut und Klient"

 

 

Psychiater und Klienten

 

Edward Podvoll genannt Lama Mingyur (1936 -2003) ist Arzt, Psychiater, Psychoanalytiker und buddhistischer Lama. «Wer einen Verstand hat, kann ihn auch verlieren», ist eine von Podvolls Grundüberzeugungen. Als junger Psychiater macht er in der Tradition von Frieda Fromm-Reichmann (dem Vorbild der Ärztin in „I Never Promised You a Rose Garden“) schon früh die Erfahrung, dass Psychosen heilbar sind. Er fasst die Psychose als eine spirituelle Krise auf, nicht als eine unheilbare Krankheit, wie in vielen traditionellen Lehrmeinungen behauptet wird. Die Begegnung Podvolls mit dem Tibeter Chögyam Trungpa Rinpoche in den 70er Jahren und seine Auseinandersetzung mit buddhistischer Meditation stärkt dieses Vertrauen, dass Heilung auch aus extremsten Geisteszuständen heraus möglich ist. Podvoll wird zum Leiter des neuen Instituts für kontemplative Psychologie an der von Trungpa begründeten Naropa University in Boulder, Colorado.

 

Podvoll entdeckt sowohl durch den tibetischen Buddhismus als auch in gezielten Drogenexperimenten, dass jeder Mensch über einen gesunden Kern verfügt. Selbst in grösster Verwirrung ist es möglich, mit ihm in Kontakt zu treten. Diese Entdeckung ist der Schlüssel zur Heilung und das Fundament zum Windhorse-Projekt, das Podvoll 1981 in Boulder begründet. Zentral in diesem Projekt zur Behandlung und Heilung von Menschen in geistigen Extremzuständen ist auch die Bereitschaft des Therapeuten, seinen eigenen Geist zu erforschen, die Distanz zu dem Klienten aufzugeben und in völliger Offenheit in ein authentisches Verhältnis mit ihm zu treten. 1990 zieht sich Podvoll zu einem strikten Retreat in ein tibetisch-buddhistisches Kloster in Frankreich zurück. Buddhismus ist für ihn auch hier nie Religion, sondern eine Form von Tiefenpsychologie, die auf eine 2500jährige Tradition in der Betrachtung des menschlichen Geistes zurückblickt. Ende 2002 entschliesst sich Podvoll, inzwischen an Krebs erkrankt, in die USA zurückzukehren und dort sein Lebenswerk im Umfeld seiner Schüler im Windhorse- Projekt abzuschliessen. Einige Wochen vor seinem Tod kommt es im Herbst 2003 zu einer längeren filmischen Begegnung zwischen Edgar Hagen und Edward Podvoll, die zu einer Art Vermächtnis wird.

 

Jakob Litschig ist Arzt, Psychiater und Psychotherapeut in Zürich. Er hat eigene Psychose-Erfahrungen und verliert aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens 1997 die Lizenz, eine ärztliche Praxis zu führen. Sein persönliches Engagement gilt der Suche nach alternativen Ansätzen in der Psychiatrie, die die Heilungschancen von Psychosen radikal verbessern. Er ist u.a. Mitbegründer des Verbandes Psychose-Erfahrene Schweiz (VPECH) und des Psychose-Seminars Zürich, wo Betroffene über ihre Erschütterungen berichten. Eine wichtige Inspirationsquelle für seine
therapeutische Suche ist die Arbeit von Edward Podvoll.


In einem Wohnmobil als mobiler Forschungs- und Therapiestation begleitet Jakob Litschig im Film Kaspar, Andrea und Anonymus an die Orte, wo deren Psychosen ausbrachen. Jeder von ihnen erfuhr über viele Jahre hinweg unzählige Einweisungen in psychiatrische Kliniken. Was gemeinhin als völlig unfassbares, irrationales Geschehen – als Wahnsinn – aufgefasst wird, entschlüsseln sie im Film gemeinsam mit Jakob Litschig. Auf ihrer Reise durch die Schweiz und Italien entdecken sie, dass sowohl die Extremform der Gewalt gegen sich selbst als auch gegen Andere zunächst immer der verzweifelte Hilfeschrei eines Menschen ist, der durch seine Lebensumstände unter Druck geraten ist.

 

Karen lebt in Colorado. Bereits während ihrer College-Zeit erlebt sie die ersten Psychosen und wird mit 21 Jahren für drei Jahre in einer renommierten psychiatrischen Privatklinik in Kansas interniert. Ärzte bescheinigen ihr, dass sie unheilbar geisteskrank ist. Als Ausweg aus dieser Situation sieht sie nur die Flucht aus der Klinik. Sie springt aus dem zehnten Stockwerk eines Hochhauses und überlebt. Als sie später als Klientin zu Edward Podvoll nach Boulder kommt, ist diese Begegnung die Initial-Zündung für das Windhorse-Projekt. Gemeinsam mit Studenten richten sie den ersten „Windhorse-Haushalt“ ein. Karen ist nach wenigen Monaten geheilt und lebt inzwischen seit vielen Jahren ohne Psychopharmaka ein selbst bestimmtes Leben. Podvoll widmet Karen ein wichtiges Kapitel in seinem Buch „Verlockung des Wahnsinns“. Darin erzählt er den aufwühlenden und faszinierenden Weg zur Heilung, den sie gemeinsam zurücklegten. Im Herbst 2003 kommt es anlässlich des Besuchs von Edgar Hagen im Haus von Podvoll nach Jahren zu einer ersten Begegnung zwischen Karen und Podvoll. Karen entscheidet sich, zusammen mit dem Regisseur eine filmische Reise zu machen, die sie zurück an die Orte ihrer traumatischen Erlebnisse führen wird.

