Woher
kam diese Frau, woher nahm sie ihr Wissen und woher hatte sie die Kraft
und Kompetenz? Fragen zu denen der Band, der Teil einer umfangreichen
Editionsarbeit ist, eine Antwort gibt. Wer heute als junger Mensch
auf die Lebensgeschichte der Architektin, Widerstandskämpferin und
Sozialistin Karola Bloch stößt, entdeckt insbesondere eine Frau mit Mut
und Zivilcourage, so heißt es gleich im Vorwort. Die 1905 im polnischen Lodz geborene
Fabrikantentochter lernt schnell zu verstehen, wie schwer es ist als
Frau selbständig tätig zu sein. Wissenschaftlerinnen wie Marie Curie
waren eine seltene Ausnahme.
Der erste Beitrag von
Irene Scherer befaßt sich
in "Karola Bloch im Prozeß der historischen Emanzipation" mit den
Anfangsjahren. Sie schreibt dann über die seit 1932
eingeschriebene Studentin an der Technischen Hochschule in Berlin: "Die
Entwicklung neuer Raumkonzeptionen, die Einführung neuer
Konzeptionsverfahren wie Materialien bildeten zusammen mit funktionalen
Problemlösungen die Grundlagen zur Entwicklung einer Formensprache",
wobei das neue und funktionelle Bauen ziel- und richtungweisend war.
Dem voraus ging der schon mit der
Französischen Revolution angelegte Wandel hin zur Moderne und einer
immerwährenden Auseinandersetzung mit der Dualität von Körper und Geist,
dem Gegensatz von Natur und Zivilisation, dem Gleichgewicht von
Privatheit und Öffentlichkeit.
Karola Bloch (1905-1994) hatte eine Grundhaltung und entfaltete daraus ihre
Ideen weiter. Sie hieß eigentlich Piotrkowska und lernte ab 1927 den
Philosophen Ernst Bloch kennen. Dieser schrieb in diesen Jahren
über seine Gefühle für Karola in einem Brief an Siegfried Kracauer.
Kracauer wiederum war jemand, der sehr vielseitige Tätigkeiten ausübte. Er war
unter anderem Architekt und zählt zu
den Mitbegründern der Soziologie als eigenständige Wissenschaft.
Nach
einigen Studienjahren in Wien war sie in Berlin angekommen und lernte bei dem Lehrer Hans Poelzig, der kein Bauhäusler war,
sondern eine eigene Richtung vertrat, welche das deutsche Handwerk
stärken sollte, indem er sich einer anderen reformerischen Bewegung dem
Deutschen Werkbund zugewandt hatte. Nach der Machtübernahme durch die
Nazis mußte Karola Bloch aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in die
Schweiz gehen. Dort studierte sie an der Universität Zürich, wo sie 1934
ihr Studium der Architektur abschließen konnte, im gleichen Jahr in dem
sie Ernst Bloch heiratete. Die Emigration in die USA wird zwar nicht mit
einem eigenen Beitrag behandelt, ist aber überall präsent zu lesen,
insofern die bekannten Bauhaus Architekten wie Mies van der Rohe, Gropius
und Breuer ebenfalls dorthin emigriert waren. Außerdem bekam Karola
Bloch erste eigene Architekturaufträge, die zudem in der Zeitschrift
"Architectural
Forum" publiziert wurden.
Der gesamte Band erstreckt
sich über 392 Seiten, enthält zahlreiche s/w Abbildungen, nicht in allzu
guter Qualität, aber es sind auch technische Zeichnungen wie Grundrisse
und Ansichten dabei. Eigenartig ist eine Wiederholung derselben
Abbildung im gleichen Format nur in unterschiedlichen Beiträgen
wiedergegeben. Überwiegend steht das Biographische
im Vordergrund. An der Veröffentlichung waren mehrere Autoren beteiligt.
Der Band besteht aus 30 Aufsätzen, wovon etwa 15 Beiträge von Karola Bloch
selbst stammen. Darunter ist ein Brief an den Architekten Hannes
Meyer. Ein anderer Beitrag "Über die zweckmäßige Küche"
galt laut Herausgeber bisher als verschollen. Die SED hatte eine
Veröffentlichung nur anonymisiert zugelassen. Auszüge aus den
Originaltexten von Karola Bloch wurden im Buch abgedruckt. Das läßt
erahnen mit welchen Schwierigkeiten sie kämpfte, auf welchem Terrain
sich Karola Bloch bewegte in der Auseinandersetzung mit Kommunismus, DDR
und der Sowjetunion. Viel Erwähnung findet Rosa Luxemburg.
Weitere Beiträge bestehen
aus den Erinnerungen anderer Autoren sowie zeitgenössische, die sich
thematisch mit ihr als Architektin befassen. Es werden Themen aus der
Kunst gestreift. Der Beitrag von
Thilo Götze Regenbogen
"Karola Bloch und Ludwig Meidner. Freundschaft und Korrespondenz"
betrachtet den Expressionisten. Meidner fertigte verschiedene
Radierungen mit dem Portrait von Karola Bloch an. Ein anderer Beitrag
beschäftigt sich mit dem DDR Grafiker Carlfriedrich Claus. Nicht zuletzt
gilt ihr die Aufmerksamkeit als Sozialpädagogin, die sich reformerisch
in der Bundesrepublik Deutschland engagierte. Im Jahre 1961 verließ sie
die frühere DDR, um nach Westdeutschland überzusiedeln.
