MEER IS NICH (BRD 2007)


Regie: Hagen Keller


Mit Elinor Lüdde, Luise Kehm, Sandra Zänker, Thorsten Merten,
Ulrike Krumbiegel, Benjamin Strecker,
Günter Naumann u.v.a.


Kinostart: 27.03.2008

 

Mit Elinor Lüdde als Lena, ist ein Film über Schlagzeug spielen und welche Konsequenzen es haben kann, wenn die Welt nicht so will wie man selbst erwartet. „Ich wollte ein Stück dazu beitragen, das Ost-Klischee der fortwährenden Plattenbausiedlung zu brechen.“, sagt Hagen Keller zu seinem Film

Foto: Kinowelt Filmverleih

Der Film hat mir gefallen! Eigentlich hab ich ein Fabel für skandinavische Filme, bei denen es oft um sozialkritische Themen geht. Das scheint beinahe eine Tradition zu sein. Ja, das Jugendlichen Problem im Übergang zum Erwachsen werden auch Adoleszenz genannt, finde ich, ist ein schwieriges aber schönes Thema, weil unweigerlich Konflikte entstehen. Daran versucht sich der Film MEER IS NICH. Einerseits die Arbeitslosigkeit des Vaters, andererseits soll ein Familienleben aufrecht erhalten werden. Daß die junge Schlagzeugerin die Prüfung einfach schmeißt, ist mir eine Spur zu widerspenstig, weil ich nicht genau beurteilen kann, inwieweit das in meinem Sinn oder sich gegen mich richtet? Die Wohnung und Höhle des Bruders war prima und hat mich an etwas erinnert, was es zumindest in Frankfurt nicht mehr gibt, weil diese Räume einfach nicht mehr vorhanden sind, sondern über Makler und Firmen teuer vermietet werden. In Berlin oder Leipzig, dort gibt's diese Hinterhöfe mit den großen Ateliers noch, wo früher produzierendes Gewerbe untergebracht war. MEER IS NICH ist ein Film über das nicht Angepaßtsein. Bayerischer Filmpreis 2007 für Elinor Lüdde als beste Nachwuchsdarstellerin.

Elinor Lüdde
ist Jahrgang 1983 und vielseitig musisch interessiert. Sie sang in verschiedenen Chören und trainierte Jazzdance. Von 1991 bis 1999 nahm sie Harfenunterricht und gewann 1993 und 1995 den Regionalwettbewerb Westthüringen von „Jugend musiziert“. 1999 begleitete sie das Tanztheaterstück „Die Komödianten“ an der Harfe. Mit der Figur der Lena verbindet sie so einiges: Von 1997 bis 2003 nahm sie Schlagzeugunterricht, seit 2000 zusätzlich noch Gitarrenunterricht, und spielt seit 2003 Schlagzeug bei sleazy inc. operated, der gemeinsamen Band mit Luise Kehm und Sandra Zänker. Sie war als Schülerin Komparsin in Stücken des Deutschen Nationaltheaters Weimar und stand für D.A.S. Jugendtheater auf der Bühne. Zudem spielte Elinor Lüdde seit 1998 Rollen in Kurzfilmen.

