Auf Verlangen bitte Türe öffnen! documenta 13
in den Startlöchern
Foto: Maass
Kunst zu haben ist wie ein großer
See, der mal kleinere und mal größere Wellen schlägt. Was in Kassel
gerade passiert, ist der Auftakt in eine neue Saison der
Kunstbeflissenen von Juni - September. Ein internationales Publikum
hat sich zur Documenta angemeldet, entsprechend viel ist los gewesen
am 6. Juni, dem ersten Tag mit Publikum. Ganz nebenbei hatte sich
eine Gruppierung von Occupy auf dem Gelände in der Nähe der
Stadthalle versammelt, um gegen Mißstände auf den Kapitalmärkten zu
demonstrieren. Doch es regnete. Der Himmel war grau und hielt sich
bedeckt, als in den frühen Morgenstunden der Venustransit, der
letzte in diesem Jahrhundert, zwischen Erde und Sonne ohne Aufsehen
vonstatten ging.
Dennoch ist auch eine Wandlung gegenüber früheren Jahren spürbar, nicht mehr so viel Aktionskunst oder Performances finden
statt, sondern blanke Terminal-Atmosphäre schleicht sich ein. Wie
wenn jemand auf Warteposition gesetzt ist. War da nicht tatsächlich ein Flughafenprojekt
außerhalb von Kassel... Räume, die nur sagen wollen: ich bin das
pure air
condition feeling.
Luftverwirbelungen blasen den Besucher direkt an,
wenn der
durch die offene Doppeltür eintritt. "Das ist ein Kunstwerk" lautet
lapidar die Antwort. Woher der Luftstrahl kommt, bleibt zunächst
verborgen. Eine weiße Wand, wohinter sich eine Art Box befindet, ist
wohl Ursache für das Gebläse. Luftzirkulation ist immer ein wesentlicher
Bestandteil auf Flughäfen und Flugzeuge sind turbinenbetrieben.
Damit ist gewisser Lärm verbunden. In der Kunst ist Lärm eine
hervorragende Quelle, um Assoziationen auszulösen. Am besten
geeignet ist
störender Lärm. Hier ist das aktuelle Programm zu 100 Tage
documenta 13
Funktionales
präsentiert sich, ausgeklügelte Maschinen von Thomas Bayrle
sind positioniert und rotieren. Verfügen über eigenwillige Dynamiken.
Schwarze Rahmen auf dem Fußboden auf denen stehen müßte, bitte nicht übertreten,
die Verletzungsgefahr ist gegeben. Das Totale und Absolute überwiegt,
weil das einfach nur Maschinengewalt ist.
Wie
wenn sich ein Reisender über das Flughafenterminal begibt, damit in
ein inneres Getriebe schaut. Dennoch offen und freundlich
präsentiert sich die hohe Ausstellungshalle nahe dem Fredericianum.
Das Flugzeugbild zieht sich nach
bekanntem Muster von Thomas Bayrle aus vielen kleinen Flugzeugen
zusammen, um ein großes Bild zu ergeben. Eine Marathon-Leistung
akribischer Zeichenarbeit, wie es scheint.
Großformatige
hochkantige Leinwände kommen auch anderswo auf der Documenta vor,
womit sich die
Malerei wieder ein Stück vom Terrain zurückerobert. Abdeckungen auf
den Vitrinen verhindern den Einblick. Erst wenn die textile Fläche
angehoben wird, werden klecksartige abstrakte Farbstudien sichtbar.
Alles schon gesehen, alles schon gehabt, könnte man meinen.
Documenta zieht sich an. Wie seit je her
ist diese Documenta durch eine Mischung moderner Kunst gegenüber Werken der klassischen
Kunst geteilt, so
dass neben einem halbdunklen Salvador Dali durchaus
elektronisch gesteuerte Videoinstallationen Platz finden, die
über Beamer an die Wand projiziert werden. Wie überhaupt die
Beamertechnik regelrechten Einzug auf der Documenta gefunden hat.
Das ist zum einen bequem und zum anderen effektiv.
Die Durchmischung moderner
Kunst neben klassischen Exponaten entspricht Konzepten, wie sie der
Schweizer Rémy Zaugg vor Jahren entwickelte. Die von einem eigenwilligen
architektonischen Nebeneinander ausgehen, was bei Zaugg farblich
abgestimmt ist. Dadurch wird das Museum zur Innenarchitektur.
Utopische Architekturstudien nach dem
Tsunami in Japan stellen sich gegen die Gefahren im Meer. Neue
Siedlungskonzepte zeigen wie zukünftiges aufgestellt ist. Diese
Studie haben Architekten und Designer entwickelt, die persönlich vor
Ort waren und das Desaster nach der Katastrophe in Japan verfolgt
haben. I-City
strukturiert sich aus dem Off-Ton und nimmt Natur als Grundlage, um
zu einem System urbaner Entwicklungen beizutragen. Wegenetze,
Anhäufungen menschlicher Besiedlungen und das Gebirge stehen im
Kontext des Gebildes.
Brückenbauten auf denen belebte Märkte
angeordnet sind, Häuserreihen die in Hanglage nahe der Berge und nicht
mehr unmittelbar an der Küste liegen, um der Tsunami-Gefahr
auszuweichen. Ein Vorgang der Bewußtwerdung, erst referiert dann
wird offeriert.
Also auch auf dieser Documenta werden
Bezüge aus der Architektur verarbeitet, wenn
eine parallel zueinander verlaufende Videosequenz tonal ergänzt unendliche Treppenhauswelten
vorführt, die vom Escher-Plakat mit der Treppe ins Unendliche
inspiriert sein könnten. Sanfte Basstöne bestimmen die Musik, ein
englischsprachiger Begleittext vervollständigt die Szene.
Das wirkt
als Kaleidoskop für die Sinne - auch nicht neu aber
effektiv, wenn abbruchreife Häuser nochmal zum Zweck der
Visualisierung auferstehen dürfen.
Das ist Film ohne Anfang und Film
ohne Ende, wie das Treppenbild von Escher. Nur die Konsequenz im
Videobeitrag ist eine andere, nämlich das präsentieren baulicher
Anlagen, womit der Bezug zur Architektur geschaffen wäre. Menschen
tauchen nur selten oder beiläufig auf, zumindest in dieser Sequenz
des Beitrags.
Die Architektin und Designerin Michiko Okano
aus Tokio, hier links auf dem Bild, berichtete über ihre Erfahrungen, die
sie vor Ort gesammelt hat und welche städtebaulichen Folgerungen für
das Projekt in einer Utopie geschlossen werden.
Diese Einsicht ist betrüblich, denn architektonische Welten entfernen sich vom
Menschen, sind materialbestimmt. Der Mensch ist das Ziel und sollte
Inhalt einer jeden künstlerischen Aussage bleiben.
Plastische Holzbüsten auf metallene Regale
gestellt, von oben nach unten zu betrachten mit verzerrten
Mündern. Aber imposant ist das Interieur. Eine Kunst die etwas für
sich hat und Geschmack findet. Die Köpfe sind nicht schlecht und behalten Ausdruck.
Sie verlieren auch nicht, wenn sie aus verschiedenen Perspektiven
betrachtet werden. Daneben finden sich historische Zeitschriften und
Bücher auf den Regalen meist unterhalb der Büsten. Ein Sammelsurium
der Kunstwissenschaften unterlegt mit Lektüre zum Blättern und
Nachschauen.