»Frankfurt liest ein Buch« vom 15. - 28. April 2013

Mittlerweile zum vierten Mal lesen Frankfurter zwei Wochen lang an verschiedenen Orten in der Stadt. Diesmal aus Siegfried Kracauers Roman "Ginster"

Bisher dreimal hat sich die Leseaktion in der Stadt wiederholt. Mit 40.000 Besuchern und rund 330 Veranstaltungen sind die ersten Aktionen somit als Erfolg zu werten.

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v.l.n.r. Wolfgang Schopf, Suhrkamp Stiftung, Julia Ketterer, Lektorin im Suhrkamp Verlag, Verleger Klaus Schöffling, Felix Semmelroth, Kulturdezernent der Stadt Frankfurt und Lothar Ruske, Veranstalter u.a. LiteraturLounge

Eine Leseaktion zu veranstalten, das paßt schon aus orthographischen Erwägungen. Die Wortkomposition besteht aus zwei Wortgliedern: Frank wie "frank und frei" und "Furt" wie die Flussüberquerung an flacher Stelle. Das verlangt ein Nachdenken, wie die Wortkomposition zustande gekommen sein könnte. Es Bedarf einiger Anstrengung um sich den Namen Frankfurt vor Augen zu führen, der sich besonders durch Knacklaute wie einem ausgeprägten "k" definiert. Zudem existiert eine frühere noch härtere Schreibweise mit "ck" in Franckfort. Das ist nicht so leicht in der Aussprache zu bewältigen, wie das andere Städtenamen erlauben, z.B. Berlin, Wien, München, Basel, London, Lublin, Lille oder Paris.

Wortkompositionen sind im übrigen dann ein häufiges Phänomen in Städtenamen, zu finden in: Hamburg, Friedberg, Düsseldorf, Offenbach oder Darmstadt, die ebenso aus zwei verschiedenen Wörtern zusammengesetzt sind. Bei den einfacheren Namen wird im Hintergrund ebenfalls eine Wortkomposition eine Rolle spielen, wenn dies auch nicht mehr so offensichtlich ist. Viele Städtenamen enden mit -in, wie Stettin oder Schwerin.

Mehrere Stadtteile in Frankfurt am Main haben mit -heim ebenfalls eine gleichlautende Endung, wie in Bockenheim, Eckenheim, Bornheim, Enkheim  oder Eschersheim. Aus rein didaktischen Gründen ist es jedenfalls als chic zu bezeichnen, wenn sich die Stadt Frankfurt eine Leseaktion gönnt, um seine Mitbürger ein wenig aufzurütteln und in die Welt der Buchstaben einzuladen. Für die Leseförderung  kann darüber hinaus gar nicht genug getan werden. Jede Leserin und jeder Leser mit einem Buch in der Hand erhöhen die Möglichkeit einmal mehr zu kommunizieren und lassen die Menschen viel interessanter erscheinen.

Eine Furt ist ein Ort, an dem ein Fluß leicht überquert werden kann. Das trifft zumindest auf Frankfurt am Main zu. Aber für Frankfurt an der Oder, der Ort an dem Heinrich von Kleist geboren wurde, der nicht zur literarischen Klassik zählt, sondern eher einen Idealismus vertritt, stimmt diese Interpretation wie sie auf Frankfurt am Main zutrifft schon nicht mehr. Dort wird der Städtename, laut Wikipedia, über die Franken hergeleitet, die in der früheren Zeit überall unterwegs waren und allgemein als Kaufleute bezeichnet wurden. Klingt glaubwürdig und könnte auch auf Frankfurt am Main als mittelalterliche Messestadt zutreffen. Die Stadt als Handelsort definiert.

Die Zeiten der harten Schreibweise sind vorbei. Geblieben ist, dass etwas markantes und eckiges im Wortnamen steckt. Diese Umschreibung trifft zu, wenn die Bedeutung der Stadt als Handelsmetropole und Wirtschaftzentrum betrachtet werden soll und wenn Schlüsse auf die Komplexität der Stadtrechte gezogen werden. Schon das benachbarte Offenbach grenzt unmittelbar an die städtische Bebauung an, verfügt jedoch über eigene Stadtrechte. Offenbach ist Kreisstadt zu einer Reihe an Orten südlich von Frankfurt gelegen. Welche Hindernisse damit aufgebaut werden, lässt sich schon aus den Grenzziehungen im Stadtplan ablesen.

In der Römerzeit war das vorchristliche Frankfurt ein Ort mit dem Namen "Nidda", ein markanter Eckpunkt am äußersten Zipfel des Limes, Widerstandswall gegen feindliche Übergriffe auf das römische Hoheitsgebiet. Für Land und Leute blieb diese künstliche Grenzziehung jedoch unbedeutend und lästig. Das römische Recht hat sich dagegen durchgesetzt und weiterentwickelt.

