Der
Film hat mir gefallen! Eigentlich hab ich ein Fabel für
skandinavische Filme, bei denen es oft um sozialkritische Themen
geht.
Das scheint beinahe eine Tradition zu sein. Ja, das Jugendlichen
Problem im Übergang zum Erwachsen werden auch Adoleszenz genannt,
finde ich, ist ein schwieriges aber schönes Thema, weil unweigerlich
Konflikte entstehen. Daran versucht sich der Film MEER IS NICH.
Einerseits die Arbeitslosigkeit des Vaters, andererseits soll ein
Familienleben aufrecht erhalten werden. Daß die junge Schlagzeugerin
die Prüfung einfach schmeißt, ist mir eine Spur zu widerspenstig,
weil ich nicht genau beurteilen kann, inwieweit das in meinem Sinn
oder sich gegen mich richtet? Die Wohnung und Höhle des Bruders war
prima und hat mich an etwas erinnert, was es zumindest in
Frankfurt nicht mehr gibt, weil diese Räume einfach nicht mehr
vorhanden sind, sondern über Makler und Firmen teuer vermietet
werden. In Berlin oder Leipzig, dort gibt's diese Hinterhöfe mit den
großen Ateliers noch, wo früher produzierendes Gewerbe untergebracht
war. MEER IS NICH ist ein Film über das nicht Angepaßtsein.
Bayerischer Filmpreis 2007 für Elinor Lüdde als beste
Nachwuchsdarstellerin. Elinor Lüdde
ist Jahrgang 1983 und vielseitig musisch interessiert. Sie sang in
verschiedenen Chören und trainierte Jazzdance. Von 1991 bis 1999
nahm sie Harfenunterricht und gewann 1993 und 1995 den
Regionalwettbewerb Westthüringen von „Jugend musiziert“. 1999
begleitete sie das Tanztheaterstück „Die Komödianten“ an der Harfe.
Mit der Figur der Lena verbindet sie so einiges: Von 1997 bis 2003
nahm sie Schlagzeugunterricht, seit 2000 zusätzlich noch
Gitarrenunterricht, und spielt seit 2003 Schlagzeug bei sleazy inc.
operated, der gemeinsamen Band mit Luise Kehm und Sandra Zänker. Sie
war als Schülerin Komparsin in Stücken des Deutschen
Nationaltheaters Weimar und stand für D.A.S. Jugendtheater auf der
Bühne. Zudem spielte Elinor Lüdde seit 1998 Rollen in Kurzfilmen.
Zum Inhalt
Lena will sich nicht anpassen, sie will keine Erwartungen erfüllen,
und sie lässt sich erst recht nicht ihren Lebensweg vorschreiben.
Sie rebelliert gegen Berufsberater, gegen Lehrer und gegen ihre
Eltern. Gemeinsam mit ihren Freundinnen Alex und Klara verbringt sie
die meiste Zeit, hängt rum, fährt zu Rockkonzerten oder macht Musik.
Bei einem Konzert beobachtet Lena, wie die Schlagzeugerin der Band
sich Kummer und Frust von der Seele spielt und fängt Feuer – auch
sie will Drummerin werden. Fortan spielt sie das Schlagzeug in ihrer
eigenen Band und nimmt durch einen glücklichen Zufall sogar
Schlagzeugunterricht in der Musikhochschule bei dem jungen und
energischen Lehrer Sascha. Außerdem begegnet Lena wieder dem
älteren Bruder ihrer Freundin Klara, Hans. Als sie sich das letzte
Mal sahen, war Lena noch ein Kind, doch ihre Faszination füreinander
ist ungebrochen und sofort wieder zu spüren. Zu Hause läuft es
hingegen nicht so gut. Lena weiß trotz Berufsberatung und Druck
seitens ihrer Eltern nicht, wie es nach der Schule weitergehen soll.
