Deutschland
steht vor der Entscheidung. Ulrich Beck stellt sich die Frage, wird
in Griechenland bald wieder die Drachme gültige Währung sein? Schwer
zu beurteilen. Jedenfalls sind die Auseinandersetzungen lautstark zu
hören. Andererseits, was geht es die Bevölkerung der Griechen an,
wenn die ECB mit negativen Zahlen umgeht und griechische Bilanzen
nicht mehr verwischen kann. Letztlich ein abstraktes Problem das
sich den Bürgern stellt. Weshalb werden die Griechen mit abstrakten
Problemen belastet, das kann doch nicht wahr sein. Da stimmt etwas
nicht.
Ulrich Beck
argumentiert rhetorisch, wenn er die Frage stellt "europäisches
Deutschland" oder "deutsches Europa". Das eine ist wahr, das andere
ist eine Übertreibung. Thomas Mann verwendete die gleiche
gedankliche Umkehrung in einer Rede, verwendete jedoch nicht die
provokative Sicht wie Beck, sondern wollte einen Aufruf und Mahnung
zur Integration in ein friedfertiges Europa gestalten.
Die
Forderung trifft
nicht mehr zu, weil die Finanzwirtschaft einen Riegel vorgeschoben
hat. Ulrich Beck will mit seinem Essay eine neue Interpretation
der Krise zulassen, deshalb greift er zu außergewöhnlichen
Mitteln, die fast satirisch wirken.
Der
Kontinent gerät ins Wanken, deshalb will niemand mehr an ihn
glauben. Denn es wird vielen zuviel, immer wieder auf die gleichen
Spitzen angesprochen zu werden. Mit Spitzen ist der europäische
Kontinent gemeint, der fast nur aus solchen Geographien besteht. Die
große Masse der europäischen Länder ist noch gar nicht integriert in
der Eurowährung, wie Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. Dafür sollen Länder wie
Deutschland und Frankreich ihren Kopf hinhalten.
Vergesst nicht die Gesellschaft, heißt ein Anspruch des Essays.
Vergesst euch nicht selbst, sonst hat Europa bald keine Bedeutung
mehr. Beck schreibt aus der Sicht des Beteiligten, indem er aus dem
Radio über Entscheidungen im Bundestag erfährt. Sparauflagen
bestimmen hier den Alltag.
Er
argumentiert spekulativ, was wäre wenn Griechenland den Euroraum
verlassen würde? Das würde die die Vorenthaltung von Krediten
bedeuten, was der entscheidende Machthebel in Europa ist. Aber
Deutschland ist vom gelehrigen Schüler zum Lehrmeister geworden.
Deutschland übernimmt die Führung und übernimmt die Verantwortung.
Das klingt nur nach Kollabierung, was hier beschrieben ist. Das will
niemand. Die Krise spitzt sich zu. Warum müssen die Europäer
Spießrutenlaufen üben?
In einem
deutschen Europa würde das Land für ein Scheitern des Euro und der
EU verantwortlich gemacht, lautet die Konsequenz einer solchen
Rhetorik.
Als nächstes
folgt das Vexierbild. Was Europa zerreißt und verbindet ist die
Krise. Die deutsche Sparpolitik spaltet Europa. Wen oder was spaltet
das noch? Die Menschen hoffentlich nicht. Nein, Verlierer will
niemand. Deutsche Steuergelder werden nicht verschenkt. Das Geld wir
gespart, wie Krankenkassen sparen können auf Kosten der Gesundung.
Ulrich Beck
konstatiert die Errungenschaften und Erfolge der EU nach 55 Jahren
und nach Unterzeichnung der Römischen Verträge. Dann wird es
holprig. "Wir befinden uns in jedem Fall in einer schwierigen
historischen Situation". Dänemark und Großbritannien haben sich
gegen den Euro entschieden. Ist es also eine Lösung, wenn sich
Griechenland für den Ausstieg entscheidet? Vermutlich nicht! Der
Ausstieg eines Landes aus dem Euro ist nicht geregelt. Ist also ein
bürokratisches Problem. In jedem
Fall hätten die Griechen Anspruch auf Hilfe nach dem Ausstieg. Das
kann wiederum teuer werden.
Die Grenzen
werden unscharf. Es sind die Grenzen der eigenen Wahrnehmung, die
zur Unschärfe neigen. In allem verbirgt sich ein
Wahrnehmungsproblem. Fakten sind nicht bestechlich, wenn sie nur
rechtzeitig erkannt werden.
