Goldene Palme in Cannes 2010


UNCLE BOONMEE erinnert sich an seine früheren Leben (Thai/GB/D/E/F 2010)

Regie: Apichatpong Weerasethakul

Spieldauer: 114 Minuten

Kinostart: 30 September 2010

Uncle Boonmee leidet an Nierenversagen. Seine letzten Tage will er auf seinem Landgut im Nordosten Thailands verbringen, umgeben von Verwandten und Freunden, die ihn lieben. Dort taucht plötzlich der Geist seiner verstorbenen Frau auf, um für Boonmee zu sorgen. Auch sein lange verschollener Sohn kehrt zurück – in Gestalt eines Affenmenschen. Nachdem Boonmee über die Ursachen seiner Krankheit nachgedacht hat, bricht er mit seiner Familie zu einer Reise durch den Dschungel auf. Die endet in einer geheimnisvollen Berghöhle - dort, wo Boonmees erstes Leben begann.

 Text und Foto: movienet   

Erklärung des Regisseurs: Der Film ist eine Hommage an meine Heimat, aber auch an eine besondere Art Kino, mit der ich aufgewachsen bin. Ich glaube an Seelenwanderungen zwischen Menschen, Pflanzen Tieren und Geistern. Die Geschichte von Uncle Boonmee erzählt vom Verhältnis zwischen Mensch und Tier, zugleich überwindet sie die Linie, die beide trennt. Die Erinnerung der Zuschauer erweitert sich um eine neue, wenn auch simulierte Schicht. In dieser Hinsicht funktioniert Filmemachen so ähnlich, als würde man künstliche vergangene Leben erschaffen. Ich möchte die Eingeweide dieser Zeitmaschine erforschen. Vielleicht sind dort geheimnisvolle Kräfte am Werk, die nur darauf warten, enthüllt zu werden. Manche Praktiken, die als Schwarze Magie abgetan wurden, sind inzwischen ja auch wissenschaftlich bestätigt worden. Für mich bleibt Filmemachen eine Quelle, deren Energie wir noch nicht wirklich genutzt haben. So, wie wir auch die inneren Vorgänge im Gehirn noch nicht wirklich erklärt haben.


Mich interessiert auch, wie Kulturen und Arten zerstört und ausgerottet werden. Weil ein Militärputsch den Nationalismus angefacht hat, stehen sich in Thailand in den letzten Jahren Ideologien unversöhnlich gegenüber. Es gibt nun eine staatliche Behörde, die sich als Moral- Polizei versteht. Unterdrücken will sie „unangemessene“ Aktivitäten und die Inhalte, um die es dabei geht. Auch damit steht die Geschichte Uncle Boonmees und seines Glaubens natürlich in Verbindung. Er verkörpert etwas, das im Verschwinden begriffen ist; etwas, das zerfällt wie jene alten Kinos, Theater und Schauspiel-Stile, die nicht mehr in unsere Landschaft passen.

 

Website zum Film: www.uncle-boonmee.de

 

Cast
Boonmee...................................THANAPAT SAISAYMAR
Jen...........................................JENJIRA PONGPAS
Tong.........................................SAKDA KAEWBUADEE
Huay (Boonmee’s Wife)..............NATTHAKARN APHAIWONK
Boonsong (Boonmee’s Son)....... GEERASAK KULHONG
Roong (Jen’s friend in hotel)........ KANOKPORN THONGARAM
Jaai (Boonmee’s chief worker).....SAMUD KUGASANG
Princess Wallapa.......................MONGKOLPRASERT
Soldier .....................................SUMIT SUEBSEE
Farmer .....................................VIEN PIMDEE

Crew
Produced, written and directed by.. Apichatpong Weerasethakul
Producers..................................   Simon Field
...................................................  Keith Griffiths
....................................................Charles de Meaux
................................................... Apichatpong Weerasethakul
Co-Producers .............................. Hans W. Geissendoerfer
....................................................Luis Miñarro
....................................................Michael Weber
Associate Producers....................  Caroleen Feeney
....................................................Joslyn Barnes
..........................................  Danny Glover (Louverture Films)
............................................Holger Stern (ZDF/Arte)
Directors of Photography........Sayombhu Mukdeeprom
............................................Yukontorn Mingmongkon
............................................Charin Pengpanich
Production Designer...............Akekarat Homlaor
Sound Designer.................... Akritchalerm Kalayanamitr
Original Music ......................Koichi Shimizu

Interview Apichatpong Weerasethakul

 

Was ist für Sie das Besondere am Nordosten Thailands – und was hat Sie zu diesem Film inspiriert?