Sie weiß nicht einmal, ob sie die Schule überhaupt zu Ende machen
will. Ein Streit mit dem Vater, der am liebsten über Lenas Kopf
hinweg über eine Ausbildungsstelle entscheiden würde, mündet in
Handgreiflichkeiten. Die Begegnungen mit dem alten, charismatischen
Apel, der viel erlebt hat, helfen Lena, einen klaren Blick zu
bekommen. Sie fällt einige Entscheidungen. Sie zieht zu Hause aus
und nimmt die Dinge fortan selbst in die Hand. Lena hat endlich die
Chance, für ihren Traum zu kämpfen und zu beweisen, wie ernst es ihr
mit der Musik ist.
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Cast
Lena - Elinor Lüdde
Klara - Luise Kehm
Alex - Sandra Zänker
Anna - Rosalie Eberle
Lenas Vater - Thorsten Merten
Lenas Mutter - Ulrike Krumbiegel
Hans - Benjamin Strecker
Sascha - Sascha Schwegeler
Apel - Günter Naumann
Berufsberater - Peter Rauch
Klaras Mutter - Elke Wieditz |
Crew
Regie - Hagen Keller
Drehbuch - Hagen Keller
Kamera - Philipp Kirsamer
Schnitt - Monika Schindler
Produktionsdesign - Marc Oliver Lau
Kostüme - Gina Krauß
Ton - Marc Meusinger, Ansgar Frerich
Maske - Margot Redmann
Produzenten - Marcel Lenz, Guido Schwab
Redaktion - Wolfgang Voigt, Stefanie Groß
Produktionsleitung - Raik R. Böttcher
Casting - Simone Bär |
„Ich wollte
ein Stück dazu beitragen, das Ost-Klischee der fortwährenden
Plattenbausiedlung zu brechen.“ sagt Regisseur Hagen Keller zu
seinem Film
Wenn man sich Ihre
eigene, doch sehr vielfältige Biographie anschaut, kriegt man die
Idee, dass Ihr Debüt MEER IS NICH ein echtes Leib- und Magenthema
war. Ist das so?
Bei den Recherchen zu MEER
IS NICH habe ich Gespräche mit Jugendlichen geführt, deren Gedanken
mich sehr verwundert haben. Für mich hat sich in diesen Momenten
gezeigt, dass die Ansprüche der Eltern an ihre Kinder, die für meine
Generation noch das größere Problem waren, heute viel geringer sind,
als die Ansprüche, die junge Menschen aus der Gesellschaft heraus
erfahren. Von den Jugendlichen werden heute oft Standpunkte zu einem
Zeitpunkt abverlangt, die ich im Alter von 17 wahrscheinlich auch
nicht hätte einnehmen können. Für mich war es deshalb wichtig, eine
Geschichte zu erzählen, die Mut macht, eigene Entscheidungen zu
treffen, die man bereit ist zu verteidigen, und Wege nur dann zu
gehen, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. Ich musste auch erst
das Alter von 25 Jahren erreichen, um zu wissen, dass ich Fotograf
werden will, um dann mit fast 30 zu entscheiden, auch noch Regie zu
studieren. Ich glaube, dass die Erwartungen an Jugendliche heute oft
so hoch sind, dass die meisten schon bei der ersten Schwierigkeit
aufgeben, ohne je richtig gekämpft zu haben, weil sie nicht über das
nötige Selbstvertrauen und die Lebenserfahrung verfügen oder einfach
glauben, sie seien nicht gut genug. Deswegen war es mir wichtig, den
Jugendlichen mit Lenas Geschichte zu zeigen, dass der Weg oft das
Ziel ist, und das Scheitern dazu gehört. Lena ist am Ende unseres
Filmes keine erfolgreiche Drummerin im Sinne einer
Hollywood-Geschichte, dafür hat sie aber etwas Wichtiges gefunden,
nämlich ihren eigenen Weg und Selbstvertrauen.
