documenta 13 - 9. Juni bis 9. September 2012

Auf Verlangen bitte Türe öffnen!  documenta 13  in den Startlöchern

Foto: Maass   

 

Kunst zu haben ist wie ein großer See, der mal kleinere und mal größere Wellen schlägt. Was in Kassel gerade passiert, ist der Auftakt in eine neue Saison der Kunstbeflissenen von Juni - September. Ein internationales Publikum hat sich zur Documenta angemeldet, entsprechend viel ist los gewesen am 6. Juni, dem ersten Tag mit Publikum. Ganz nebenbei hatte sich eine Gruppierung von Occupy auf dem Gelände in der Nähe der Stadthalle versammelt, um gegen Mißstände auf den Kapitalmärkten zu demonstrieren. Doch es regnete. Der Himmel war grau und hielt sich bedeckt, als in den frühen Morgenstunden der Venustransit, der letzte in diesem Jahrhundert, zwischen Erde und Sonne ohne Aufsehen vonstatten ging. 

 

        

 

Dennoch ist auch eine Wandlung gegenüber früheren Jahren spürbar, nicht mehr so viel Aktionskunst oder Performances finden statt, sondern blanke Terminal-Atmosphäre schleicht sich ein. Wie wenn jemand auf Warteposition gesetzt ist. War da nicht tatsächlich ein Flughafenprojekt außerhalb von Kassel... Räume, die nur sagen wollen: ich bin das pure air condition feeling.

Luftverwirbelungen blasen den Besucher direkt an, wenn der durch die offene Doppeltür eintritt. "Das ist ein Kunstwerk" lautet lapidar die Antwort. Woher der Luftstrahl kommt, bleibt zunächst verborgen. Eine weiße Wand, wohinter sich eine Art Box befindet, ist wohl Ursache für das Gebläse. Luftzirkulation ist immer ein wesentlicher Bestandteil auf Flughäfen und Flugzeuge sind turbinenbetrieben. Damit ist gewisser Lärm verbunden. In der Kunst ist Lärm eine hervorragende Quelle, um Assoziationen auszulösen. Am besten geeignet ist störender Lärm.  Hier ist das aktuelle Programm zu 100 Tage  documenta 13

Funktionales präsentiert sich, ausgeklügelte Maschinen von Thomas Bayrle sind positioniert und rotieren. Verfügen über eigenwillige Dynamiken. Schwarze Rahmen auf dem Fußboden auf denen stehen müßte, bitte nicht übertreten, die Verletzungsgefahr ist gegeben. Das Totale und Absolute überwiegt, weil das einfach nur Maschinengewalt ist.

Wie wenn sich ein Reisender über das Flughafenterminal begibt, damit in ein inneres Getriebe schaut. Dennoch offen und freundlich präsentiert sich die hohe Ausstellungshalle nahe dem Fredericianum.

Das Flugzeugbild zieht sich nach bekanntem Muster von Thomas Bayrle aus vielen kleinen Flugzeugen zusammen, um ein großes Bild zu ergeben. Eine Marathon-Leistung akribischer Zeichenarbeit, wie es scheint.

Großformatige hochkantige Leinwände kommen auch anderswo auf der Documenta vor, womit sich die Malerei wieder ein Stück vom Terrain zurückerobert. Abdeckungen auf den Vitrinen verhindern den Einblick. Erst wenn die textile Fläche angehoben wird, werden klecksartige abstrakte Farbstudien sichtbar. Alles schon gesehen, alles schon gehabt, könnte man meinen.

Documenta zieht sich an. Wie seit je her ist diese Documenta durch eine Mischung moderner Kunst gegenüber Werken der klassischen Kunst geteilt, so dass neben einem halbdunklen Salvador Dali durchaus elektronisch gesteuerte Videoinstallationen Platz finden, die über Beamer an die Wand projiziert werden. Wie überhaupt die Beamertechnik regelrechten Einzug auf der Documenta gefunden hat. Das ist zum einen bequem und zum anderen effektiv.

Die Durchmischung moderner Kunst neben klassischen Exponaten entspricht Konzepten, wie sie der Schweizer Rémy Zaugg vor Jahren entwickelte. Die von einem eigenwilligen architektonischen Nebeneinander ausgehen, was bei Zaugg farblich abgestimmt ist. Dadurch wird das Museum zur Innenarchitektur.

Utopische Architekturstudien nach dem Tsunami in Japan stellen sich gegen die Gefahren im Meer. Neue Siedlungskonzepte zeigen wie zukünftiges aufgestellt ist. Diese Studie haben Architekten und Designer entwickelt, die persönlich vor Ort waren und das Desaster nach der Katastrophe in Japan verfolgt haben. I-City strukturiert sich aus dem Off-Ton und nimmt Natur als Grundlage, um zu einem System urbaner Entwicklungen beizutragen. Wegenetze, Anhäufungen menschlicher Besiedlungen und das Gebirge stehen im Kontext  des Gebildes.

Brückenbauten auf denen belebte Märkte angeordnet sind, Häuserreihen die in Hanglage nahe der Berge und nicht mehr unmittelbar an der Küste liegen, um der Tsunami-Gefahr auszuweichen. Ein Vorgang der Bewußtwerdung, erst referiert dann wird offeriert.

Also auch auf dieser Documenta werden Bezüge aus der Architektur verarbeitet, wenn eine parallel zueinander verlaufende Videosequenz tonal ergänzt unendliche Treppenhauswelten vorführt, die vom Escher-Plakat mit der Treppe ins Unendliche inspiriert sein könnten. Sanfte Basstöne bestimmen die Musik, ein englischsprachiger Begleittext vervollständigt die Szene. Das wirkt als Kaleidoskop für die Sinne  -  auch nicht neu aber effektiv, wenn abbruchreife Häuser nochmal zum Zweck der Visualisierung auferstehen dürfen. Das ist Film ohne Anfang und Film ohne Ende, wie das Treppenbild von Escher. Nur die Konsequenz im Videobeitrag ist eine andere, nämlich das präsentieren baulicher Anlagen, womit der Bezug zur Architektur geschaffen wäre. Menschen tauchen nur selten oder beiläufig auf, zumindest in dieser Sequenz des Beitrags.

Die Architektin und Designerin Michiko Okano aus Tokio, hier links auf dem Bild, berichtete über ihre Erfahrungen, die sie vor Ort gesammelt hat und welche städtebaulichen Folgerungen für das Projekt in einer Utopie geschlossen werden.

Diese Einsicht ist betrüblich, denn architektonische Welten entfernen sich vom Menschen, sind materialbestimmt. Der Mensch ist das Ziel und sollte Inhalt einer jeden künstlerischen  Aussage bleiben.

Plastische Holzbüsten auf metallene Regale gestellt, von oben nach unten zu betrachten mit verzerrten Mündern. Aber imposant ist das Interieur. Eine Kunst die etwas für sich hat und Geschmack findet. Die Köpfe sind nicht schlecht und behalten Ausdruck. Sie verlieren auch nicht, wenn sie aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Daneben finden sich historische Zeitschriften und Bücher auf den Regalen meist unterhalb der Büsten. Ein Sammelsurium der Kunstwissenschaften unterlegt mit Lektüre zum Blättern und Nachschauen.

 

Kulturexpress  ISSN 1862-1996

vom 07. Juni 2012