Die Psychoanalyse ist seit Freuds Zeiten die „Wissenschaft
des Unbewussten“. Doch inzwischen beschäftigen sich auch die
Kognitions- und Neurowissenschaften intensiv mit nicht
bewussten Prozessen in der Informationsverarbeitung des
Gehirns. Bei der internationalen Joseph Sandler
Conference, die vom 28. Februar bis 2. März in Frankfurt
stattfindet, werden sich über 250 Forscher und Praktiker aus
15 Ländern mit dem Thema „Das Unbewusste: Eine Brücke
zwischen Psychoanalyse und Cognitive Science“
beschäftigen.
Im Dialog der unterschiedlichen Disziplinen sollen u.a.
folgende Fragen diskutiert werden: Verstehen Forscher das
Gleiche unter „dem Unbewussten“? Kann die Kernthese der
Psychoanalyse angesichts neuerer Forschungen aus dem Bereich
der Kognitions- und Neurowissenschaften noch aufrecht
erhalten werden, dass es ein „dynamisches Unbewusstes“ gibt,
in das Tabuisiertes, seelisch nicht Erträgliches verbannt
wird und das oft unerkannt aktuelles Denken, Fühlen und
Handeln beeinflusst?
Ist dieses Verständnis des Unbewussten für
Veränderungsprozess in Psychoanalysen und Psychotherapien
noch immer unverzichtbar? Die Tagung findet zum siebten Mal
in Frankfurt statt und wird vom Sigmund-Freud-Institut, dem
Frankfurter LOEWE-Zentrum IDea (Center for Research on
Individual Development and Adaptive Education for
Children-at-Risk) sowie den Universitäten Frankfurt und
Kassel in Kooperation mit International Research Board der
International Psychoanalytical Association organisiert.
Veranstaltungsort der Festsaal im Casino auf dem Campus
Westend der Goethe-Universität.
Das „Unbewusste“ galt in der Psychologie lange als nicht
direkt empirisch untersuchbar und wurde daher eher als
Gegenstand für mythologische oder religiöse Betrachtungen
angesehen. Doch das hat sich seit einigen Jahren grundlegend
geändert, wie die Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts,
Prof. Marianne Leuzinger-Bohleber, erläutert: „Vor allem
durch die Möglichkeit, das lebende Gehirn dank bildgebender
Verfahren wissenschaftlich zu untersuchen, ist es heute für
die meisten Wissenschaftlern unstrittig, dass der Austausch
zwischen der Psychoanalyse und den Neurowissenschaften für
alle Beteiligten vielversprechend ist.
Die Neurowissenschaften verfügen inzwischen über die
objektivierenden und exakten Methoden zur Prüfung
anspruchsvoller Hypothesen über menschliches Verhalten,
während die Psychoanalyse aufgrund ihrer reichen Erfahrung
mit Patienten die notwendige Konkretion und das
Anschauungsmaterial in Bezug auf menschliches Verhalten
beizutragen und dadurch genaue Fragen an die
Biowissenschaften zu stellen vermag.“
Leuzinger-Bohleber gehörte zu den ersten
Psychoanalytikerinnen, die sich in Deutschland aktiv im
Dialog mit den Neurowissenschaften engagiert haben.
Inzwischen wurde eine eigene wissenschaftliche Disziplin
gegründet: die Neuro-Psychoanalyse. Freud hätte dem
übrigens sehr positiv gegenüber gestanden. Dazu die
Forscherin: „Die neuen Beobachtungsinstrumente in den
Neurowissenschaften scheinen einen Traum von Freud in die
Wirklichkeit umzusetzen: Komplexe unbewusste psychische
Prozesse werden dank der bildgebenden Verfahren einer
objektiven Beobachtung zugänglich, eine enorme Chance für
die Psychoanalyse, wie auch der Nobelpreisträger Eric
Kandel immer und immer wieder betont.“
Die Neuro-Psychoanalyse führt insbesondere in der Schlaf-
und Traumforschung, wie sie auch am Sigmund-Freud-Institut
betrieben wird, zu ganz neuen Einblicken. Die Frankfurter
Wissenschaftlerin nennt ein Beispiel: Ein Teil der chronisch
depressiven Patienten, die z. Zt. in einer großen
Therapiewirksamkeitsstudie zur Wirkung psychoanalytischer
Therapien verglichen mit kognitiv-behavioralen untersucht
werden, haben sich bereit erklärt, evtl. Veränderungen
während der Behandlungen auch im Schlaflabor und in der
funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI) zu
untersuchen. Die Ergebnisse dieser „objektiven“ Messungen
werden den Veränderungen des Sinnerlebens der einzelnen
Patienten in Psychoanalysen gegenübergestellt, wie dies am
Sonntag von der Forschergruppe des Sigmund-Freud-Instituts
wird.
Während für die Tagung eine Anmeldung (inkl. Gebühr)
erforderlich ist, hält Prof. Mark Solms aus Kapstadt
am Freitag (28. Februar) um 20 Uhr im Casino, Campus Westend,
einen öffentlichen Vortrag über den internationalen Stand
der Forschung. Er ist einer der Begründer der Society for
Neuro-Psychoanalysis und Initiator des Dialogs zwischen
Psychoanalyse und Neurowissenschaften, außerdem kennt er
Freuds neurologische Schriften bestens.
Weitere Themen der Tagung sind u.a.: Lernstörungen und frühe
Bildung; unbewusste Phantasien bei Menschen mit gravierenden
seelischen Problemen; neue Erkenntnisse aus der
Suizidalforschung; Funktionelle
Magnetresonanztomographie-Studien mit Kindern und
Jugendlichen mit Diagnose ADHS, Autismus, Tourette Syndrom,
emotionaler Frühverwahrlosung.
Die Joseph Sandler Research Conference wird im
nächsten Jahr in Yale (USA) und 2016 in Buenos Aires
(Argentinien) veranstaltet. Sandler und seine Frau hatten
die Psychoanalyse in den 1990er Jahren stärker für den
Dialog mit den anderen Wissenschaften geöffnet und deshalb
diese einmal im Jahr ausgerichtete Conference ins Leben
gerufen.
Siehe auch:
Wie das
Gehirn verdeckte Objekte erkennt
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