Erst
Ende der 1960er Jahre fand ein
gesellschaftlicher Wandel statt. Nicht zuletzt
ausgelöst durch die 68er Bewegung, die auch in
Frankfurt am Main merkliche Spuren hinterlassen
hat. Abschaffel selbst, der Romanheld, ist nicht
unmittelbar betroffen von dieser Bewegung,
zumindest war ihm deren Existenz nicht bewußt.
Der Roman ist der Moderne zugewandt, kann damit
aber nicht mehr das klassische Bild der Epoche
erfüllen. Denn spätestens seit 1960 war die
Klassische Moderne vorüber. Zu einer der letzten
ist vielleicht Max Frisch zu zählen, der mit
seinen Protagonisten auch
schon nicht mehr dazugehört. Schließlich folgt
eine Epoche, die sich Postmoderne nennt und sich
damit immer noch der Klassischen Moderne
bedient. Kennzeichen ist aber die Ironisierung
einzelner Elemente daraus. Abschaffel die
Postmoderne zu unterstellen, wäre jedoch
deplaziert. Es waren die Jahre in denen die
ersten Großraumbüros in Deutschland entstanden.
Das Vorbild kam aus Holland. Das neue Design
häufig orangefarben mit typischen Rundungen,
abgeleitet aus der Pop-Kultur wurde
in das Industrie-Design der Zeit aufgenommen und
wirkte sich aus. Das Büro, um welches es im
Roman gehen soll, ist in einer Spedition
angesiedelt, was nicht immer und an jeder Stelle
beim Lesen erkennbar bleibt.
Die Moderne war ausgefüllt, zu
viele Kunstschaffende hatten sich der Strömung
zugewandt, es konnte nichts neues mehr geben.
Außerdem bestand der Ruf nach Veränderung, nicht
zuletzt durch das Kriegsende und Fortschritt in
der Technik verursacht. Auch Genazino erkennt
seinen Romanhelden als Modernen an, der sich der
neuen Technik verpflichtet fühlt und die
Erfahrung durch Zersplitterung und
Zersetzung in sein Wesen aufnimmt. "Abschaffel
ist zerklüftet von der Moderne". Der rote Faden
im Roman bleibt ernst. Allzu ernstes und trockenes
wird jedoch durch satirische Elemente
relativiert, wie wenn der Protagonist bemerkt:
"Tarzan als Beruf", der sich von Liane
zu Liane durch die Baumwipfel schwingen will,
sich seiner Entfremdung zu entblößen.
Ganz Frankfurt liest ein Buch, hat sich in diesem Jahr die Abschaffel-Trilogie
(C. Hanser Verlag) des Büchner-Preisträger
Wilhelm Genazino ausgesucht, der im Rahmen der
Veranstaltungsreihe am 10. Mai mit "Hütten und
Paläste II" aus seinem Buch vorlas.
Die Veranstaltung wurde von
Hauke Hückstädt, dem Leiter des Literaturhauses
moderiert. Einführende Worte
beschreiben die historische Bedeutung der
Roman-Trilogie, um damit auch ganz neue Leser zu
gewinnen. Es handelt sich um ein Stück
bedeutender Literatur im Umgang mit der Stadt
Frankfurt. Gastgeberin war Silke Hartmann, die
früher die Öffentlichkeitsarbeit im
Literaturhaus organisierte und jetzt an mehreren
Projekten Kulturschaffender beteiligt ist:
Kulturperle und open books
Hier rechts im Bild neben
Wilhelm Genazino während der Lesung im
Heimischen sitzend. Zahlreiche Gäste waren
eingeladen und saßen gegenüber, hörten rund 50
Minuten die Lesung an. Es ist wohl sehr mutig
von der Gastgeberin die eigene Wohnung als
Veranstaltungsort vorzuschlagen. Ein
Beispiel das Schule machen sollte! Das könnte
ebenso für Kunstwerke gelten, die im privaten
Bereich aufgestellt und ausgestellt werden. Ein
Moment der Spannung und Neugier entsteht.
Natürlich steht die Kritik im Mittelpunkt, das
Werk, die Lesung, den Autor betrachten. Es ist
eine gewisse Taffheit notwendig, eine solche
Veranstaltung im eigenen Bereich zu
organisieren. Etwa 25 Personen passten in den
Raum hinein.
Das Publikum bestand aus
Mitgliedern und Förderern des Literaturhauses
und verhielt sich recht loyal. Das Ganze hatte
die Dimension einer Einweihungsparty mit dem
Unterschied der literarischen Teilnahme, im
Bewußtsein dadurch etwas im Gange zu halten.
Literarisch fortzuschreiten, denn Literatur
bewegt sich ständig fort. Geschrieben wird an
einsamen Orten, um durch das Druckwerk
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Der Autor hält sein Buch für
bedeutend, das ist erkennbar geworden.
Rückblicke und Gespräche mit dem Lektor Manthey
aus dem Rowohlt Verlag, wo der Roman 1977 zuerst
erschienen war, verdeutlichen das Gespräch. Im
frühen Roman sei auch schon der späte Genazino sichtbar,
wurde vermittelt. Seinen Roman legte er dem Lektor in Hamburg vor,
erst danach entstand eine Folge, was später zur
Trilogie wurde. Gerade in Frankfurt, dem Ort der Buchmesse,
gehört die Beschäftigung mit der Literatur zu
einer Art Lebenselixier. Am Schluß wurde noch verraten,
Genazinos neuer Roman "Wenn wir Tiere
wären" soll im September 2011 auf dem Buchmarkt
erscheinen.
Frankfurt liest ein Buch! vom
02. bis 15. Mai 2011
Eine weitere Lesung am 11. Mai
folgte ebenfalls auf den Spuren von Genazinos
Roman-Trilogie. "Die Inneneinrichtung seiner Langeweile"
wurde durch die Goethe-Uni im Casino-Gebäude auf
dem Campus Westend vorbereitet. Zahlreiche
Dozenten und Gelehrte lasen gemeinsam aus dem
zweiten Buch der Trilogie. Die
Programmgestaltung verlief nach einer
bestimmten geregelten Abfolge, indem die
Beteiligten nacheinander ans Mikrofon traten und
neben Zitaten diverser Autoren auch aus Genazinos Buch lasen. Im Hintergrund lief auf
der Großleinwand eine Diaserie, die im
Zusammenhang zur Lesung stand und sich nach
einer gewissen Zeit im Turnus wiederholte. Der
Autor selbst war nicht anwesend, sondern sollte
zeitgleich an einem anderen Ort aus seinem Buch
lesen.
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