Zukunft Lebensräume: Bauen für Menschen mit Demenz

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Prof. Dr. - Ing. Gesine Marquardt von der TU-Dresden stellte nachmittags, am 30. April im Kongresszentrum Kap Europa in Frankfurt am Main in einer Übersicht mehrere Vorschläge für eine Architektur vor, die Menschen mit Demenz betrifft. Was hat Wissenschaft bisher auf diesem Gebiet herausgefunden? Zugleich die Frage, welche Bedeutung die Architektur in diesem Umfeld hat. Und was soll der Betreiber einer Einrichtung davon halten? Der Fachbegriff dafür nennt sich "Evidenz basierte Architektur". Ein Nachschlagewerk soll helfen, zu dem was zu tun und was nicht zu tun ist.

 

Dahinter stehen 30 Jahre Forschungsarbeit. Insgesamt 600 Studien sind erhältlich, nur diejenigen Studien die mit baulichem befasst sind, waren unmittelbar geeignet für den Vortrag: "Planungsanforderungen an Räume für Menschen mit Demenz". Immerhin sind das 169, die brauchbar waren. Doch wie sind diese am besten zu strukturieren? Ein weites Feld, wie Gesine Marquardt meinte. Es geht explizit um eine Architektur, wie sie in einer Pflegeeinrichtung stationärer Natur gebraucht wird. Diese hat eminenten Einfluss auf das Verhalten des Individuums, was sogar messbar ist. Agitation, Aggression und psychiatrische Symptome wurden in der Skala genannt. Zum anderen wurden die kognitiven Eigenschaften angesprochen, deren Funktionalität durch Architektur und Bauweise beeinflusst werden.

 

Aber auch soziale Fähigkeiten spielen eine Rolle und sollen hierbei erprobt werden. Die Möglichkeiten der Interaktion mit den Pflegekräften gehören genauso ins Bild und werden untersucht. Orientierung finden innerhalb der genutzten Räume ist ein wesentlicher Faktor, der in Gebäuden zählt. Ausschlaggebend sind die Rahmenbedingungen in der Pflege. Deshalb sollen grundlegende Architekturmerkmale schon bei der Planung einbezogen werden. Die indikative Betreuung nach internationalen Maßstäben wird hierbei angestrebt. Demnach sind kleinteilige Wohneinheiten zu bevorzugen mit nicht mehr als 12 - 15 Bewohnern. Wohngruppen sind eine gute Idee. Eine tendenziell geringe Bewohnerdichte ist vorteilhaft und sollte sich von vornherein in der Grundrissgestaltung niederschlagen.

 

Von wesentlicher Bedeutung bei der architektonischen Gestaltung in pflegerischen Einrichtungen ist das Licht. Die Lichttherapie ist in Bezug auf Menschen mit Demenz gar nicht hoch genug einzuschätzen. Helles Licht mit 2000 Lux und mehr hat eine positive Wirkung auf die Stimmung der Bewohner, die sonst zu depressiven Verhaltensmustern neigen. Wobei eine Grundausstattung mit Tageslichtsimulation positiv zu bewerten ist. Das ist morgens bläuliches, tagsüber helles und abends leicht rötlich getöntes Licht.

 

Der Geräuschpegel für Menschen mit Demenz schwankt zwischen angenehm und nervig. Wobei angenehm nicht heißt, dass sämtliche Reize der Geräuschkulisse wegzunehmen sind. Die Raumtemperatur sollte ebenfalls angenehm temperiert sein. Raumtemperatur ist einer der wenigen Bemessungen, worauf Menschen mit Demenz genauso empfindlich reagieren wie normal.

 

Wichtig sind Farbkontraste im baulichen Bezug. Welche Farbe, ist dagegen nicht entscheidend und hängt von individuellen Bedürfnissen auf vielen Ebenen ab. Letztlich sollen, multisensorisch auf unterschiedlichen Ebenen, verschiedene Sinnesreize angesprochen werden. Eigene Möbel mit in den Haushalt einbringen, das trägt zum Wohlbefinden der Bewohner bei. Nicht nur Sehen und kognitive Eigenschaften sollen angesprochen sein, auf alle Sinne soll Bezug genommen werden. Wichtig in diesem Zusammenhang sind visuelle Hinweise an Bewohner, wie z.B. Schilder.

 

Erkenntnisse aus dem Alltag sprechen jedoch oftmals eine ganz andere Sprache. Auch die Forderung nach sensibleren Wohnmodulen, die anpassbar sind, haben nicht funktioniert, wie dies aus den Experimenten im Wohnungsbau in den 1970er Jahren hervorgegangen ist. "Die Raumstruktur wie sie ist, bin ich gewöhnt", könnte das Motto lauten in Bezug auf Nachteile der modularen Veränderung. Gesine Marquardt schlägt deshalb vor, nachdem ein Gebäude eröffnet wurde, ähnlich einer Brandschutzbegehung mal eine Architekturbegehung zu unternehmen, um nachzuprüfen, welche Bedeutung bauliche Zusammenhänge beibehalten haben, um das Wohlbefinden seiner Bewohner zu gewährleisten. Sie schlug vor, Krankenhauswände mit großformatigen Fotos aber auch das Aufhängen eigener kleinformatiger Bilder soll erlaubt sein. Erklärtermaßen ginge es wohl darum, dass grundlegende Architekturmerkmale auf der Basis wissenschaftlicher Studien herzuleiten sind. Das sei hilfreich, wenn das Planungsrüstzeug zum Einsatz gelangt, um Ziele in Absprache mit den verschiedenen Verantwortlichen nachhaltiger umzusetzen. 

 

Architektur für Menschen mit Demenz:   pdf-Download  (ca. 4 MB, Chrome oder Mozilla)
Planungsgrundlagen, Praxisbeispiele
und zukünftige Herausforderungen
Gesine Marquardt und Axel Viehweger (Hrsg.)

 

Leitfaden barrierefreies Bauen  ca. 11 MB

 

Siehe auch:  Zukunft Lebensräume: Produkte und Anwendungen vorgestellt

Siehe auch:  Zukunft Lebensräume: Was altersgerechte Architektur ist

Siehe auch:  Zukunft Lebensräume: Zur Vortragsreihe Architektur und Demenz

Siehe auch:  Zukunft Lebensräume. Messe und Kongress im Kap Europa, ein Verbund aus Wohnungs-, Pflege- und Gesundheitswirtschaft

 

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 09. Mai 2015