Wie findet man eine
derart überzeugende, authentische Hauptdarstellerin wie Elinor Lüdde?
Ich kenne Eli schon sehr
lange und habe ihr Talent vor vielen Jahren als Fotograf erstmals
erkennen dürfen. Sie gehört zu denjenigen Menschen, deren
authentisches Wesen sich nicht durch die Anwesenheit einer Kamera
verändert. Dass da eine Filmkamera auch keinen Unterschied macht,
konnte ich in der Zusammenarbeit bei zwei meiner Kurzfilme erkennen
und war davon überzeugt, dass sie den Anforderungen an die Rolle der
Lena absolut gewachsen ist. Tief beeindruckt hat mich Elis
Verantwortungsgefühl gegenüber dem Film und der Rolle. Sie hat
einmal zu mir gesagt, dass es wahrscheinlich eine der größten
Herausforderungen ihres Lebens und ihrer persönlichen
Weiterentwicklung ist und sie die Rolle nur spielen wird, wenn sie
damit etwas erzählen kann, was ihr auch wichtig ist.
Sie haben markante
Nebenrollen mit bekannten DEFA-Schauspielern wie Günter Naumann und
Annekathrin Bürger besetzt. Eine Verbeugung vor einer selten
gewordenen Schauspiel-Qualität?
Ja, auf jeden Fall. Es gab
in der DDR Schauspieler wie Erwin Geschonneck, Jutta Hoffmann, Armin
Mueller-Stahl, Manfred Krug, Angelica Domröse und eben auch Günter
Naumann und Annekathrin Bürger, die in ihren Rollen an
Wahrhaftigkeit bzw. Glaubwürdigkeit meiner Meinung nach oft
unübertroffen sind und zu Helden meiner Kindheit wurden. Der
sogenannte Gegenwartsfilm hatte in der DDR eine sehr hohe Qualität,
besonders wegen seines hohen Grads an Authentizität. Und genau das
habe ich für die Figur des Apel bei Günter Naumann gesucht und
gefunden. Generell würde ich mir mehr Wahrhaftiges im heutigen Kino
wünschen. Und dass der Markt solche Filme vertragen kann, also wo
Kleines plötzlich ganz groß werden kann und einen direkten Bezug zum
Leben der Menschen hat, zeigt beispielsweise Sommer vorm Balkon. War
das Ihr ganz bewußter „Plan“, den Osten mal nicht Grau in Grau zu
zeigen, wie es gegenwärtig so gern von zahlreichen Nachwuchsfilmern
getan wird? In MEER IS NICH darf sogar die Sonne scheinen... MEER IS
NICH erzählt ja eine Geschichte mit einem universellen Thema, das
auch Jugendliche über die ostdeutschen Bundesländer hinaus
interessieren wird. Unser Plan war nicht, den Osten nicht grau zu
zeigen, sondern unser Plan war, eine Geschichte eines ganz normalen
Mädchens in einem ganz normalen Umfeld zu zeigen, jenseits von
Alkohol und Drogen. Außerdem war es uns wichtig, dass der Film nicht
an der visuell stereotypen Darstellung des Ostens scheitert.
Deswegen gibt es in MEER IS NICH den Osten zu sehen, wie er eben
auch ist, und da scheint im Sommer manchmal auch die Sonne. Wir
konnten damit hoffentlich ein Stück dazu beitragen, dieses Klischee
der fortwährenden Plattenbausiedlung zu brechen.
Die Kraft lauter Musik
spielt eine entscheidende Rolle in Ihrem Film. Ein bewußtes Bild
gegen das ausgediente Klischee, dass Mädchen brav, strebsam und gut
sein sollen?
