Die
Lesung am 11. Mai organisierte die
Goethe-Uni im Casino-Gebäude auf dem Campus
Westend. Zahlreiche Dozenten und Gelehrte lasen
gemeinsam aus dem zweiten Buch der Trilogie. Das
Programm verlief nach einer bestimmten
geregelten Abfolge, indem die Beteiligten
nacheinander ans Mikrofon traten und neben
Zitaten diverser Autoren auch aus Genazinos Buch
lasen. Im Hintergrund der Bühne auf Großleinwand
lief eine Diaserie, die im Zusammenhang zur
Lesung steht und sich nach einer gewissen Zeit
im Turnus wiederholte. Der Autor selbst war
nicht anwesend, sondern sollte zeitgleich an
einem anderen Ort aus seinem Buch lesen. Die
Moderation im Casino übernahm Wolfgang Schopf,
der die Veranstaltungsreihe mit "Hauslesungen"
aus dem Peter Suhrkamp Archiv nach wie vor
organisiert. Nach dem Umzug ist mittlerweile das
verlagseigene Bürohaus in der Lindenstraße in
Frankfurt abgerissen worden. Die Bauarbeiten
sind im Gange. An gleicher Stelle soll ein
Wohnhaus entstehen.
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Gelesen
wurde aus Wilhelm Genazinos Manuskripten
und Korrespondenzen, was unter dem
Vorzeichen der Stiftung stand, obwohl
Suhrkamp nicht selbst veröffentlicht
hat. Hier zählen die Bezüge zu klassisch
modernen Autoren, die offen gelegt
wurden, wie Franz Kafka, Robert Walser
und Siegfried Kracauer. Die kamen hier
zur Sprache, wie schon in der Lesung
tags zuvor. Eine Herleitung derselben
ist deshalb nicht abwegig. Über deren
Werke der Literaturgeschichte erschließt
sich dem Leser der Zugang zur
zeitgenössischen Literatur. Im
Mittelpunkt stehen die
Angestelltenverhältnisse, von denen es
in Frankfurt viele gibt. In den 1970er
Jahren, als Genazinos Roman geschrieben
wurde, gab es einen regelrechten Boom.
An
erster Stelle steht nicht das
Familienglück, wenngleich es vorhanden
ist. Denn es dient der Manifestation
aller Erdenbürger. Menschen aller
Kontinente schaffen sich die Basis, um
dem politischen Kalkül die Gegnerschaft
zu nehmen. |
Abriss des früheren
Suhrkamp Verlagshauses in der
Lindenstraße in Frankfurt, aufgenommen
am 06. Mai 2011, Foto: Maass |
Wenn die Beschäftigung mit dem Klientel aus dem
Dienstleistungssektor immer auch ein wenig
einseitig verläuft, weil es um die Befriedung
einer gesellschaftlichen Minderheit geht, die in
Frankfurt zwar sehr stark vertreten ist, aber
letztlich nur sich selbst betrachtet und darauf
aus ist, den eigenen Horizont auszubilden. Auf
die Problematik Arbeiterschaft und
Angestelltendasein wurde schon hingewiesen.
Bisher gab es nur
wenig Überschneidungen zu anderen
gesellschaftlichen Gruppierungen: Musiker,
Künstler, Arbeitslose, Arbeiter, Randgruppen der
Gesellschaft, Don Quixotes, das interessiert die
Frankfurter nur am Rande, weil kein Platz in
Häusern, Türmen und Palästen ist. Die
Isolierung ist damit vorprogrammiert. Vielleicht hat die
internationale Finanzkrise geholfen, die
Positionen ein wenig zu verändern. Denn was
Generationen vor sich her getragen haben bedarf
neuer Strukturen, die auch anderen, die im
gesellschaftlichen Wandel nicht erkannt werden,
mehr Toleranz entgegenbringt.
Abschaffel jedenfalls gehört in
eine andere Zeit, ihn betrifft das Leben jetzt
nicht unbedingt. Gibt er uns Einblicke in
diejenigen Verhältnisse, die für jeden
Frankfurter auch in der Gegenwart gelten können
und vielleicht nützlich sind, darüber Bescheid
zu wissen. Wer kennt den Theaterplatz? Das
Bahnhofsviertel, Hauptwache B-Ebene,
Sachsenhausen oder die Kleinmarkthalle. Lauter
Orte und Lokalitäten in Frankfurt, wie sie schon
von Abisag Tüllmann fotografisch festgehalten
worden sind und worüber der Roman Auskunft gibt.
Archiv Peter Suhrkamp
Stiftung
Frankfurt liest ein Buch! vom
02. bis 15. Mai 2011
Die "Frankfurter Morgenzeitung"
vom 16.11.1924 berichtet in einer Überschrift
über Langeweile. Der Mann im grauen Flanell, den Abschaffel vertritt, ist nicht erst seit
Genazinos Roman bekannt. Den gibt es schon
länger, es gäbe eine Reihe der
Romanfiguren, die sich in diesem Bild wiederfinden.
Kafkas Gestalten sind genauso wie Michael
Endes "Momo" damit behaftet, indem graue
Herren tun und walten. Brechts K., Herr Keuner
verfügt über ähnliche Züge, die auf den
Zeitfaktor als etwas graues anspielen. Das
gehört doch der Vergangenheit an und scheint
bewältigt zu sein?
Der Name Abschaffel soll von
einem Straßennamen herstammen, womöglich in
Mannheim, wo der Autor mehrere Jahre seiner
Jugend verbracht hat. Zu finden ist dieser im
Stadtplan jedoch nicht. "Die Wirklichkeit ist
eine Konstruktion" lautete ein Satz, der während
der Lesung vorkam. Abschaffel ist zum Leben
erwacht um sich herumschauend, beschreibend und
weitergehend.
Die Vortragenden zitierten nicht
nur aus einem Roman, auch aus anderen Büchern wurde zitiert, vor
allem jene die in den 1970er Jahren auf
Bestsellerlisten standen, wie:
Günter Grass, Der Butt; Lili Palmer,
Der rote Rabe, Ephraim Kishon, Kain &
Abel.
Erinnerungen an eine
Unterhaltungsliteratur die Geltung hatte: Rainer Kunze, Die wunderbaren Jahre;
Sandra Paretti, Das Zauberschiff; Erica
Jong, Angst vorm Fliegen; Brigitte
Schwaiger, Wie kommt das Salz ins Meer;
Liv Ullmann, Wandlungen; Emile Ajar,
Du hast das Leben noch vor dir und andere
mehr.