Zum Inhalt
Lena will sich nicht anpassen, sie will keine Erwartungen erfüllen, und sie lässt sich erst recht nicht ihren Lebensweg vorschreiben. Sie rebelliert gegen Berufsberater, gegen Lehrer und gegen ihre Eltern. Gemeinsam mit ihren Freundinnen Alex und Klara verbringt sie die meiste Zeit, hängt rum, fährt zu Rockkonzerten oder macht Musik. Bei einem Konzert beobachtet Lena, wie die Schlagzeugerin der Band sich Kummer und Frust von der Seele spielt und fängt Feuer – auch sie will Drummerin werden. Fortan spielt sie das Schlagzeug in ihrer eigenen Band und nimmt durch einen glücklichen Zufall sogar Schlagzeugunterricht in der Musikhochschule bei dem jungen und energischen Lehrer Sascha. Außerdem begegnet Lena wieder dem älteren Bruder ihrer Freundin Klara, Hans. Als sie sich das letzte Mal sahen, war Lena noch ein Kind, doch ihre Faszination füreinander ist ungebrochen und sofort wieder zu spüren. Zu Hause läuft es hingegen nicht so gut. Lena weiß trotz Berufsberatung und Druck seitens ihrer Eltern nicht, wie es nach der Schule weitergehen soll. Sie weiß nicht einmal, ob sie die Schule überhaupt zu Ende machen will. Ein Streit mit dem Vater, der am liebsten über Lenas Kopf hinweg über eine Ausbildungsstelle entscheiden würde, mündet in Handgreiflichkeiten. Die Begegnungen mit dem alten, charismatischen Apel, der viel erlebt hat, helfen Lena, einen klaren Blick zu bekommen. Sie fällt einige Entscheidungen. Sie zieht zu Hause aus und nimmt die Dinge fortan selbst in die Hand. Lena hat endlich die Chance, für ihren Traum zu kämpfen und zu beweisen, wie ernst es ihr mit der Musik ist.

 
Cast
Lena - Elinor Lüdde
Klara - Luise Kehm
Alex - Sandra Zänker
Anna - Rosalie Eberle
Lenas Vater - Thorsten Merten
Lenas Mutter - Ulrike Krumbiegel
Hans - Benjamin Strecker
Sascha - Sascha Schwegeler
Apel - Günter Naumann
Berufsberater - Peter Rauch
Klaras Mutter - Elke Wieditz
Crew
Regie - Hagen Keller
Drehbuch - Hagen Keller
Kamera - Philipp Kirsamer
Schnitt - Monika Schindler
Produktionsdesign - Marc Oliver Lau
Kostüme - Gina Krauß
Ton - Marc Meusinger, Ansgar Frerich
Maske - Margot Redmann
Produzenten - Marcel Lenz, Guido Schwab
Redaktion - Wolfgang Voigt, Stefanie Groß
Produktionsleitung - Raik R. Böttcher
Casting - Simone Bär

 

 

„Ich wollte ein Stück dazu beitragen, das Ost-Klischee der fortwährenden Plattenbausiedlung zu brechen.“ sagt Regisseur Hagen Keller zu seinem Film

 

 

Wenn man sich Ihre eigene, doch sehr vielfältige Biographie anschaut, kriegt man die Idee, dass Ihr Debüt MEER IS NICH ein echtes Leib- und Magenthema war. Ist das so?

Bei den Recherchen zu MEER IS NICH habe ich Gespräche mit Jugendlichen geführt, deren Gedanken mich sehr verwundert haben. Für mich hat sich in diesen Momenten gezeigt, dass die Ansprüche der Eltern an ihre Kinder, die für meine Generation noch das größere Problem waren, heute viel geringer sind, als die Ansprüche, die junge Menschen aus der Gesellschaft heraus erfahren. Von den Jugendlichen werden heute oft Standpunkte zu einem Zeitpunkt abverlangt, die ich im Alter von 17 wahrscheinlich auch nicht hätte einnehmen können. Für mich war es deshalb wichtig, eine Geschichte zu erzählen, die Mut macht, eigene Entscheidungen zu treffen, die man bereit ist zu verteidigen, und Wege nur dann zu gehen, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. Ich musste auch erst das Alter von 25 Jahren erreichen, um zu wissen, dass ich Fotograf werden will, um dann mit fast 30 zu entscheiden, auch noch Regie zu studieren. Ich glaube, dass die Erwartungen an Jugendliche heute oft so hoch sind, dass die meisten schon bei der ersten Schwierigkeit aufgeben, ohne je richtig gekämpft zu haben, weil sie nicht über das nötige Selbstvertrauen und die Lebenserfahrung verfügen oder einfach glauben, sie seien nicht gut genug. Deswegen war es mir wichtig, den Jugendlichen mit Lenas Geschichte zu zeigen, dass der Weg oft das Ziel ist, und das Scheitern dazu gehört. Lena ist am Ende unseres Filmes keine erfolgreiche Drummerin im Sinne einer Hollywood-Geschichte, dafür hat sie aber etwas Wichtiges gefunden, nämlich ihren eigenen Weg und Selbstvertrauen.

