Neue Machtlandschaften im Zeichen der Krise

Das deutsche Europa (2012) von Ulrich Beck. Neuausgabe edition suhrkamp digital

Oder die Frage: kehrt Griechenland etwa zur Drachme zurück?

Buchumschlag: Suhrkamp Verlag     

Deutschland steht vor der Entscheidung. Ulrich Beck stellt sich die Frage, wird in Griechenland bald wieder die Drachme gültige Währung sein? Schwer zu beurteilen. Jedenfalls sind die Auseinandersetzungen lautstark zu hören. Andererseits, was geht es die Bevölkerung der Griechen an, wenn die ECB mit negativen Zahlen umgeht und griechische Bilanzen nicht mehr verwischen kann. Letztlich ein abstraktes Problem das sich den Bürgern stellt. Weshalb werden die Griechen mit abstrakten Problemen belastet, das kann doch nicht wahr sein. Da stimmt etwas nicht.

 

Ulrich Beck argumentiert rhetorisch, wenn er die Frage stellt "europäisches Deutschland" oder "deutsches Europa". Das eine ist wahr, das andere ist eine Übertreibung. Thomas Mann verwendete die gleiche gedankliche Umkehrung in einer Rede, verwendete jedoch nicht die provokative Sicht wie Beck, sondern wollte einen Aufruf und Mahnung zur Integration in ein friedfertiges Europa gestalten.

 

Die Forderung trifft nicht mehr zu, weil die Finanzwirtschaft einen Riegel vorgeschoben hat. Ulrich Beck will mit seinem Essay eine neue Interpretation der Krise zulassen, deshalb greift er zu außergewöhnlichen Mitteln, die fast satirisch wirken.

 

Der Kontinent gerät ins Wanken, deshalb will niemand mehr an ihn glauben. Denn es wird vielen zuviel, immer wieder auf die gleichen Spitzen angesprochen zu werden. Mit Spitzen ist der europäische Kontinent gemeint, der fast nur aus solchen Geographien besteht. Die große Masse der europäischen Länder ist noch gar nicht integriert in der Eurowährung, wie Rumänien, Bulgarien oder Ungarn. Dafür sollen Länder wie Deutschland und Frankreich ihren Kopf hinhalten.

 

Vergesst nicht die Gesellschaft, heißt ein Anspruch des Essays. Vergesst euch nicht selbst, sonst hat Europa bald keine Bedeutung mehr. Beck schreibt aus der Sicht des Beteiligten, indem er aus dem Radio über Entscheidungen im Bundestag erfährt. Sparauflagen bestimmen hier den Alltag.

 

Er argumentiert spekulativ, was wäre wenn Griechenland den Euroraum verlassen würde? Das würde die die Vorenthaltung von Krediten bedeuten, was der entscheidende Machthebel in Europa ist. Aber Deutschland ist vom gelehrigen Schüler zum Lehrmeister geworden. Deutschland übernimmt die Führung und übernimmt die Verantwortung. Das klingt nur nach Kollabierung, was hier beschrieben ist. Das will niemand. Die Krise spitzt sich zu. Warum müssen die Europäer Spießrutenlaufen üben?

 

In einem deutschen Europa würde das Land für ein Scheitern des Euro und der EU verantwortlich gemacht, lautet die Konsequenz einer solchen Rhetorik.

 

Als nächstes folgt das Vexierbild. Was Europa zerreißt und verbindet ist die Krise. Die deutsche Sparpolitik spaltet Europa. Wen oder was spaltet das noch? Die Menschen hoffentlich nicht. Nein, Verlierer will niemand. Deutsche Steuergelder werden nicht verschenkt. Das Geld wir gespart, wie Krankenkassen sparen können auf Kosten der Gesundung. 

 

Ulrich Beck konstatiert die Errungenschaften und Erfolge der EU nach 55 Jahren und nach Unterzeichnung der Römischen Verträge. Dann wird es holprig. "Wir befinden uns in jedem Fall in einer schwierigen historischen Situation". Dänemark und Großbritannien haben sich gegen den Euro entschieden. Ist es also eine Lösung, wenn sich Griechenland für den Ausstieg entscheidet? Vermutlich nicht! Der Ausstieg eines Landes aus dem Euro ist nicht geregelt. Ist also ein bürokratisches Problem. In jedem Fall hätten die Griechen Anspruch auf Hilfe nach dem Ausstieg. Das kann wiederum teuer werden.

 

Die Grenzen werden unscharf. Es sind die Grenzen der eigenen Wahrnehmung, die zur Unschärfe neigen. In allem verbirgt sich ein Wahrnehmungsproblem. Fakten sind nicht bestechlich, wenn sie nur rechtzeitig erkannt werden.