Vor ein paar Jahren, als ich im Nordosten lebte, bin ich der Geschichte von Uncle Boonmee begegnet. In der Nähe meines Hauses liegt ein Kloster und eines Tages erzählte mir der Abt von einem alten Mann. Er sei neu im Tempel, helfe dort aus und wolle Meditation lernen. Dieser Mann war Uncle Boonmee und irgendwann berichtete er dem Abt, dass er während einer tiefen Meditation seine früheren Leben gesehen habe. Sie liefen wie ein Kinofilm hinter seinen geschlossenen Augen ab. Er sah und fühlte sich als Büffel, als Kuh, sogar als körperloser Geist, der über die nordöstlichen Ebenen wanderte. Der Abt war beeindruckt, aber nicht überrascht, denn Boonmee war nicht der erste, der ihm so etwas erzählte. Von nah und fern hatte der Abt Geschichten von Dorfbewohnern gesammelt, die ihm von früheren Leben berichtet hatten. Später veröffentlichte er ein kleines Buch. Auf dem Einband stand: „Ein Mann, der sich an seine früheren Leben erinnern kann.“ Als ich auf dieses Buch stieß, war Boonmee leider schon viele Jahre tot.

 

Alle Ihre Filme enthalten stark autobiographische Elemente. Bei UNCLE BOONMEE ist das aber anscheinend weit weniger der Fall…

Verglichen mit dem Buch über Boonmee steckt in meinem Film sehr viel von mir. Beim Filmemachen musste ich erkennen, dass ich einfach nicht in der Lage bin, einer Vorlage treu zu bleiben. So habe ich nicht nur Boonmees frühere Leben verändert, ich habe ihn auch in den Hintergrund geschoben. Im Vordergrund stehen nun meine Stamm-Schauspieler Jenjira und Tong. Sie spielen die Zeugen, die das Sterben dieses namenlosen Mannes begleiten. Der Film dreht sich nicht um Boonmee, sondern um mein Verständnis von Reinkarnation. Auf ganz natürliche Weise hat sich das zu einer Liebeserklärung an das Kino entwickelt, mit dem ich aufgewachsen bin, eine Art von Kino, die stirbt oder schon tot ist. Und wieder mal hat sich mein Vater in diesen Film eingeschlichen. Er starb – wie Boonmee – an Nierenversagen. Die Gegenstände in Boonmees Schlafzimmer sind denen im Schlafzimmer meines Vaters nachempfunden.

 

Wieder einmal haben Sie sich dafür entschieden, mit ihren Stamm-Schauspielern zu arbeiten, ergänzt um zwei Laiendarsteller, die Uncle Boonmee und Huay spielen. Wie haben Sie die Besetzung für diesen Film ausgewählt? Stammen alle Schauspieler aus dem Nordosten Thailands?

Nur Tong kommt woanders her. Er ist der einzige, der nicht den Dialekt dieser Gegend spricht. Für mich ist Boonmee ein Namenloser. Aus diesem Grund kann ich diese Rolle nicht mit einem professionellen Schauspieler besetzen, der dem Publikum schon bekannt ist. Ich glaube, das Amateurhafte ist wichtig und angemessen, wenn man auf den Schauspiel-Stil des frühen Kinos abzielt. Beim Casting schaue ich mir Menschen aus allen möglichen Lebensbereichen an. Boonmee wird nun von einem Mann gespielt, der Metalldächer zusammenschweißt. Die Rolle seiner verstorbenen Frau Huay besetzten wir mit einer Sängerin.