Ich bin der Meinung, dass
wir über die Zeit schon hinweg sind, wo dieses Mädchenbild existiert
hat. Ich bin auch der Meinung, dass Musik für Jugendliche generell
eine herausragende Rolle spielt, um sich von der Welt, insbesondere
der von Erwachsenen, abzugrenzen. Vielleicht nimmt Musik in dem
Alter sogar so viel Raum ein, wie danach nie mehr. Für mich ist das
also eher eine Alters- als eine Geschlechterfrage. Abgesehen davon
gibt es auch schon eine ganze Menge anderer Filme, die gezeigt
haben, dass dieses Rollenbild des Mädchens vom Immenhof nicht mehr
in den Köpfen der Menschen existiert, wie z.B. Kroko oder Wie Feuer
und Flamme. Die Musikwahl in MEER IS NICH unterstreicht das
Lebensgefühl von Lena und ihren Freunden und ist Symbol ihrer
Abgrenzung und Verweigerung. In der Kombination mit dem Instrument
Schlagzeug ergibt die Kraft lauter Musik die sichtbare Form des sich
Austoben. Sie lieben es Musik zu hören, sie zu machen oder danach zu
tanzen, weil es ihnen die Möglichkeit gibt, angestaute Energien
auszuleben. Und gerade Mädchen hören oft viel härtere Musik als man
glaubt, auch wenn sie brav aussehen.
Erwachsenwerden ist ein
universelles Thema. Sehen Sie dennoch mögliche Verständnisprobleme
in der Rezeption bei MEER IS NICH zwischen Ost und West?
Ich bin froh bei der
Beantwortung dieser Frage schon auf ein paar Meinungen von
Zuschauern zurückgreifen zu können. Verständnisprobleme gab es da
bisher gar keine, was glaube ich einfach daran liegt, dass wir keine
speziell ostdeutsche Geschichte erzählen, zu deren Verständnis
irgendwelches Vorwissen oder eine ostdeutsche Sozialisierung
benötigt wird. Der Unterschied in der Rezeption bestand lediglich
darin, dass die eine Seite den Teil des Landes, in dem sie leben, so
dargestellt finden, wie er eben auch ist. Während die andere Seite
sagt, so haben wir den Osten noch nicht oder selten dargestellt
gesehen. Besonders überraschend war, dass insbesondere Zuschauer aus
den alten Bundesländern zu uns kamen und sich dafür bedankten, dass
wir ihr Bild vom Osten „korrigiert“ haben.
Werden Sie sich in
Folgeprojekten weiterhin mit der „Baustelle“ Jugend beschäftigen,
oder was reizt Sie darüber hinaus zu erzählen?
Geschichten aus dem Leben
von Jugendlichen oder Kindern haben für mich immer einen besonderen
Reiz, der darin begründet liegt, dass sie vom Leben noch nicht so
stark geprägt sind und anders an die Probleme des Alltags herangehen
können. Ihnen steht die Welt meist noch offen, und damit ist alles
denkbar. Für mich ergibt sich damit ein größerer Spielraum beim
Erzählen von glaubwürdigen Geschichten, die sich zwischen Wunsch und
Wirklichkeit, Traum und Realität bewegen. Und mehr Potential, weil
viel mehr ungebändigte Energie freigesetzt werden kann, die
natürlich zu Widersprüchen mit der Umwelt und anderen Menschen
führt. Eine wunderbare Spielwiese für Regisseure und Autoren, auf
der man mit reinen Farben arbeiten kann.
Das bedeutet aber nicht,
dass ich mich nur mit Jugend beschäftigen will, aber in diesen
Altersgruppen lassen sich gesellschaftliche und soziale Probleme
aber auch Zustände und Gefühle wie Wahrheit, Lüge, Liebe, Trauer und
Wut oft besser und glaubhafter darstellen. Auf der anderen Seite
haben Figuren in „erwachsenen Dramen“, wie beispielsweise in Solo
Sunny, auch oft sehr kindliche Eigenschaften: sie sind naiv und
haben Träume und Wünsche.
Gespräch: Michael Eckhardt
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