Die folgende Untersuchung versucht anhand von Bremerhaven und Rostock ein
Bild nachzuzeichnen, für das, was typisch an diesen Städten ist. Dabei soll
ausdrücklich die Authentizität der zwei ausgesuchten Hafenstädte erhalten
bleiben. Insofern handelt es sich bei diesem Buch um eine Art Stadtführer
mit höherem Anspruch. Durch den intellektuellen Hintergrund wird der
Anspruch an den Leser erhöht.
Helmuth Berking ist Soziologe an der
TU-Darmstadt, zu dessen Schwerpunkten zählen Globalisierungstheorien,
kulturelle Globalisierung und Urban Antropology.
Wenn dieses Buch in Romanform geschrieben wäre,
dann hätte der Roman von Michel Butor "Der Zeitplan" Pate stehen können. Die
Neuartigkeit der Ergebnisse prognostiziert eine solche Sicht jedenfalls.
Butor beschreibt in seinem Roman eine englische Industriestadt, was in
Tagebuchform aber mit veränderter zeitlicher Reihenfolge der
Tagebucheintragungen geschieht, so dass ein völlig verfremdetes aber
neuartiges Städtebild entsteht. Diesen Effekt der Neuartigkeit sehe ich auch
in "Hafenstädte" gegeben. Einerseits narrative Inhalte, Beschreibungen
von Bremerhaven und Rostock, anderseits werden diese durch wissenschaftliche
Analyse wieder verfremdet. Das kann anregend sein.
Die Krise der Hafenstädte jedenfalls scheint
unaufhaltsam beschlossen, das erklären zumindest wirtschaftliche Daten.
Sowohl Bremerhaven als auch Rostock haben große strukturelle Probleme zu
bewältigen. Eine andere überarbeitete Herangehensweise könnte vielleicht
helfen, um neue Perspektiven zu schaffen im Umgang mit diesen Städten. Die
kontinuierliche Beschäftigung ist notwendig. In jedem Fall ist ein Kraftakt
der eigenen Art gefordert.
Den Begriff "Habitus" auf Städte bezogen, wie in
"Eigenlogik der Städte" von Martina Löw und Helmuth Berking aus dem Jahre
2008 wurde terminologisch auch in "Hafenstädte" übernommen. Das ist der
Forschungsansatz von Helmuth Berking. Darüber hinaus werden andere Erklärungsansätze aufgezählt, um
daraus eine Definition und Erklärung zu
Hafenstädten allgemein zu formulieren. Der Versuch Rostock in einem anderen
Licht als Bremerhaven darzustellen, gelingt nur partiell und kann auch nicht
Sinn einer solchen Aufgabe sein. Beide Städte liegen im Norden von
Deutschland und verdienen als Küstenstädte gleichermaßen Aufmerksamkeit.
Denn als erstes müssen die Deutschen es leisten, diese Städte von der
Peripherie aus wieder in die Mitte des Landes zu holen. Mit Speck fängt man
bekanntlich Mäuse, könnte die Devise lauten.
Nicht zuletzt spielt die Architektur eine Rolle,
sie ist ein Spiegel der bestehenden Verhältnisse und drückt mit ihren
Mitteln sowohl Missstände als auch Fortschritte der Entwicklung aus.
Hafenstädte erfordern wie auch immer eine spezifische Architektur.
Stadt als Container wird
thematisiert, was ein betrübliches Signal für den
Städtebau ist. 1966 erreichte übrigens das erste
Containerschiff die bremischen Häfen. Was eine
folgenreiche Entwicklung nach sich zog. An
anderer Stelle wird Stadt als Sedimente bildend
charakterisiert. Und wieder an anderer Stelle ist
Stadt ein Fließraum. Ist das "Webmuster der kulmutativen Textur einer Stadt". Die Chicago School
der Theoriebildung erkennt in Stadt das
Laboratorium.
Umgangssprachlich wird
Stadtraum auch mit einem "Planeten" verglichen, der seiner
eigenen Umlaufbahn folgt und nach eigenen Regeln
aufgebaut ist. Das trifft vor allem auch auf Städte
mit weiten Stadträumen und großem Umland zu. Dazu
zählt sicherlich auch die Behauptung, die
Bevölkerung in Kalifornien und Wisconsins habe mehr
Ahnung von Bremerhaven als die Menschen in
Niederbayern, weil die Kreise mehr
Bremerhavener bis nach Amerika ziehen als an einen
anderen Ort.
An mehreren Stellen zitiert
Berking aus Umberto Ecos Semiotik-Theorie. Das was
der Schriftsteller Eco einmal über die Semiotik als
sprachliches Ausdrucksmittel formuliert hat, findet
bei Wissenschaftlern und Architekten immer noch
seine Gültigkeit. Eco veröffentlichte seine Semiotik
vor fast 40 Jahren.
In anderem Zusammenhang beeindruckt der Kinofilm "Le Havre" (2011) von
Aki Kaurismäki, der eine Hafenstadt am Kanal, Le Havre in Frankreich zum
Thema hat. Eine rührende Geschichte zwischen Verfolgung und menschlicher
Toleranz angesiedelt. Die Eigenheiten einer Stadt zu erzählen ist wie ein
Vermächtnis. Meist gehen solche Erzählungen nicht über Nostalgie und bloßes
Anekdoten erzählen hinaus. Im Kinofilm aber wird mit Witz und Ironie eine
gerechte Lösung gefunden.
Campus Verlag