 

Obwohl der Titel Ihres Films auf Uncle Boonmees frühere Leben Bezug nimmt, erklärt oder beschreibt er sie doch nie.

Ursprünglich hat das Drehbuch Boonmees frühere Leben relativ deutlich geschildert. Ich habe mich dann aber doch entschlossen, das der Vorstellungskraft der Zuschauer zu überlassen. Wenn man den Film gesehen hat, weiß man natürlich, dass Boonmee ein Büffel oder eine Prinzessin gewesen ist. Für mich aber könnte er jedes Lebewesen im Film sein: die Käfer, die Bienen, der Soldat, der Wels und so weiter. Er könnte sogar sein eigener Sohn sein, der in Gestalt eines Affengeistes erscheint, oder auch der Geist seiner verstorbenen Ehefrau. Auf diese Weise bekräftigt mein Film eine spezielle Verbindung von Kino und Reinkarnation. Für uns Menschen ist das Kino der beste Weg, um alternative Universen, andere Lebenswelten zu erschaffen.

 

Sie haben den Film zu einer Hommage an eine bestimmte Art Kino erklärt, das Kino Ihrer Jugend. An welches Kino denken Sie da? Thailändisches Kino?

Ich war alt genug, um noch die thailändischen Fernsehfilme mitzubekommen, die auf 16mm gedreht wurden. Sie entstanden in Studios mit starkem, direktem Licht. Die Texte wurden den Schauspielern souffliert, die sie dann mechanisch wiederholten. Die Monster blieben immer im Dunkeln, damit man nicht erkennen konnte, dass sie nur billig gemachte Kostüme trugen. Die Augen waren Rotlichter, so dass die Zuschauer diese Monster ausfindig machen konnten. Erst später habe ich die Möglichkeit gehabt, alte Horrorfilme anzuschauen, da drehte ich schon selbst. Sicher haben mich auch thailändische Comics beeinflusst. Ihre Plots waren einfach, Geister gehörten immer dazu. So ist das auch heute noch.

 

Im Film gibt es deutliche Wechsel von Tonfall und Stil. Manche Szenen wirken fast komisch und ironisch, andere wieder sehr ernst und bewegend.

Ich liebe es, wenn meine Filme wie Bewusstseinsströme funktionieren, die von einer Erinnerung zur nächsten fließen. Es ist wichtig, dieses Driften herauszustellen, weil es in UNCLE BOONMEE eben um Reinkarnation, um wandernde Geisterwesen geht. Sie haben von Ihrem Interesse an Seelenwanderung gesprochen. Das kommt einem vor allem in den Schlussszenen des Films in den Sinn. Ist es das, was mit Jen und Tong geschieht? Diese Szene macht sich auf sanfte Weise über die Zeitebenen und andere Bezugspunkte des Films lustig. Ich hoffe, dass es am Ende die Zuschauer sind, die in eine andere Wirklichkeit befördert werden.

 

Geister und fantastische Wesen tauchen auch in Ihren früheren Filmen auf, etwa in „Tropical Malady“. In UNCLE BOONMEE aber stehen sie im Mittelpunkt.

Der Film konzentriert sich auf den Glauben an Wesen aus anderen Welten, die wirklich an unserem Leben teilhaben. Mich fasziniert die Tatsache, dass uns die Kindheit immer lebendiger erscheint, je älter wir werden. Die Neugier auf Geister und andere Welten - vielleicht auch die Angst vor ihnen - erwacht, wenn wir jung sind und wenn wir sterben.

 

Ihre jüngsten Arbeiten haben eine deutlich politischere Ausrichtung. Die Standbild-Sequenz in UNCLE BOONMEE unterstreicht das. Sie unterscheidet sich stark vom Rest des Films.