Siegfried Kracauer, der Nachname beinhaltet ebenfalls einen Städtenamen mit Knacklauten und erinnert an die Stadt Krakau in Polen. Hat damit aber nicht viel zu tun. Kracauers Name schreibt sich mit "c". Im Latein ist bis heute ungeklärt, wie das einzelne "c" ausgesprochen wurde. Eine Form, wie die Namen "Cäsar" oder Cicero" gehen von einem [z} aus. Anfang des 20. Jahrhunderts war in weiten Teilen Deutschlands jedoch die lateinische Aussprache des „c“ als [k] eher üblich. Demnach könnte der Name entweder "Krakauer" oder "Krasauer" lauten. Aussprachevarianten sind nicht von vornherein "falsch", sondern entspringen einer Tradition.

Der Autor Siegfried Kracauer mit [k} gesprochen, wurde1889 in Frankfurt am Main geboren. Er war Journalist, Soziologe, Filmtheoretiker und Geschichtsphilosoph. Auf Drängen seiner jüdischen  Eltern studierte er zunächst von 1907 bis 1913 in Darmstadt, München und Berlin Architektur. Diesen Beruf übte er jedoch nicht aus. Bekanntheitsgrad erreichte Kracauer vielmehr durch seine soziologischen Studien. Er gilt als einer der Mitbegründer der Soziologie als eigenständige Wissenschaft in den 1920er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Dort steht er neben Leuten wie dem Nationalökonom Max Weber, der umfangreiche Studien verfasste und veröffentlichte. Siegfried Kracauer ist Autor der ersten empirisch-soziologischen Studie in Deutschland gewesen und gilt als einer der Begründer der Filmsoziologie.

In seinem Roman "Ginster" wird auf eingehende Weise die Stadt Frankfurt beschrieben, wie sie vor den Weltkriegen ausgesehen hat. Deshalb ist die Auswahl "Frankfurt liest ein Buch" kein schlechter Einfall gewesen. Nachdem Genazinos "Abschaffel", ein Angestelltenroman der 1970er Jahre, der in Frankfurt angesiedelt ist, 2011 auch kein schlechter Einfall war.

www.frankfurt-liest-ein-buch.de/2013

Aus dem Inhalt:

Ein »Drückeberger« als Held: Ginster ist 25, als der Erste Weltkrieg ausbricht, ein begabter Frankfurter Architekt. Der patriotischen Begeisterung seiner Zeitgenossen steht er skeptisch gegenüber, und so verwendet er einige Mühe darauf, sich immer wieder vom Kriegsdienst zurückstellen zu lassen – das Vaterland braucht seine Architekten schließlich nicht an der Front, sondern zu Hause, wo etwa Granatfabriken und Ehrenfriedhöfe für die gefallenen Soldaten zu planen sind.

Doch dann ereilt auch Ginster der Gestellungsbefehl. Weit weg von den Schlachtfeldern lernt er, mit militärischer Präzision ein Bett zu bauen, zu schießen und »gegen die Feinde Kartoffeln zu schälen«. Und es festigt sich in ihm die Überzeugung, dass all diese Übungen nicht dem Krieg dienen, sondern der ganze Krieg ein Vorwand für die Übungen ist. Im Frankfurt des Ersten Weltkriegs spielt dieser Roman, der den literarischen Ruhm seines Autors begründete. Es ist das faszinierende Porträt eines Mannes, dessen Haltung zur Welt und ihren Widersprüchen oft mit Chaplin und Keaton verglichen worden ist.

Ginster. Von ihm selbst geschrieben, Berlin: S. Fischer, 1928. Neuauflage "Ginster" erschienen im Suhrkamp Verlag, gebundene Ausgabe, 341 Seiten,  ISBN: 978-3-518-42353.

Veranstaltungskalender und Verlagsseite:

Siehe auch:  www.suhrkamp.de/buecher/ginster-siegfried_kracauer_42353.html

Weitere Literatur:

Soziologie als Wissenschaft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung, Dresden: Sibyllen-Verlag, 1922 und Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland, Frankfurt a. M.: Frankfurter Societäts-Druckerei, 1930. Zu finden in der Gesamtausgabe als Band 1 "Soziologie als Wissenschaft. Der Detektivroman. Die Angestellten" im Jahre 2006 erschienen..

Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, Amsterdam: Allert de Lange, 1937 ist mehrfach wieder aufgelegt worden und wird im Zusammenhang mit "Frankfurt liest ein Buch" von den Städtischen Bühnen der Oper Frankfurt zum Anlass einer Lese-Veranstaltung zum Thema Operette genommen.

Georg. Roman, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977

Der Riß der Welt geht auch durch mich. Theodor W. Adorno – Siegfried Kracauer: Briefwechsel 1923–1966. Hrsg. von Wolfgang Schopf, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 2008

 

 

Kulturexpress  ISSN 1862-1996

vom 10. April 2013