 

Wie findet man eine derart überzeugende, authentische Hauptdarstellerin wie Elinor Lüdde?

Ich kenne Eli schon sehr lange und habe ihr Talent vor vielen Jahren als Fotograf erstmals erkennen dürfen. Sie gehört zu denjenigen Menschen, deren authentisches Wesen sich nicht durch die Anwesenheit einer Kamera verändert. Dass da eine Filmkamera auch keinen Unterschied macht, konnte ich in der Zusammenarbeit bei zwei meiner Kurzfilme erkennen und war davon überzeugt, dass sie den Anforderungen an die Rolle der Lena absolut gewachsen ist. Tief beeindruckt hat mich Elis Verantwortungsgefühl gegenüber dem Film und der Rolle. Sie hat einmal zu mir gesagt, dass es wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen ihres Lebens und ihrer persönlichen Weiterentwicklung ist und sie die Rolle nur spielen wird, wenn sie damit etwas erzählen kann, was ihr auch wichtig ist.

 

Sie haben markante Nebenrollen mit bekannten DEFA-Schauspielern wie Günter Naumann und Annekathrin Bürger besetzt. Eine Verbeugung vor einer selten gewordenen Schauspiel-Qualität?

Ja, auf jeden Fall. Es gab in der DDR Schauspieler wie Erwin Geschonneck, Jutta Hoffmann, Armin Mueller-Stahl, Manfred Krug, Angelica Domröse und eben auch Günter Naumann und Annekathrin Bürger, die in ihren Rollen an Wahrhaftigkeit bzw. Glaubwürdigkeit meiner Meinung nach oft unübertroffen sind und zu Helden meiner Kindheit wurden. Der sogenannte Gegenwartsfilm hatte in der DDR eine sehr hohe Qualität, besonders wegen seines hohen Grads an Authentizität. Und genau das habe ich für die Figur des Apel bei Günter Naumann gesucht und gefunden. Generell würde ich mir mehr Wahrhaftiges im heutigen Kino wünschen. Und dass der Markt solche Filme vertragen kann, also wo Kleines plötzlich ganz groß werden kann und einen direkten Bezug zum Leben der Menschen hat, zeigt beispielsweise Sommer vorm Balkon. War das Ihr ganz bewußter „Plan“, den Osten mal nicht Grau in Grau zu zeigen, wie es gegenwärtig so gern von zahlreichen Nachwuchsfilmern getan wird? In MEER IS NICH darf sogar die Sonne scheinen... MEER IS NICH erzählt ja eine Geschichte mit einem universellen Thema, das auch Jugendliche über die ostdeutschen Bundesländer hinaus interessieren wird. Unser Plan war nicht, den Osten nicht grau zu zeigen, sondern unser Plan war, eine Geschichte eines ganz normalen Mädchens in einem ganz normalen Umfeld zu zeigen, jenseits von Alkohol und Drogen. Außerdem war es uns wichtig, dass der Film nicht an der visuell stereotypen Darstellung des Ostens scheitert. Deswegen gibt es in MEER IS NICH den Osten zu sehen, wie er eben auch ist, und da scheint im Sommer manchmal auch die Sonne. Wir konnten damit hoffentlich ein Stück dazu beitragen, dieses Klischee der fortwährenden Plattenbausiedlung zu brechen.

 

Die Kraft lauter Musik spielt eine entscheidende Rolle in Ihrem Film. Ein bewußtes Bild gegen das ausgediente Klischee, dass Mädchen brav, strebsam und gut sein sollen?