 

Die Krise der Europäischen Union ist keine Schuldenkrise. Das ist zunächst eine Behauptung. Ein Riss zwischen Nord- und Südländern ist entstanden. Doch wer soll dafür bezahlen? Flüchtlingsströme bewegen sich unentwegt von Süden nach Norden. Die EU-Grenzordnung lässt das einfach nicht mehr zu. Das ist beklagenswert. Neue Koordinaten der Macht und wie es zum deutschen Europa kommt  -  die Spannung steigt. Doch wer ist Schuld? Die Antwort: Tschernobyl natürlich. Das darauf noch niemand gekommen ist. Der 11. September ist ebenfalls beteiligt.

 

Die Theorie der Risikogesellschaft setzt bewusst bei den Gefährdungen an. Ulrich Beck nimmt seine eigene Theorie, um Missstände zu bezeichnen. Handlungs- und Lebensräume sollen sichtbar werden. Inflation der Risiken umgibt die Menschen schleichend aber immer mehr. Der Gedanke der Haftungsgemeinschaft kommt ins Spiel. Das kann den Deutschen in Unruhe versetzen.

 

Doch wie kann die Demokratie auf europäischer Ebene gestärkt werden? Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Logik und Risiko, stellt Beck fest. Der Bruch liegt in der Europäisierung. Was ist stärker, Nationalstaaten oder Europa? Der eine versucht den anderen auszutreiben mit seinen Mitteln.

 

Der europäische Gedanke ist nicht mit Disziplin erfüllt sondern mit Strafe. Das ist bedauerlich und ein Problem. Politische Transformation ist kein Argument, wenn Ängste geschürt werden und Bedrohungen zunehmen. Die Überforderung des einzelnen steht bevor. EU-Länder oder Euro-Länder, wo ist der Unterschied? Grenzen verschwimmen, lösen sich auf. Hier kann nur der Nationalstaat einschreiten, um sich zu wehren gegen die Haltlosigkeit.

 

Eine andere Spaltung ist zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern, doch was will damit gesagt sein. Eine Zweiklassengesellschaft wird sich daraus nicht entwickeln, weil Grenzziehungen zu unscharf geworden sind. Spaltung in ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Solange diese nicht gegenläufig sind, ginge das, wäre verantwortbar.

 

Die Strategie der Verweigerung sieht Beck in Deutschland: Etwas nicht tun, um ans Ziel zu gelangen. Dieses vielfache Nein, ist der Hebel in der Schaltzentrale. Merkiavelli entspricht einer Mischung aus Merkel und Macciavelli dem vordemokratischen Herrscherfürsten. Neoliberalismus nach außen, sozialdemokratisch getönter Konsens nach Innen gerichtet, das ist die Erfolgsformel Merkiavellis.

 

Der Aufstieg Deutschlands zu einem deutschen Europa gestaltet sich ungeplant, war ein Resultat der Finanzkrise. Weil sie keine Erfolge vorzuweisen hat, könnte die Methode Merkiavelli bald an ihre Grenzen stoßen. Arme werden ärmer. Der Mitte droht der Abstieg. Das könnte zur Gegenmacht führen. Koalitionswechsel ohne Regierungswechsel prognostiziert Beck aus seinen Gedankenschläuchen. Es ist eine Interpretation der Zeitgeschichte auf Nummer eins gebracht.  

 

Sachzwang ist Sparzwang, das geht von einem deutschen Europa aus. Die Kreditvergabe ist an Reformaufgaben gebunden. Die Wut der Bürger steigert sich. Prinzip des Ausgleichs, Prinzip der Versöhnung und Prinzip der Verhinderung in kantischer Gliederung generiert. Das allein soll Abhilfe schaffen? Das glaubt niemand und aus einer Vision wird das Feindbild Europa.

   

Am Schluß des Bandes bleiben die Forderungen, die an Europa gestellt werden um mehr soziale Sicherheit und mehr Demokratie zu erreichen. Und wer setzt den Gesellschaftsvertrag durch? Antwort: wo Gefahr ist, da sind auch immer wieder Rettungsschirme.

 

Leseprobe aus dem Buch zum Download

 

Erschienen am 13.10. 2012
Broschur, 80 Seiten, 7,99 EUR
ISBN: 978-3-518-06286-9

www.suhrkamp.de

 

 

Siehe auch: Zur Verfassung Europas. Ein Essay (2011) von Jürgen Habermas erschienen im Suhrkamp Verlag

 

 

 

Kulturexpress  ISSN 1862-1996

vom 23. November 2012