Erinnerungen an ein Stück Zeitgeschichte, die haarsträubende wie beeindruckende Fritz-Bauer-Ausstellung aus dem Jahre 2004 im Frankfurter Bürgerhaus Gallus 

 
 

Im Rahmen eines Seminars bei Jean-Christophe Ammann, bis 2001 Direktor im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main und Honorarprofessor am Kunstpädagogischen Institut, unternommener Ausstellungsbesuch mit Rundgang und Diskussionen im Anschluss an das Erlebte.

 

In diesen Tagen wird an 50 Jahre Auschwitz-Prozesse um den jüdischen Staatsanwalt Fritz Bauer in Frankfurt am Main erinnert, die von 1963 bis 1965 dauerten und so etwas wie eine historische Aufarbeitung deutscher Geschichte während der Diktatur des Dritten Reiches darstellen. Dazu können sich andere Nationen ebenfalls ihren Teil denken, weil deren historische Ereignisse bis heute nicht aufgearbeitet worden sind. Davon gibt es sicherlich eine Reihe, die zu erwähnen wären.

 

Vom 23. März bis 25. Mai 2004, erinnerte vor fast zehn Jahren das Fritz Bauer Institut in einer eigens dafür inszenierten Ausstellung im Frankfurter Bürgerhaus Gallus an eines der größten Schwurgerichtsverfahren der deutschen Justizgeschichte. "Auschwitz vor Gericht - 40 Jahre danach". Das Dokumentationszentrum wagte ein seinerzeit mutiges Ausstellungsprojekt. Zugleich wurde Besuchern der Einblick in die Dramatik eröffnet, die damals in Frankfurt geherrscht hat. Nur die hohen Wände starren kalt und leer wie ehedem vor sich hin. Das soziale Gefühl in diesen Räumen überwiegt. Das hängt auch damit zusammen, dass im Gallus verstärkt Jugendarbeit mit Sozialarbeitern betrieben wird. Das ist nicht jedermanns Geschmack, bleibt aber unbedingt ein Erfordernis an den Stadtteil mit vielen sozialen Brennpunkten. Auch das in Kellerräumen befindliche Gallus-Theater ganz in der Nähe besteht noch und wirkt aufgeräumt. Was sich verändert hat, ist das näher rückende und expandierende Europaviertel, was neue Herausforderungen an die benachbarten Stadtteile stellt. 

 

Die historisch-dokumentarische Ausstellung wurde seinerzeit durch zeitgenössische Kunst - teils Auftragsarbeiten sowie ausgesuchte Werke ergänzt. Internationale Künstlerinnen und Künstler brachten Themen mit persönlichen Erfahrungen und aktuellen Fragestellungen zusammen. Das Konzept ergänzte die historische Dimension um subjektive Verarbeitungsstrategien und gegenwartsbezogene Aspekte. Besonderes Interesse galt jüngeren Künstlerinnen und Künstlern aus Ost- und Südosteuropa, die sich mit dem Thema Terror und Diktatur, der Verletzung von Menschenrechten und der Erinnerung an Gewalterfahrungen auseinandersetzten.

Im Mittelpunkt des dokumentarischen Teils stand dabei der Frankfurter Auschwitz-Prozess. Vor Gericht standen anfangs 24, später 22 Angeklagte. Getagt wurde zunächst im Frankfurter "Römer", später im Bürgerhaus Gallus, wo besagte Ausstellung stattfand. Während der zwei Jahre, über die sich der Prozess mit seinen 183 Verhandlungstagen hinzog, hörte das Gericht 375 Zeuginnen und Zeugen, 211 von ihnen waren Überlebende des größten der NS-Vernichtungslager. Ihre Aussagen, die Schlussworte der Angeklagten, die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und Verteidiger und die elfstündige Urteilsverkündigung wurden auf Tonband aufgenommen. Dieses Material bildete die zentrale Grundlage für den dokumentarischen Bereich der Ausstellung, zu der auch Berichte aus Funk, Fernsehen und Presse hinzugezogen werden. Ähnliche Konzepte vertrat vielleicht die Ausstellung Doppelleben" Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland im Literaturhaus Frankfurt aus dem Jahre 2009, die ähnlich eindringlich versuchte das deutsche Dilemma auf Herz und Nieren zu hinterfragen.

 

Diese eindrucksvolle, fast schematische Vorgehensweise ermöglichte dem Besucher, die Situationen vor Ort direkt nachzuempfinden. Die Räumlichkeiten waren bis auf wenige Veränderungen praktisch in demselben Zustand wie damals zum Gerichtsprozess. Der Aufbau wirkte wie in einer Schulaula. Es hätte auch der Bühnenaufbau im Film "Manderlay" von Lars von Trier sein können, so spartanisch waren die Requisiten auf ein Minimum der sachlichen Auseinandersetzung beschränkt. Der Wert der Aufstellung mit Ausstellungskonzept mag bleiben. Grausames, Ohnmächtiges und Verdrängung sind dagegen vergessen, weil nicht mehr zeitgemäß und längst durch neue moralische Herausforderungen an die Menschheit überdeckt. Was die didaktische Komponente an der Sache angeht, die lebt weiter. Einer mag gelangweilt herausgegangen sein, die andere war ungläubig oder geschockt. Was zählt, ist das Erkennen wie die Menschen damals lebten und was sie erlitten haben.  
 

Siehe auch: Doppelleben"  Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland im Literaturhaus Frankfurt  

 

Siehe auch:  Stolpersteine der Geschichte, die an deportierte Juden erinnern sollen und überall dort vor Wohnhäusern zu finden sind, wo Festnahmen waren

 


 
 

Kulturexpress ISSN 1862-1996

vom 20. Dezember 2013