Mit Blick auf eine Utopie die mitten im Gang ist. Die
Europäische Union mit siebzehn Euro-Staaten im Kreise der
Regierungschefs können keine rechtlich verbindlichen Beschlüsse
fassen, deshalb beschließen sie Sanktionen. So beginnt eine
Reihe mehrerer Essays, die im Suhrkamp Taschenbuch zusammengefasst
wurden und eben erst erschienen sind. Es soll der Versuch sein,
ganze Denkblockaden aus dem Weg zu räumen. Untersucht wird unter
anderem der Begriff der Menschenrechte, verglichen mit dem
genealogischen Begriff der Menschenwürde, wobei genealogisch
bedeutet, daß Erfahrungen verletzter menschlicher Würde eine
kämpferische Dynamik der Empörung fördern. Was im Vorwort
abstrakt gesagt wird, findet seine Umsetzung in den Protesten in
Griechenland, in Portugal und in den Auseinandersetzungen, die
durch Bewegungen wie Occupy:New
York, Frankfurt, Hamburg, Berlin und anderswo geradewegs
stattfinden trotz zunehmender Kälte und Härte draußen auf den
Straßen. Wo das hinführen soll, steht noch völlig offen. Zu
hoffen bleibt, daß diese Auseinandersetzungen nicht eskalieren und
der friedliche Charakter der Proteste die Oberhand behält
zumindest in Deutschland. "Stuttgart 21" steht bei Habermas als
Chiffre. Manche politische Parteien sollten die Ärmel
hochkrempeln, um offensiv für die europäische Einigung zu
kämpfen.
In einer Frage wird der Unterschied zwischen Bürgern
der europäischen Union mit dem der europäischen Völker
untersucht. Und weil das moralische Versprechen in juristischer Münze eingelöst
werden soll, zeigen Menschenrechte immer wieder ein Janusgesicht, das
zugleich der Moral und dem Recht zugewandt ist.
Die Habermas Beiträge wurden zuvor schon in verschiedenen
Zeitschriften und Zeitungen wie "Die Zeit", "Süddeutsche" und in der
"Deutschen Zeitschrift für Philosophie" von 2010 bis
2011 veröffentlicht, finden hier aber eine Qualität zum richtigen
Zeitpunkt parat zu sein, weil die Gesellschaft nach kompetenten
Antworten verlangt mitten in der Krise des Euros, der Euroländer
und der gesamten Weltwirtschaft. Was die Politiker nicht ohne
weiteres beantworten können, weil sie zu sehr verstrickt sind in
parteiliches. In so einem Fall kann nur der Philosoph und
Soziologe helfen. Habermas,
der vor vielen Jahren eine "Theorie des kommunikativen Handelns"
verfasst hat, ist vielleicht derjenige, der dies am besten kann.
Was nur ein Hinweis sein soll, um mit den Veränderungen einige
Antworten auf viele Fragen zu geben.
Habermas versucht einer Perspektive, die besagt, es gäbe kein
europäisches Volk und daher sei die politische Union
auf Sand gebaut, etwas entgegenzusetzen, indem er meint die
politische Fragmentierung in der Welt und in Europa stehe im
Widerspruch zum systemischen Zusammenwachsen einer
multikulturellen Weltgesellschaft und blockiere nur Fortschritte
der verfassungsrechtlichen Zivilisierung. Er beruft sich auf den
Lissabon-Vertrag mit dem ein Stück des Weges gegen die Blockade
schon zurückgelegt sei.
Das Zeit-Interview: "Nach dem Bankrott" nimmt zusehends an
Brisanz zu. Habermas antwortet, "was mich am meisten beunruhigt,
ist die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit, weil Kosten
die sozialen Gruppen am härtesten getroffen haben. Und am Euro
entscheidet sich das Schicksal der europäischen Union." Wird das
zerbrechen oder nicht?
Zäsur,
Generationswechsel und eine neue Indifferenz folgen, um
damit "entschärftes Krisenbewußtsein"
zu erzeugen. Er sieht aber auch ein Wiederentdecken des
deutschen Nationalstaates. Damit ist demoskopischer Wandel
gefordert.
Aus dem Inhalt:
Vorwort
Das Konzept der Menschenwürde und die realistische Utopie der
Menschenrechte
Die Krise der europäischen Union im Lichte einer
Konstitutionalisierung des Völkerrechts - Ein Essay zur
Verfassung Europas
I. Warum Europa heute erst Recht ein Verfassungsprojekt ist
II. Die Europäische Union vor der Entscheidung zwischen
transnationaler Demokratie und postdemokratischem
Exekutivföderalismus
III. Von der internationalen und kosmopolitischen Gemeinschaft
Anhang: Das Europa der Bundesrepublik
I. Nach dem Bankrott. Ein Interview
II. Am Europa entscheidet sich das Schicksal der Europäischen
Union
III. Ein Pakt für oder gegen Europa?
Zur Verfassung Europas
Ein Essay
von Jürgen Habermas
edition Suhrkamp, Berlin
2. Auflage, November 2011
130 Seiten, broschiert
Größe: 20 x 12,2 x 2,2 cm
Gewicht: 250g
ISBN: 978-3518062142
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