Korrespondenzen
zwischen Film, Architekturgeschichte und Architekturtheorie
lautet die zweite Überschrift zu dieser Sammlung mit
unterschiedlichen Texten mehrerer Autoren, die in der
Reihe zu den Linzer Beträgen für Kunstwissenschaft und
Philosophie entstanden sind.
Anfangs steht das Zitat des Schweizer Kunst- und
Architekturhistorikers Adolf Max Vogt, der erklärt, dass
zuerst im 19.
Jahrhundert mit Lichtbildvorträgen zur
Architektur begonnen wurde. Zumeist subjektive Eindrücke
geben die
Herausgeber im Vorwort an. Gesagt wird, dass
architekturhistorische Forschung von je her stark auf
visuelle Repräsentationen angewiesen war.
Die
Geschichte der filmischen Architektur begann demnach seit
1910. Ab 1920 wurden historische Filme an
Originalschauplätzen gedreht. In den 1930er und 1940er
Jahren lässt sich ein Schub beobachten. So entstand
früh der Lehrfilm zur "Frankfurter Küche", die
Erfindung der Einbauküche,
was als Teil einer medialen Repräsentation zu verstehen ist.
Soziologe und Architekt Siegfried Kracauer beschäftigte sich
ebenfalls mit Architektur im Film und nannte dies: Raumbilder. Le
Corbusier sah Architektur und Film als Kunstarten der
Moderne. Der Filmarchitekt Robert Mallet-Stevens
bemerkte, wie sich Architektur und Film gegenseitig
beeinflussen. Wobei Film einen markanten Einfluss auf die
Architektur habe und moderne Architektur die künstlerische
Seite in den Film einbringt. Der Film prägte darüber
hinaus die Meinung, zu dem was moderne Architektur ist.
Leseprobe...
Helmut Weihsmann, einer der Autoren in "Architektur
im Film", sieht den Schock der Moderne, indem Auswirkungen
des Raumes das moderne Seelenleben beeinflussen. Eine
radikale Umbruchsphase habe soziales und geistiges Leben in
der Gesellschaft verändert. Anfang des 20. Jahrhunderts
wirkten Veränderungen der Großstadt erschreckend
auf viele Menschen, was sich auch in literarischer Form
widerspiegelt. Der Expressionismus entsteht.
Die Türme von Notre Dame. Werdet Bild! Diesen Ausruf nimmt
Rolf Sachsse auf, um technische Medien als Mittel der
Visualisierung und Bild der Architekturgeschichte
aufzuzeigen. Zum einen die Fotografie. die als neues
Handwerk ab 1850 zur Geltung kommt. Zweitens dient der
Film der medialen Verbreitung architektonischer Bauten.
Als die Gebrüder Lumiére ihren ersten Film drehten, bestand
dieser aus einer Zugeinfahrt in den Bahnhof in der
südfranzösischen Stadt La Ciotad. Zehn Jahre später, 1903, war die
Architektur bereits Teil des Settings und somit stilbildend.
Konnotationen des Filmischen mit dem Urbanen taten ihre
Wirkung. Als drittes zählt das Video, das mit der
musikalisch geprägten Pop-Kultur verknüpft ist. Anfang der
1990er Jahre kommt die Simulation hinzu. Hierzu
zählen fließende Übergänge von Videos zu Spielwelten. Nicht
weit davon entfernt ist die Architektur, die bald in die
Entwicklungen der Games einbezogen wurde. Im
Metamedium wiederum stellt jedes einzelne Medium für
sich eine Abstraktion der ganzen realen Welt dar. Angefangen
hat das mit Sprache, geht über die Bildmedien bis hin zu den
Simulationen. So bildet schließlich das Metamedium ein
Zusammenwirken aller Medien, wie das zum Beispiel
im World Wide Web der Fall ist. Am Ende steht bei Rolf Sachsse der unendliche Bildgebrauch der sozialen Medien.
"Die junge Frau trägt einen Bubikopf", schreibt
Christiane Keim die Herausgeberin in ihrem Beitrag zum
Lehrfilm der "Frankfurter Küche" als Teil der medialen
Repräsentation des "Neuen Frankfurt" aus dem Jahre 1928
-- Schauplatzwechsel -- "die Arbeiter
gießen den Bimsbeton in die Ausschachtungen auf dem Boden
der Fabrikhalle, sie platzieren und montieren die
Plattenbauteile oder hieven die Fertigbauteile mit dem
Baukran in die vorgesehene Position". Vom Haus zum Block,
dazu gehört die beschriebene Szenenfolge. Hintergrund ist die
Neugestaltung in Frankfurt und die neue Rolle der Frau, was
seinerzeit Bestandteil der
integrierten Großstadtplanung war.
Lena Christolova nimmt sich der gegenseitigen
Durchdringung von Architektur und Filmtheorie an. Sie
zitiert dafür Le Corbusier: Architektur wird
durchwandert, durchschritten. Im Film basiert dies auf einem
Wechsel multipler Sichten auf die Objekte. Christolova
verwendet den Begriff der "Proménade architectuale" und
benutzt Sichten auf die Akropolis. Die
Balance zwischen symmetrischen und asymmetrischen Teilen
des Bauwerks erlkennen. Der Regisseur Sergej Eisenstein hob als
erster die Bedeutung der Proménade architecturale hervor,
der einen Zusammenhang zwischen Kameraarbeit und visueller
Wahrnehmung köpermotorischer Aktivität sah. Christolova
intensiviert diese Untersuchungen noch und fokussiert Tiefenschärfe und
Kontinuität. Zeichnet Kadrierungen und das Breitwandformat im Film
"Le Mépris" nach und sieht die starke
Konstruiertheit des Films.