 

Tilman Borghardt genannt Lama Lhundrup ist Arzt und Retreatleiter im tibetischbuddhistischen Kloster Dhagpo Kundreul Ling in der Auvergne, Frankreich. Gemeinsam mit Edward Podvoll war er hier während drei Jahren in einem strikten Gruppenretreat. Lhundrup erlebte sowohl als Arzt als auch als Retreatleiter einige Menschen, die auf ihrer spirituellen Suche Psychosen erfuhren. Wie Podvoll definiert er Psychosen als einen extremen Zustand des Geistes. Mit großer Klarheit über die eigenen Extreme ließe sich seiner Meinung nach die Tür zur Heilung auch von schwersten Psychosen und chronisch gewordenen Schizophrenien aufstoßen. Lhundrup: «In der westlichen Tradition ist dieses Wissen verschüttet; wir sind zutiefst davon entfremdet.» Lhundrup führt im Film in die Welt der geistigen Selbsterforschung Podvolls ein und erläutert die neuartige Sichtweise in Podvolls Ansatz: die Verbindung von westlicher und östlicher Psychologie. Es geht nicht darum, Menschen zu pathologisieren, sondern sie auch in schwersten geistigen Krisen darin zu unterstützen, ihre gesunden Anteile zu entfalten.
 

Eric Chapin ist Psychotherapeut im Windhorse-Projekt in Boulder, Colorado. Er arbeitete während 13 Jahren in der forensichen Psychiatrie in El Paso, Texas, und sah sich dort mit unermesslichem, unbewältigtem Leiden konfrontiert. Ein Artikel von Edward Podvoll in einer Zeitschrift veranlasst ihn Mitte der achtziger Jahre, nach Boulder zu reisen und bei Podvoll zu studieren. Er will von ihm erfahren, wie sich schwerstes geistiges Leiden – oder Psychose – transformieren lässt. Inzwischen ist er einer der erfahrensten Psychotherapeuten im Windhorse-Projekt. Er unterrichtete auch während vielen Jahren als Nachfolger von Edward Podvoll an der Psychose- Klasse der Naropa University. Im Film entwickeln Chapin und Podvoll noch in einer gemeinsamen Veranstaltung ihre neue Auffassung von Psychotherapie.

 

In seiner Arbeit mit Klienten schreckt Eric Chapin vor keinen Schwierigkeiten zurück. Das unerschütterliche Vertrauen in die Gesundheit und Intelligenz seiner teilweise schwerstgestörten Klienten findet er u.a. in einer durch Podvoll inspirierten Retreat- Praxis, der er sich in einem alten Schulbus fernab in der Wildnis der Rocky Mountains regelmässig unterzieht. Von dort aus begleitet der Film Chapins faszinierenden Alltag, wie er seine Klientin Susan (51) zuhause besucht, die während vielen Jahren nicht mit ihm sprechen wollte und im Film nun gemeinsam mit ihm über Sinn und Zweck ihrer gemeinsamen Sitzungen reflektiert. Ein weiterer Klient ist Jonathan (47), der 20 Jahre seines Lebens immer wieder in Kliniken eingewiesen wurde und in Gefängnissen saß und heute in der Lage ist sein Leben zu reflektieren.

 

Schließlich kehrt der Film am Schluss zu Eric Chapins Schulbus zurück, dorthin wo die Asche von Podvoll seit seinem Tod im Dezember 2003 in einer kleinen orangen Dose ruht.
 

Drehorte
Schweiz:
- Zürich und Umgebung wie die Psychiatrische Universitätsklinik Burghölzli, Zürich
Italien:
- Reggio nell Emilia wie Ex-Ospedale Psichiatrico Giudiziario, Reggio nell’Emilia
- Genua und ligurische Küste
Frankreich:
- Biollet, Auvergne
- Kloster und Retreat-Zentrum Dhagpo Kundreul Ling
USA:
- Boulder, Colorado und Umgebung wie Haushalte und Wohnungen von Windhorse Community Services;
- Naropa University, Departement of Contemplative Psychology
- Rocky Mountains, Colorado wie Meditations-Räume im Shambala Mountain Center in Red Feather Lakes
- Interstate 70 zwischen Boulder, Colorado und Topeka, Kansas sowie das Gelände einer ehemaligen Privatklinik und der Jayhawk Tower in Topeka

 

 

 

Titelseite

vom  07. Februar 2008