degressiv - abnehmend, sinkend

Degressiver Zweitwohnungsteuertarif bedarf hinreichend gewichtiger Sachgründe

Meldung: Bundesverfassungsgericht, in Karlsruhe, den 14. Februar 2014

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 14. Februar der Verfassungsbeschwerde gegen einen Zweitwohnungsteuerbescheid der Stadt Konstanz stattgegeben und die zugrundeliegenden Satzungen der Jahre 1989, 2002 und 2006 für nichtig erklärt.

 

Wenn ein degressiver Zweitwohnungsteuertarif - wie im vorliegenden Fall - nicht durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt ist, verletzt er das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

 

Sachverhalt und Verfahrensgang

Die Stadt Konstanz, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, zog den Beschwerdeführer für die Jahre 2002 bis 2006 aufgrund einer Satzung zur Zweitwohnungsteuer heran.

 

1. Die Steuertarife orientieren sich am jährlichen Mietaufwand als steuerlicher Bemessungsgrundlage und pauschalieren den Steuerbetrag durch Bildung von fünf (Zweitwohnungsteuersatzung 1989) beziehungsweise acht Mietaufwandsgruppen (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006).

 

Die konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führt insgesamt zu einem - in Relation zum Mietaufwand - degressiven Steuerverlauf.

 

Zwar steigt der absolute Betrag der Zweitwohnungsteuer mit zunehmender Jahresmiete in Stufen an. Nicht nur auf den jeweiligen Stufen, sondern auch über die Stufen hinweg sinkt jedoch der sich aus dem Mietaufwand und dem zu zahlenden Steuerbetrag ergebende Steuersatz mit steigendem Mietaufwand ab.  

 

2. Der Beschwerdeführer hatte im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. August 2006 eine Zweitwohnung im Stadtgebiet von Konstanz inne, die ihm von seinen Eltern überlassen worden war. Die Beklagte zog ihn für diesen Zeitraum zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von (zuletzt) 2.974,32 € heran. Widerspruch und Klage des Beschwerdeführers hiergegen blieben ohne Erfolg.  

 

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen begründet. Die degressive Ausgestaltung der Zweitwohnungsteuertarife sowie die Entscheidungen der Beklagten und der Fachgerichte verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.  

 

Der degressive Steuertarif in den Zweitwohnungsteuersatzungen 1989, 2002 und 2006 verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.  

 

a) Als örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG muss die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit genügen. Das wesentliche Merkmal einer Aufwandsteuer besteht darin, die in der Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu treffen; diese spiegelt der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der Zweitwohnungsteuer wider.  

 

b) Der degressive Steuertarif bewirkt eine Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastet als wirtschaftlich leistungsfähigere. Denn aus dem Stufentarif ergibt sich mit steigendem Mietaufwand weitgehend ein sinkender Steuersatz. Diese Ungleichbehandlung lässt sich bereits durch Vergleich der jeweiligen mittleren Steuersätze in den Steuerstufen feststellen.

 

Eine weitere Ungleichbehandlung folgt aus den Differenzen in der Steuerbelastung durch die typisierenden Stufen: So sinkt beispielsweise innerhalb der zweiten Steuerstufe nach der Satzung 1989 die Steuerbelastung von fast 40 Prozent auf rund 26 Prozent und nach den Satzungen 2002/2006 von etwa 34,8 Prozent auf 21,8 Prozent. Am stärksten belastet werden insgesamt Steuerpflichtige mit Jahresmieten im unteren Bereich der jeweiligen Steuerstufen. Die Mindest- und Höchstbetragsstufen verstärken diesen degressiven Effekt zusätzlich.  

 

c) Degressive Steuertarife sind nicht generell unzulässig, weil der Normgeber nicht ausnahmslos zu einer reinen Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips verpflichtet ist. Bei der Rechtfertigung unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Bindungen durch das Leistungsfähigkeitsprinzip als materiellem Gleichheitsmaß. Vom Bundesverfassungsgericht ist hierbei nur zu untersuchen, ob der Normgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat, nicht ob er die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.  

 

Hinzu treten die Effekte der Degression zwischen den einzelnen Stufen: Zwischen der Zweitwohnungsteuer bei einem Mietaufwand von 1.200 € und bei einem Mietaufwand von 24.000 € kommt es nach der Satzung 1989 zu einer Differenz von 29 Prozentpunkten (Steuerbelastungen von 34 Prozent bzw. 5 Prozent) und nach den Satzungen 2002/2006 zu einer Differenz von 27 Prozentpunkten (Steuerbelastungen von 33 Prozent bzw. 6 Prozent).  

 

Ein zulässiger Lenkungszweck liegt in der Erhöhung des Wohnungsangebots für die einheimische Bevölkerung und insbesondere für Studierende der Hochschulen vor Ort. Die steuerliche Differenzierung durch einen degressiven Tarifverlauf erweist sich jedoch zur Erreichung dieser Lenkungszwecke weder als geeignet noch als erforderlich. Zwar mag die Erhebung der Zweitwohnungsteuer insgesamt geeignet sein, Zweitwohnungsinhaber zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu bewegen; die degressive Ausgestaltung des Steuertarifs selbst fördert diesen Lenkungszweck jedoch nicht. Dieses Lenkungsziel würde in gleicher Weise durch einen linearen oder gar progressiven Steuertarif erreicht, bei dem die hier festgestellte Ungleichbehandlung nicht vorläge. Gleiches gilt für den Lenkungszweck, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen.

 

www.bundesverfassungsgericht.de

 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 18. Februar 2014