Die Krise
der Europäischen Union ist keine Schuldenkrise. Das ist zunächst
eine Behauptung. Ein Riss zwischen Nord- und Südländern ist
entstanden. Doch wer soll dafür bezahlen? Flüchtlingsströme bewegen
sich unentwegt von Süden nach Norden. Die EU-Grenzordnung lässt das
einfach nicht mehr zu. Das ist beklagenswert. Neue Koordinaten der
Macht und wie es zum deutschen Europa kommt - die Spannung steigt. Doch
wer ist Schuld? Die Antwort: Tschernobyl natürlich. Das darauf noch
niemand gekommen ist. Der 11. September ist ebenfalls beteiligt.
Die
Theorie der Risikogesellschaft setzt bewusst bei den
Gefährdungen an. Ulrich Beck nimmt seine eigene Theorie, um
Missstände zu bezeichnen. Handlungs- und Lebensräume sollen sichtbar
werden. Inflation der Risiken umgibt die Menschen schleichend aber
immer mehr. Der Gedanke der Haftungsgemeinschaft kommt ins
Spiel. Das kann den Deutschen in Unruhe versetzen.
Doch wie
kann die Demokratie auf europäischer Ebene gestärkt werden? Es ist
das Spannungsverhältnis zwischen Logik und Risiko, stellt Beck fest.
Der Bruch liegt in der Europäisierung. Was ist stärker,
Nationalstaaten oder Europa? Der eine versucht den anderen
auszutreiben mit seinen Mitteln.
Der
europäische Gedanke ist nicht mit Disziplin erfüllt sondern mit
Strafe. Das ist bedauerlich und ein Problem. Politische
Transformation ist kein Argument, wenn Ängste geschürt werden und
Bedrohungen zunehmen. Die Überforderung des einzelnen steht bevor.
EU-Länder oder Euro-Länder, wo ist der Unterschied? Grenzen
verschwimmen, lösen sich auf. Hier kann nur der Nationalstaat
einschreiten, um sich zu wehren gegen die Haltlosigkeit.
Eine andere
Spaltung ist zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern, doch was will
damit gesagt sein. Eine Zweiklassengesellschaft wird sich daraus
nicht entwickeln, weil Grenzziehungen zu unscharf geworden sind. Spaltung
in ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Solange diese nicht
gegenläufig sind, ginge das, wäre verantwortbar.
Die
Strategie der Verweigerung sieht Beck in Deutschland: Etwas nicht
tun, um ans Ziel zu gelangen. Dieses vielfache Nein, ist der
Hebel in der Schaltzentrale. Merkiavelli entspricht einer
Mischung aus Merkel und Macciavelli dem vordemokratischen
Herrscherfürsten. Neoliberalismus nach außen,
sozialdemokratisch getönter Konsens nach Innen gerichtet, das ist
die Erfolgsformel Merkiavellis.
Der Aufstieg
Deutschlands zu einem deutschen Europa gestaltet sich ungeplant, war
ein Resultat der Finanzkrise. Weil sie keine Erfolge vorzuweisen
hat, könnte die Methode Merkiavelli bald an ihre Grenzen stoßen.
Arme werden ärmer. Der Mitte droht der Abstieg. Das könnte zur
Gegenmacht führen. Koalitionswechsel ohne Regierungswechsel
prognostiziert Beck aus seinen Gedankenschläuchen. Es ist eine
Interpretation der Zeitgeschichte auf Nummer eins gebracht.
Sachzwang
ist Sparzwang, das geht von einem deutschen Europa aus. Die
Kreditvergabe ist an Reformaufgaben gebunden. Die Wut der Bürger
steigert sich. Prinzip des Ausgleichs, Prinzip der Versöhnung und
Prinzip der Verhinderung in kantischer Gliederung generiert. Das
allein soll Abhilfe schaffen? Das glaubt niemand und aus einer
Vision wird das Feindbild Europa.
Am Schluß
des Bandes bleiben die Forderungen, die an Europa gestellt werden
um mehr soziale Sicherheit und mehr Demokratie zu erreichen. Und wer setzt den
Gesellschaftsvertrag durch? Antwort: wo Gefahr ist, da sind auch
immer wieder Rettungsschirme.
Leseprobe aus dem Buch zum Download
Erschienen am 13.10. 2012
Broschur, 80 Seiten, 7,99 EUR
ISBN: 978-3-518-06286-9
www.suhrkamp.de
Siehe auch: Zur
Verfassung Europas. Ein Essay (2011) von Jürgen Habermas erschienen
im Suhrkamp Verlag
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