Architektur und Philosophie (2015) Hrsg. Jörg H. Gleiter und Ludger Schwarte im transcript Verlag

Bucheinband: transcript Verlag

Grundlagen, Standpunkte und Perspektiven soll dieser Sammelband unter Mitarbeit von Sandra Meireis liefern und folgt damit "Architektur Denken" einer Reihe aus dem transcript Verlag. 

     Leseprobe

Die Buchreihe widmet sich der kritischen Reflexion gestalteter Umwelt in einem sich verändernden kulturellen Kräftefeld. Wird herausgegeben von Jörg H. Gleiter. Die Beiräte sind: Gerd de Bruyn (Stuttgart), Kurt W. Forster (New Haven/Como), Matthias Sauerbruch (Berlin) und Philip Ursprung (Zürich).
 

Die Autoren des vorliegenden Bandes haben ein anspruchsvolles Thema vor sich. Was verbindet die Architektur schon mit der Philosophie? Das eine beruht auf praktischen Umsetzungen in etwas Gebautem, was durch Entwürfe hervorgerufen wird. Das andere sind Reflexionen, die auf gedanklichem Fundament beruhen. Meist nimmt sich die Architektur gar nicht die Zeit, um sich mit philosophischen Belangen auseinanderzusetzen. Ökonomisch energetische Bezüge greifen viel gravierender in die Gedankenwelt des Bauenden ein. Philosophie in der Architektur erfüllt oft religiöse Funktionen oder gehorcht einem Design, welches in Form von gewollten Symmetrien zum Ausdruck gelangt. Das kann nicht immer wünschenswert sein, schon gar nicht im urbanen Kontext mit wenig Raum in der Umgebung. Philosophie in der Architektur kann dann auch als Suche verstanden werden, um neue Wege zu finden. Das heißt Probleme lösen, die sich eingestellt haben und mit denen auf anderem Wege nicht mehr zu Rande zu kommen ist. Doch dafür werden große Umwälzungen benötigt und eine Spur der Genialität darf auch nicht fehlen.

 

Es kann in der Architektur um ethische Veränderung gehen, die Architekturdenken umstellt und stärker an die Bedürfnisse der Menschen anpasst. Im Moment existiert lediglich ein System aus Verordnungen, Normen und Richtlinien, die zum Teil veraltet sind und sich gegenseitig überschneiden. Auch die Umstellung auf europäische Normen hat hier keine Abhilfe geschaffen. Der Vorgang scheint insgesamt komplexer zu sein. Ein Ansatz an eine Philosophie der Architektur sollte zunächst also grundlegend die Erneuerung von etwas Ganzem anstreben. Erneuerung dessen was durch physikalische Gesetze und Grundlagen von vornherein fest an irdische Bedingungen gebunden ist und deshalb unabwägbar. Von großer Bedeutung ist hier die Anknüpfung von Architektur an andere Disziplinen, wie Soziologie, Kunstgeschichte und andere. Auch subjektive Einflüsse sollten in Planungsabläufe als fester Bestandteil einbezogen werden. Die neuen Technologien erlauben ein viel exakteres Betrachten der Situation. Medien und Kommunikation wiederum enthalten ein flüchtigeres Streifen auch verschiedenster Modellvorstellungen, bevor eine Entscheidung in Frage kommt. 

 

In der Philosophie hat Architektur oftmals die Bedeutung der Struktur gewonnen, noch bevor das strukturalistische Denken überhaupt erfunden war. Architektur ist von je her dazu gedacht, um Abläufe in größeren Dimensionen zu charakterisieren. Das war schon in der Antike der Fall, wenn Aristoteles in der Nikomachischen Ethik nach architektonischem Vermögen verlangt. Bei Immanuel Kant wird der übergeordnete Begriff der Architektonik verwendet, um damit eine Kunst der Systeme einzuberufen.

 

In neuerer Zeit, seit 1960 zählen zu Ansätzen, welche die kulturelle Funktion der Architektur deuten, sowohl phänomenologische wie bei Christian Norberg-Schulz, anthropologische bei Christopher Alexander, neo-marxistische bei Manfredo Tafturi, sprachphilosophische bei Charles Jencks als auch ästhetische Ansätze wie bei Roger Scruton zu einer neuen Verständnisausrichtung. Aber auch Philosophen sind gefragt, solche die ein unfassendes Gedankenwerk verfasst haben, wie Edmund Husserl, Ernst Bloch, Heinrich Wölfflin, Friedrich Bollnow, Ludwig Wittgenstein und nicht zuletzt Michel Foucault.