Weben für eine neue Stadt will Jeanpaul Goergen und
geht damit der Frage nach: wie und mit welchen Bildern in
den Filmen der 1950er Jahre in der Bundesrepublik
Deutschland auf Stadtplanung Bezug genommen wird. Er meint
vor allem den Dokumentarfilm. Inwieweit bedienen sich
Architekten und Stadtplaner in Zusammenarbeit mit
Ministerien und Stadtverwaltungen des Mediums Film? Die
Nachkriegsjahre favorisieren vor allem die autogerechte
Stadt. Zonierungen werden vorgenommen. Masterpläne
durchschneiden die Städte. Eine Neuordnung der
Grundstücksflächen vollzieht sich. "Eine Stadt ohne Vorbild"
(BRD 1957) Dokumentarfilm. Aber auch die durchgrünte Stadt
gewinnt zunehmend an Bedeutung. Organisches Bauen war
zeitweise angesagt. "Stadtplanung geht alle an" (BRD 1957).
Architekturgeschichte im Zeitalter des Films von Lutz
Robbers befasst sich mit den Möglichkeiten durch Film,
aber auch durch Publikationen und Abbildungen Einfluss auf
Architekturgeschichte zu nehmen. Mit Nietzsche gesagt: ist
es das "Schreibzeug", das mit "an unseren
Gedanken arbeitet". Schon der Architekturhistoriker Adolf Behne
beschreibt den "Film als Wohltäter", denn Kinofrage ist
Volksfrage. Das realistische Bild ist es, das "den Zugang zu einer in der technischen Struktur des Films
verborgen liegenden tieferen historischen Wahrheit"
sogar verhindert. Sigfried Gidion konstatiert: Nur der Film kann die
Architektur fassbar machen.
Der Beitrag von Barbara Schrödl behandelt das Thema:
"Erfassung des Lichts im barocken Innenraum". Im Jahre 1936
drehte Carl Lamb den Film "Raum im kreisenden Licht", im
Zentrum des Films steht die Wallfahrtskirche zum Gegeißelten
Heiland auf der Wies. Der Rokokobau genießt in der
Kunstgeschichte hohe Wertschätzung. Carl Lamb hatte 1935
eine Arbeit verfasst mit dem Titel: "Zur Entstehung der
malerischen Architektur in Südbayern". Rahmen und
Achsenbezüge bei den Brüdern Asam werden herausgestellt.
Kunsthistorische Forschung und filmische Praxis erweisen
sich als eng miteinander verknüpft. Zugleich ist dies bei Lamb
aber immer auch eine Suche nach dem spezifisch "Deutschen",
was kritisch zu beachten gilt.
Ein weiterer Beitrag stammt von Doris Agotai und
Marcel Bächtiger und stellt sich mit "Manifeste für
einen Architekturfilm" vor. Der Beitrag versteht sich als
wissenschaftlicher Bericht des Forschungs- und Lehrbereichs
"Raumkonzepte in Film und Architektur" an der ETH Zürich,
der sich seit über fünf Jahren mit der experimentellen
Beschaffenheit des Architekturfilms befasst. Von einem
Umbruch in der architektonischen Darstellungspraxis ist die
Rede. Begriffe wie Kulturtechnik und Notationssysteme werden
genannt. Wo aber liegen die Gründe für diese
"Wahlverwandtschaft" zwischen Film und Architektur, fragen
die Autoren nach. Als Topos zwischen Architektur, Stadt und
Film im Zeitalter der architektonischen Moderne lässt sich
die "Bewegung" ausmachen. Was Gebäude mit Bewegung zu tun
haben, ist vielmehr das was an Bewegung in sie hinein
interpretiert wird, um sie lebendiger erscheinen zu lassen
und um sie mit Leben zu erfüllen. Im Beitrag werden einzelne
Filme aus der Filmgeschichte interpretiert, die sehr
unterschiedlich sind und keine einheitliche Form besitzen.
Es sind die Kameraeinstellungen, Blickwinkel und
Belichtungszeiten, die der Architektur durch den Film zur
Aussage verhelfen.
Raum, Affekt und Geschlecht nimmt sich Christina Threuter
vor. Hintergrund ist eine Analyse des Architekturfilms "Loos
Ornamental. Architektur als Autobiographie" (2006) von Heinz
Emigholz. Es ist sein 13. Film, er zeigt 27 Bauten und
Innenräume des Architekten Adolf Loos. An sich geht es
ja um die Ornamentlosigkeit bei Loos, ornamental heißt
dieser nur deshalb, weil die theoretischen Schriften, die
Loss verfasst hat und seine Bauweise in einem Widerspruch
zueinander stehen. Sehen als Ausdruck lautet die Devise zu
Heinz Emigholz Vorgehensweise, der überwiegend mit Stativ
arbeitet und den Raum dabei nicht durchwandert. Greift somit
auf neue Raumdiskurse, wie Christiane Threuter resümiert.
Außerdem schafft er das Affektbild, wodurch Adolf Loos
ikonisiert wird.
Architektur im Film
Korrespondenzen zwischen Film, Architekturgeschichte und
Architekturtheorie
Hrsg. Cristiane Keim und Barbara Schrödl
transcript Verlag
1. Aufl. 2015, Bielefeld
kartoniert, 244 Seiten
zahlreiche Abb.
Größe: 14,9 x 2 x 22,6 cm
ISBN 978-3-8376-2598-1