Beiträge sind
durchgehend mit Fußnoten versehen. Am Schluß findet sich eine Übersicht
der am Text beteiligten Autoren. Im Anschluß daran folgt ein
mehrseitiges Namensverzeichnis, das sich inhaltlich über den gesamten
Band erstreckt. Mehrfacherwähnungen haben Jürgen & Johanna Teller,
Wolfram Burisch oder Dieter Brusberg.
Eindrucksvoll beinahe liebevoll beschreibt der
Aufsatz von Anne
König "Der
Kindergarten der Leipziger Baumwollspinnerei. Auf den Spuren von Karola
Bloch" ein Bauprojekt in der Region um Leipzig. Karola Bloch
begutachtete bis 1957 im Auftrag der Deutschen Bauakademie
Kindergarten-Neubauten in der Republik. Sie beschreibt auch den T-förmigen Grundriss mit klarer Trennung zweier Gruppeneinheiten für je
30 Kinder. Eine Reihe der Kinderkrippen und -gärten wurde unter
Verwendung der Typenpläne von Karola Bloch erbaut. Ein 12seitiger
Beitrag mit zahlreichen Abbildungen ist mit "Grundrißschemas von
Einrichtungen für das Kleinkind" bezeichnet. Viele der Einrichtungen sind noch
heute in Benutzung.
Inhalt des Bandes:
Irene Scherer, Welf Schröter
Karola Bloch neu entdecken
Überraschende Dokumente und Eindrücke – Ein Vorwort
Irene Scherer
Karola Bloch im Prozess der historischen Emanzipation.
Kontinuität und Bruch im Leben einer eigenständigen Architektin
Jan Robert Bloch
Kann die Hoffnung lernen? – Thesen zu einer elementaren Frage
In Erinnerung an Karola Bloch
Frank M. Schuster, Volker Caysa
Auf den Spuren von Karola Bloch in Lodz – Versuch einer
Erkundung
Thilo Götze Regenbogen
Karola Bloch und Ludwig Meidner – Freundschaft und Korrespondenz
Francesca Vidal
Gedanken über den Weg der Architektin Karola Bloch
Welf Schröter
Architektin BDA Dipl.-Ing. Karola Bloch
Vorbemerkungen zur Wiederveröffentlichung von vier Aufsätzen
Karola Blochs aus den fünfziger Jahren der DDR
Dipl.-Ing. Karola Bloch
Grundrißschemas von Einrichtungen für das Kleinkind (DDR 1953)
Architektin BDA Dipl.-Ing. Karola Bloch
Das Kinderwochenheim "Zukunft der Nation"
der Leipziger Baumwollspinnerei (DDR 1955)
Karola Bloch
Zweckmäßige Küche (DDR 1959/61)
Dipl.-Ing. Karola Bloch
Wie man Warschau aufbaut (DDR 1953/55)
Karola Bloch
Der unkünstlerischste Naturalismus
Brief an Hannes Meyer
Anne König
Der Kindergarten der Leipziger Baumwollspinnerei
Auf den Spuren von Karola Bloch
Ingrid Sonntag
Freundschaft als Refugium
Briefe zwischen Ernst & Karola Bloch und Jürgen & Johanna Teller
Jürgen und Johanna Teller
Glückwunsch zum 86. Geburtstag
Brief an Karola Bloch
Jürgen und Johanna Teller
"Dem Altern kann man halt nur mit Heiterkeit begegnen."
Brief an Karola Bloch
Thilo Götze Regenbogen
"Bewegt-bewegend" – Carlfriedrich Claus und Ernst & Karola
Bloch:
Korrespondenzen 1960–1985
Karola Bloch
"Ich leide sehr unter der Einsamkeit"
Aus drei Briefen an Carlfriedrich Claus nach dem Tode Ernst
Blochs
Karola Bloch
"... aber primär bin ich, nicht er"
Ein Brief an Carlfriedrich Claus
Karola Bloch
Verbindung von Grafik und Philosophie
Briefe an Carlfriedrich Claus
Francesca Vidal
Bindungen
Aus dem Briefwechsel zwischen Ernst und Karola Bloch
mit Wolfram Burisch
Karola Bloch
Trubel zu Blochs 90. Geburtstag
Brief an Wolfram Burisch vom 26. Juni 1975
Karola Bloch
Ein markanter Satz
Brief an Wolfram Burisch vom 16. Februar 1976
Anne Frommann
"Das Auge des Gesetzes sitzt im Gesicht der herrschenden Klasse"
(Ernst Bloch) – Karola Bloch und der Verein "Hilfe zur
Selbsthilfe"
Klaus Kufeld
Gelehrte Liebe
Karola Bloch
Gedenkworte zum Tod von Alfred Kantorowicz
Dipl.-Ing. Karola Bloch
Entscheidend ist vor allem die Stimme der Werktätigen
Brief an das "Neue Deutschland" zu den Ereignissen am 17. Juni
1953
Karola Bloch et al.
Freiheit für die Fantasie
Erklärung ehemaliger DDR-Bürger (1987)
Karola Bloch
"Nie sollen wir vergessen, was die Kriege der Menschheit angetan
haben"
Rede zum 8. Mai 1985
Karola Bloch
Dadek und Izio
Ein Brief an Jan Robert Bloch
Welf Schröter
Karola Bloch und das Trauma der Ermordung ihrer Familie
Briefe aus dem Warschauer Ghetto
Angaben zu den Autorinnen und Autoren
Personenverzeichnis
Angaben zum Buch:
Irene Scherer, Welf Schröter (Hg.)
Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin
Eine Neuentdeckung des Wirkens der Bauhaus-Schülerin
2010, 392 Seiten, br.,ISBN 978-3-89376-073-2
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