 

Fünf Ansätze, die im Vorwort des vorliegenden Bandes behandelt werden:

 

a. der ästhetische Ansatz

b. der sprachphilosophische Ansatz

c. der phänomenologisch-anthroplogische Ansatz

d. der politische Ansatz

e. Einsatz neuer Medientechnologien in der Architektur

 

 

Mehrere Beiträge im Buch befassen sich zudem mit der Unterscheidung zwischen Philosophie und Architekturtheorie. Die Reihe "Architektur Denken" welcher der vorliegende Band 8 ja zugrunde liegt, läuft unter der Unterüberschrift: Architekturtheorie und Ästhetik. Autor und Herausgeber Jörg H. Gleiter fordert in seinem Beitrag: "Zum Verhältnis von Philosophie und der Theorie der Architektur" zunächst aber eine Präzisierung der Begriffe. Er bezieht sich damit auch auf Kant, wonach die Philosophie die "Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft" ist und folgert: Philosophie der Architektur sei dies in Bezug auf die Architektur. Wobei dieser die Klärung der Frage zukomme, weshalb gerade die Architektur als einer der wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft zu verstehen sei. Architektonik nach Kant sei eine Kulturtechnik, die systematisch aus konstruktiven Methoden und kulturellen Zwecken entwickelt wurde.

 

Besondere Aufmerksamkeit verdient der Beitrag "Das Geländer" von Hannes Böhringer im dritten Teil des Bandes: Perspektiven. Geländer zählen weithin zu den Alltagsgegenständen, denen im allgemeinen kaum irgendwelche Beachtung zugemessen wird. Es sei denn, sie müssen notwendigerweise betrachtet werden, weil Normen und Regeln dies verlangen. Auch kann der ethische Diskurs gerade auf dieses eine Detail seine Wertschätzung legen. Aus architektonischer Sicht jedoch fällt ansonsten die nähere Betrachtung des Geländers mager aus. Nicht so bei Hannes Böhringer, der anfangs die poetische Herangehensweise in seinem Beitrag forciert. Hüpfen, springen, Schritte machen, lauten die ersten Worte. Das Geländer ist voller Hindernisse. Was folgt, sind Situationsbeschreibungen und gelegentlich werden diese durch Bemerkungen oder Parenthesen ergänzt, in etwa wie: Sicherheitsvorkehrungen; Funktion des Halts; Brüstung mit Handlauf, Treppenstufen sind normiert; Stopp und Halt und anderes mehr. Dem Leser bleibt überlassen, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind.

 

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Inhalt

 

Einleitung

9 Jörg H. Gleiter, Ludger Schwarte

Architektur und Philosophie

Grundlagen

21 Ludger Schwarte

Gründen und Abreißen. Der Platz der Architektur im System

der Philosophie

39 Jörg H. Gleiter

Condicio architectonica: Zum Verhältnis von Philosophie und

Theorie der Architektur

58 Christoph Baumberger

Architekturphilosophie: Ihre Abgrenzung von der Architekturtheorie

und Verortung in der Philosophie

74 Kirsten Wagner

Architektur mit dem Körper denken. Zu einer kritischen

Anthropologie der Architektur

93 Jan Bovelet

Überlegungen zu Architekturphilosophie und Erkenntnistheorie

Standpunkte

105 Karsten Harries

Die Aufgabe der Architektur in der Zeit des Weltbildes.

Eine unzeitgemäße Betrachtung

128 Christian Illies

In welchem Style sollen wir philosophieren? Ziel und Methode

der Architekturphilosophie

151 Petra Lohmann

Konzepte des Selbstbewusstseins in Architekturtheorie

und Philosophie. Die Fichte-Rezeption des frühen Schinkel

162 Peter Bernhard

Neopositivismus und Neues Bauen: Zur Entdeckung einer „inneren

Verwandtschaft“

Perspektiven

177 Hannes Böhringer

Das Geländer

185 Sabine Ammon

Perspektiven architekturphilosophischer Entwurfsforschung

196 Christian Kremer

Grundrisse einer Architekturontologie

207 Remei Capdevila-Werning

Palimpseste in der Architektur. Ein symboltheoretischer Zugang

218 Alessandro Bertinetto

Improvisation in der Architektur. Einige philosophische

Überlegungen

237 Anmerkungen

285 Autoren

 

 

Architektur und Philosophie

Grundlagen. Standpunkte. Perspektiven

(Hg.) Jörg H. Gleiter und Ludger Schwarte

transcript Verlag, Bielefeld

1. Auflage, 2015

broschiert 292 Seiten, kart., zahlr. Abb.

Größe: 14,9 x 22,6 x 2 cm

ISBN 978-3-8376-2464-9

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 20. November 2015