Der
Roman fließt in einer Schreibrichtung
holprig wie
ein Rinnsal unentwegt seinen Weg entlang.
Beinahe zerfließend, weil die Widrigkeiten des
Lebens in vielen Dingen dem entgegenstehen.
Diese werden mit Leichtigkeit
überschritten. Noch bevor der Leser bemerkt wo
er sich befindet, ist er längst am Erzählort in
Russland angekommen. Dadurch wird, von hier bis
dort, eine unglaubliche Entfernung überbrückt,
so als wäre das keine Entfernung. Svenja Leiber
schreibt aus der Ferne als wäre es ihr zu Hause.
Der Roman spielt in dem erfundenen Ort Schipino.
Aber es ist kein locus amoenus, der
sich vor den Augen abspielt. Die Autorin speist
ihren Roman aus einer eigenständigen Weltsicht.
Es ist ein Makrokosmos der Dinglichkeit und
Widerstände, die sich dem Leser eröffnen. Die
Handlung besteht aus vielen einzelnen Details,
lauter Verstrebungen wie in einem
weit verzweigten Geäst. Morastig und
moosbewachsen, bisweilen unaufgeräumt ist die
häusliche Umgebung. Die legendäre russische
Braunmalerei hätte ihr wahres Motiv in Schipino
gefunden. Einige Dadschen die kleine Fenster
haben, hinter denen nach
Sonnenuntergang die Lichter brennen, um
eine einladende Stimmung in der Ferne zu verbreiten.
Dort ist ein Gemüsegarten mit frischem
Blattwerk. Nebenan hängt die Hängematte. Ein
umgebogenes Eisenstück ist anstelle eines
Türgriffs eingesetzt. Annes Geburtstag steht
bevor, gefeiert wird in kleinem Kreis.
Das kann im Grunde jedes Dorf in der Weite
Russlands sein. Landschaftlich ist
der Ort jedenfalls nicht genau zu lokalisieren. Was hier
zählt, ist das zwischenmenschliche. Der Ort
lebt von seinen Protagonisten und seinen
Beschwerlichkeiten. Das heißt Eintauchen in eine
ländliche Umgebung. Beinahe aufopferungsvoll
beschreibt die Autorin dieses Tun. Svenja Leiber
ist Russland Fan, das ist gleich spürbar
geworden und das sagt sie mit Demut. Eine
Eigenschaft, die sie an den Menschen bewundert, die sie in
Russland kennengelernt hat. Denn sie
ist Deutsche und zugereist.
Ein Protagonist des Romans ist Jan Riba. Er hat
sein Büro in Deutschland verlassen, um in den
Zug nach Moskau zu steigen. Er will seinen
Freund Viktor besuchen und den russischen Sommer
genießen. Was er dabei erlebt ist hier erzählt.
Jan und Viktor gehen zusammen nach Schipino, um
sich häuslich einzurichten. Die anderen, das
sind Wassili, der launische Forscher sowie der
glatzköpfige Pawel. Die dritte ist die dünne
Anna. Tolik mit dem Klavier, Darja, die in ihrer
Kammer Kleider näht und Lilja, die wie ein
flüchtiger Gast in den Holzhäusern ein und aus
geht.
Svenja Leiber erklärte zu ihrem Roman, zuerst
sei eine Frau die Hauptperson gewesen, dann sei
Jan Riba dazugekommen. Es gibt mit Lilja eine 2.
Hauptfigur, was sich in einer parallelen
Geschichte entwickelt. Die Bezeichnung
Reiseroman lehnt die Autorin ab, vielmehr
handelt es sich um eine Konfrontation mit dem
Leben in Russland. Warum die Hauptfigur ein Mann
geworden ist, das sei eine besondere Aufgabe für sie
gewesen. Riba sei der Mann in ihr.
Geschrieben wie ein Abenteuerroman im
mittelalterlichen Sinne und um das Weggehen in
die Fremde geht es. Die Idee zu dem Buch sei ihr
bei der Lektüre von Wolfram von Eschenbachs "Parzifal"
gekommen, den sie während eines Urlaubs an der
Nordsee gelesen habe. Es sei jedoch kein Roman
der Abenteuer schlechthin, sondern innerliche
Abenteuer sind entstanden, die sich wie eine
Suchbewegung fortbewegen.
Die
Lesung mit Svenja Leiber am 7. August in der
LiteraturLounge des Frankfurter Hauptbahnhof
wurde von Martin Maria Schwarz moderiert, der in
der Lesung wenig klares blitzen sah. Sie habe
nicht vorgehabt etwas zu verheimlichen,
konstatiert die Autorin. Sie komme vom Arbeiten
aus der Lyrik. Doch dafür gäbe es keinen
Begriff, was Romanlyrik sei. Es geht ihr darum,
die Lyrik in den Roman hineinzuziehen. Deshalb
wäre besser gewesen, wenn auf dem Buchumschlag
Prosa statt Roman gestanden hätte. Moderator
Schwarz schlägt den Begriff "prosaisches
Gemälde" vor, der jedoch auch nicht als
feststehende Gattung gültig ist.
Schipino, das ist ein Kunstwort, welches in Russland
spielt. Die Russlanderfahrungen der Autorin
wurden verarbeitet, wie ein Kompass der nach
Osten zeigt. Womit nicht allein der russische
Osten angesprochen sein soll, sondern das
Transzendente generell Erwähnung findet.
Schipino
von
Svenja Leiber
Schöffling & Co.
Verlagsbuchhandlung
1. Auflage, Frankfurt am
Main 2010
208 Seiten, gebunden
Größe: 21,2
x 13,5 x 2,2 cm
Gewicht: 268g
ISBN:
978-3895612060