Im Rahmen der Ausstellung "Der Rote Faden" im
Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main widmen sich
Künstlerinnen und Komponisten den Textilien und ihrer
Symbolkraft, ihren Bedeutungen und aktuellen Zusammenhängen.
Ausstellungsdauer des Hauptteils "Der Rote Faden" bis 27.08.2017
Die Verbindung der textilen und der digitalen Welt visualisieren
die Künstlerinnen Maren Gebhardt und Ruth Stützle
Kaiser mit Installationen. Ausgehend von geflochtenen Körben
aus der Amerika-Sammlung zeigen Shan Goshorn und Sarah
Sense, zwei nordamerikanische Künstlerinnen, die poetischen
Zusammenhänge zwischen Text und Textur wie auch Aspekte ihrer
indigenen Identität auf. Frankfurter Jugendliche
produzieren einen eigenen Film zu Fragen alternativer
Textilherstellung.
Der Ausstellungskatalog wirft
hierzu gleich mehrere Fragen
auf: Warum bildete ein Webstuhl die Grundlage für den ersten
Computer? Weshalb stammen so viele Mathematiklehrer in Peru aus
Weberfamilien? Welche Bedeutungskontexte verbergen sich hinter
Redewendungen mit textilen Motiven?
Textile Techniken wie Häkeln, Flechten, Weben und insbesondere
Musterbildung regen räumliches und mathematisches Denken an.
Andere textile Techniken verlangen den Mengenbegriff sowie ein Verständnis von Zahlen und Geometrie.
Die Entwicklung des ersten Computers wäre somit ohne die Weberei
undenkbar gewesen. Die von Charles Babbage bereits in den
1830er Jahren entwickelte Rechenmaschine Analytical Engine gilt
als Pionierarbeit in der Geschichte der Computerwissenschaften.
Für seine Analytical Engine übernahm Babbage das Prinzip der
Lochkarten des 1805 entwickelten Jacquard-Webstuhls. Aus dem
Befehl ‚Loch = Kettfäden heben‘ bzw. ‚kein Loch = Kettfäden
nicht heben‘ entwickelte sich das binäre System von Einsen und
Nullen.
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Auf dem Foto die Künstlerin Susanna
Sitterding am 10. Juni 2017 während ihrer Webaktion im
Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main anlässlich der
Ausstellung "Der Rote Faden"
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Die Künstlerin Susanna Sitterding stellte am 10. und 11.
Juni mit ihrer Arbeit ein langes, langes Webstück vor, das aus
textilen Streifen wie Stoffresten, Hemdsärmel, Leder, Franzen,
ornamentale Muster und anderen textilen Materialien besteht,
welche sie aus den unterschiedlichen Regionen der Erde
einsammelt, um diese zu ihrem Endless Webstück zu
verarbeiten. Enden will die Künstlerin mit dem einmal begonnenen
Werk nicht mehr, so ihre Aussage.
Dabei wendet sie eine Webtechnik an, die aus Nähen und Flechten
besteht, womit eine relativ gleichbleibende Grundstruktur, ein
Raster entsteht. Zum einen näht sie beständig Verlängerungen in
eine Richtung. Das sind 12 Verlängerungen nebeneinander, welche
durch eingearbeitete Streifen überkreuzt werden. Diese Streifen
erhält sie entweder aus dem Publikum oder nimmt willkürlich
gefundene Stoffstreifen dafür, die in Passform auf ca. 45
Zentimeter zugeschnitten sind. Das entspricht der Breite des
Webstücks. Das mittlerweile eine Länge von 40 Metern erreicht
hat, so dass größere Dimensionen beansprucht werden um das
Objekt voll auszubreiten. Im Anschluss wieder ordentlich zusammengerollt, kommt das Objekt in einen Koffer.
Die Aufbewahrung hat praktische Gründe, besonders da die
Künstlerin oft auf Reisen ist, um textile Streifen direkt aus
erster Hand und aus aller Welt zu beziehen.
Die Mathematikerin Ellen Harlizius-Klück sieht die
Weberei als Ursprung der deduktiven Mathematik und der
Unterscheidung in gerade und ungerade Zahlen. Bislang gibt es
weltweit kaum ethnologische oder neurowissenschaftliche Studien
zu den Zusammenhängen zwischen textilen Techniken und kognitiven
bzw. mathematischen Fähigkeiten. Wissen trägt zur
Identitätsbildung bei. Es umfasst Denken, Kalkulieren und
Erinnern und beinhaltet neben praktischen Kenntnissen auch
Herzens- und Lebenswissen.
Der Soziologe Richard Sennett beschreibt jede manuelle
Tätigkeit als ein einmaliges Zusammenspiel von Kopf und Hand und
stellt fest: „Jegliches handwerkliche Können basiert auf hoch
entwickelten Fähigkeiten und Fertigkeiten.“ In seinem Buch
Handwerk legt Sennett dar, wie Kopf und Hand bei diesen
Tätigkeiten ineinandergreifen und plädiert für eine positive
Bewertung des Handwerks. Manfred Spitzer umschreibt
textiles Arbeiten dabei als kognitiv stimulierende Beschäftigung
– insbesondere im Kindesalter.
Arbeitsbedingungen und globale Textilwirtschaft
Ein weiterer wichtiger Themenstrang, der in einer
Textilausstellung aktuell nicht fehlen darf, ist die Debatte um
faire Arbeitsbedingungen und nachhaltiges Wirtschaften. Die
Auslagerung der Textilindustrie und Ausbeutung von
Textilarbeitern in Billiglohnländern zugunsten niedriger
Konsumentenpreise waren ein Thema, das die Ausstellungsplanungen
konstant begleitete. Mit dem ‚Export‘ der Textilindustrie wurden
aber auch die damit verbundenen ökologischen und sozialen
Probleme in die aufstrebenden Industriestaaten verlagert, wie z.
B. giftige Abwässer oder Kinderarbeit. Ganz ähnliche
Problematiken waren in Europa im Zuge der industriellen
Revolution akut, die maßgeblich von der Mechanisierung der
Textilwirtschaft vorangetrieben wurden. Prekäre
Arbeitsbedingungen und Umweltverschmutzung sind auch heute noch
aktuell, haben sich aber in Billiglohnländer wie China oder
Bangladesch verlagert – trauriges Beispiel hierfür war der
Einsturz des Rana Plaza im April 2013. Tim Zahn geht in seinem
Beitrag auf diese Problematik ein und beschreibt die globale
Verflechtung der Textilindustrie sowie soziale und ökologische
Aspekte der Textilproduktion heute.
Die wissenschaftliche Fragestellung der Ausstellung führt zudem
vor Augen, dass mit der Ausdehnung der industriellen
Textilproduktion auch die Vielfalt des textilen Weltkulturerbes
und damit verbundene Fähigkeiten verloren gehen. Dabei werden
lokale Textilkünste oftmals in neue Kontexte umgesetzt.
www.weltkulturenmuseum.de
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