Ich bin der Meinung, dass wir über die Zeit schon hinweg sind, wo dieses Mädchenbild existiert hat. Ich bin auch der Meinung, dass Musik für Jugendliche generell eine herausragende Rolle spielt, um sich von der Welt, insbesondere der von Erwachsenen, abzugrenzen. Vielleicht nimmt Musik in dem Alter sogar so viel Raum ein, wie danach nie mehr. Für mich ist das also eher eine Alters- als eine Geschlechterfrage. Abgesehen davon gibt es auch schon eine ganze Menge anderer Filme, die gezeigt haben, dass dieses Rollenbild des Mädchens vom Immenhof nicht mehr in den Köpfen der Menschen existiert, wie z.B. Kroko oder Wie Feuer und Flamme. Die Musikwahl in MEER IS NICH unterstreicht das Lebensgefühl von Lena und ihren Freunden und ist Symbol ihrer Abgrenzung und Verweigerung. In der Kombination mit dem Instrument Schlagzeug ergibt die Kraft lauter Musik die sichtbare Form des sich Austoben. Sie lieben es Musik zu hören, sie zu machen oder danach zu tanzen, weil es ihnen die Möglichkeit gibt, angestaute Energien auszuleben. Und gerade Mädchen hören oft viel härtere Musik als man glaubt, auch wenn sie brav aussehen.

 

Erwachsenwerden ist ein universelles Thema. Sehen Sie dennoch mögliche Verständnisprobleme in der Rezeption bei MEER IS NICH zwischen Ost und West?

Ich bin froh bei der Beantwortung dieser Frage schon auf ein paar Meinungen von Zuschauern zurückgreifen zu können. Verständnisprobleme gab es da bisher gar keine, was glaube ich einfach daran liegt, dass wir keine speziell ostdeutsche Geschichte erzählen, zu deren Verständnis irgendwelches Vorwissen oder eine ostdeutsche Sozialisierung benötigt wird. Der Unterschied in der Rezeption bestand lediglich darin, dass die eine Seite den Teil des Landes, in dem sie leben, so dargestellt finden, wie er eben auch ist. Während die andere Seite sagt, so haben wir den Osten noch nicht oder selten dargestellt gesehen. Besonders überraschend war, dass insbesondere Zuschauer aus den alten Bundesländern zu uns kamen und sich dafür bedankten, dass wir ihr Bild vom Osten „korrigiert“ haben.

 

Werden Sie sich in Folgeprojekten weiterhin mit der „Baustelle“ Jugend beschäftigen, oder was reizt Sie darüber hinaus zu erzählen?

Geschichten aus dem Leben von Jugendlichen oder Kindern haben für mich immer einen besonderen Reiz, der darin begründet liegt, dass sie vom Leben noch nicht so stark geprägt sind und anders an die Probleme des Alltags herangehen können. Ihnen steht die Welt meist noch offen, und damit ist alles denkbar. Für mich ergibt sich damit ein größerer Spielraum beim Erzählen von glaubwürdigen Geschichten, die sich zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Traum und Realität bewegen. Und mehr Potential, weil viel mehr ungebändigte Energie freigesetzt werden kann, die natürlich zu Widersprüchen mit der Umwelt und anderen Menschen führt. Eine wunderbare Spielwiese für Regisseure und Autoren, auf der man mit reinen Farben arbeiten kann.

Das bedeutet aber nicht, dass ich mich nur mit Jugend beschäftigen will, aber in diesen Altersgruppen lassen sich gesellschaftliche und soziale Probleme aber auch Zustände und Gefühle wie Wahrheit, Lüge, Liebe, Trauer und Wut oft besser und glaubhafter darstellen. Auf der anderen Seite haben Figuren in „erwachsenen Dramen“, wie beispielsweise in Solo Sunny, auch oft sehr kindliche Eigenschaften: sie sind naiv und haben Träume und Wünsche.

 

Gespräch: Michael Eckhardt

 

 

 

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vom  16. Februar 2008