Zur Verfassung Europas. Ein Essay (2011) von Jürgen Habermas erschienen im Suhrkamp Verlag

Die Bestandsaufnahme der aktuellen politischen und ökonomischen Situation innerhalb der Europäischen Union nimmt Habermas zum Anlaß, um eine scharfe Analyse zum rechten Zeitpunkt abzuliefern.

Buchumschlag: Suhrkamp

Mit Blick auf eine Utopie die mitten im Gang ist. Die Europäische Union mit siebzehn Euro-Staaten im Kreise der Regierungschefs können keine rechtlich verbindlichen Beschlüsse fassen, deshalb beschließen sie Sanktionen. So beginnt eine Reihe mehrerer Essays, die im Suhrkamp Taschenbuch zusammengefasst wurden und eben erst erschienen sind. Es soll der Versuch sein, ganze Denkblockaden aus dem Weg zu räumen. Untersucht wird unter anderem der Begriff der Menschenrechte, verglichen mit dem genealogischen Begriff der Menschenwürde, wobei genealogisch bedeutet, daß Erfahrungen verletzter menschlicher Würde eine kämpferische Dynamik der Empörung fördern. Was im Vorwort abstrakt gesagt wird, findet seine Umsetzung in den Protesten in Griechenland, in Portugal und in den Auseinandersetzungen, die durch Bewegungen wie Occupy:New York, Frankfurt, Hamburg, Berlin und anderswo geradewegs stattfinden trotz zunehmender Kälte und Härte draußen auf den Straßen. Wo das hinführen soll, steht noch völlig offen. Zu hoffen bleibt, daß diese Auseinandersetzungen nicht eskalieren und der friedliche Charakter der Proteste die Oberhand behält zumindest in Deutschland. "Stuttgart 21" steht bei Habermas als Chiffre. Manche politische Parteien sollten die Ärmel hochkrempeln, um offensiv für die europäische Einigung zu kämpfen. In einer Frage wird der Unterschied zwischen Bürgern der europäischen Union mit dem der europäischen Völker untersucht. Und weil das moralische Versprechen in juristischer Münze eingelöst werden soll, zeigen Menschenrechte immer wieder ein Janusgesicht, das zugleich der Moral und dem Recht zugewandt ist.

Die Habermas Beiträge wurden zuvor schon in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen wie "Die Zeit", "Süddeutsche" und in der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie" von 2010 bis 2011 veröffentlicht, finden hier aber eine Qualität zum richtigen Zeitpunkt parat zu sein, weil die Gesellschaft nach kompetenten Antworten verlangt mitten in der Krise des Euros, der Euroländer und der gesamten Weltwirtschaft. Was die Politiker nicht ohne weiteres beantworten können, weil sie zu sehr verstrickt sind in parteiliches. In so einem Fall kann nur der Philosoph und Soziologe helfen. Habermas, der vor vielen Jahren eine "Theorie des kommunikativen Handelns" verfasst hat, ist vielleicht derjenige, der dies am besten kann. Was nur ein Hinweis sein soll, um mit den Veränderungen einige Antworten auf viele Fragen zu geben.

Habermas versucht einer Perspektive, die besagt, es gäbe kein europäisches Volk und daher sei die politische Union auf Sand gebaut, etwas entgegenzusetzen, indem er meint die politische Fragmentierung in der Welt und in Europa stehe im Widerspruch zum systemischen Zusammenwachsen einer multikulturellen Weltgesellschaft und blockiere nur Fortschritte der verfassungsrechtlichen Zivilisierung. Er beruft sich auf den Lissabon-Vertrag mit dem ein Stück des Weges gegen die Blockade schon zurückgelegt sei.

Das Zeit-Interview: "Nach dem Bankrott" nimmt zusehends an Brisanz zu. Habermas antwortet, "was mich am meisten beunruhigt, ist die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit, weil Kosten die sozialen Gruppen am härtesten getroffen haben. Und am Euro entscheidet sich das Schicksal der europäischen Union." Wird das zerbrechen oder nicht? Zäsur, Generationswechsel und eine neue Indifferenz folgen, um damit "entschärftes Krisenbewußtsein" zu erzeugen. Er sieht aber auch ein Wiederentdecken des deutschen Nationalstaates. Damit ist demoskopischer Wandel gefordert.

Aus dem Inhalt:
Vorwort
Das Konzept der Menschenwürde und die realistische Utopie der Menschenrechte

Die Krise der europäischen Union im Lichte einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts - Ein Essay zur Verfassung Europas
I. Warum Europa heute erst Recht ein Verfassungsprojekt ist
II. Die Europäische Union vor der Entscheidung zwischen transnationaler Demokratie und postdemokratischem Exekutivföderalismus
III. Von der internationalen und kosmopolitischen Gemeinschaft

Anhang: Das Europa der Bundesrepublik
I. Nach dem Bankrott. Ein Interview
II. Am Europa entscheidet sich das Schicksal der Europäischen Union
III. Ein Pakt für oder gegen Europa?

 

Zur Verfassung Europas
Ein Essay
von Jürgen Habermas
edition Suhrkamp, Berlin
2. Auflage, November 2011
130 Seiten, broschiert
Größe: 20 x 12,2 x 2,2 cm
Gewicht: 250g
ISBN: 978-3518062142

 

Titelseite

vom 25. November 2011