Auch die Erfahrungen, die ich auf dem Weg zu diesem Film gesammelt habe, wollte ich in ihn einfließen lassen. UNCLE BOONMEE ist Teil des „Primitive Projects“. Es versucht, einige meiner Erinnerungen an den Nordosten Thailands festzuhalten. Dafür arbeitete ich mit Jugendlichen eines Dorfes, das auf eine Geschichte voller politischer Gewalt zurückblickt. Wir bauten ein Raumschiff, entwickelten Scripts und drehten auch den Kurzfilm „A Letter To Uncle Boonmee“. Dabei haben wir schon gezielt nach dem Haus im Dorf gesucht, das wir im späteren Kinofilm verwendet haben. Für mich waren die Erfahrungen des Dorfes immer mit Boonmees Existenz verknüpft. Es ist ein Ort, wo Erinnerungen unterdrückt werden. Ich möchte das mit dem Mann verbinden, der sich an alles erinnert. In den Foto-Sequenzen des Films vermischen sich meine Erinnerungen mit denen Boonmees.

 

Apichatpong Weerasethakul wurde 1970 in Bangkok geboren, wuchs aber in Khon Kaen im Nordosten Thailands auf. Er schloss die Universität von Khon Kaen mit einem Bachelor in Architektur ab, erwarb dann einen Master of Fine Arts als Filmstudent am Art Institute von Chicago. 1994 begann er Filme und Kurzvideos zu drehen. Seinen ersten Kinofilm stellte er im Jahr 2000 fertig. Seit 1998 zeigt er auch Installationen und Ausstellungen in vielen Ländern. Seine Werke sind oft indirekt mit Erinnerungsarbeit verbunden, die auf subtile Weise politische und soziale Fragen aufwirft. Apichatpong bleibt unabhängig von Thailands Filmindustrie. Experimentelle und unabhängige Filmarbeit fördert er durch seine Firma „Kick The Machine Films“, die 1999 gegründet wurde.

 

„Kick The Machine“ hat alle Kinofilme Apichatpongs produziert. 2008 startete er das „Primitive Project“, das aus mehreren Modulen besteht. Eines davon ist „Uncle Boonmee who can recall his past lives“. Ein Jahr später gab das Österreichische Filmmuseum eine Monographie zu Apichatpong und seinem Werk heraus. Seine Kunstprojekte und Kinofilme haben Apichatpong internationale Anerkennung und viele Preise eingebracht, darunter drei Auszeichnungen beim Filmfestival von Cannes: „Blissfully Yours“ gewann dort 2002 den Preis in der Reihe „Un Certain Reagrd“, „Tropical Malady“ bekam 2004 den Preis der Jury. Apichatpongs „Syndromes and a Century“ war der erste thailändische Film, den das Festival in Venedig für seinen Wettbewerb auswählte. Apichatpong lebt und arbeitet in Chiangmai, Thailand. Derzeit bereitet er sein nächstes Projekt vor, das sich dem Filmemacher und Schriftsteller Donald Richie widmet. Der 86-Jährige Richie gilt als einer der besten Kenner des japanischen Films.

 

Kinofilme

2010 UNCLE BOONMEE ERINNERT SICH AN SEINE FRÜHEREN LEBEN (Lung Boonmee Raluek Chat)

2006 Syndromes and a Century (Sang Sattawat) 2004 Tropical Malady (Sud Pralad)

2003 The Adventure of Iron Pussy (Huajai Toranong) 2002 Blissfully Yours (Sud Sanaeha)

2000 Mysterious Object at Noon (Dokfar Nai Meu Marn)

 

Auswahl Kurzfilme

2009 A Letter to Uncle Boonmee 2008 Vampire/ Mobile Men

2007 Luminous People 2006 The Anthem 2005 Worldly Desires

 

Auswahl Installationen

2009 Primitive/Phantoms of Nabua

2007 Morakot (Emerald)/ The Palace/ Unknown Forces

2006 FAITH

2005 Ghost of Asia

2005 Waterfall

 

Das Primitive Project

„Uncle Boonmee who can recall his past lives“ ist als Teil des “Primitive Projects” konzipiert, das in der Provinz Isan im Nordosten Thailands angesiedelt ist. Neben diesem Film besteht es noch aus verschieden Arbeiten, die sich mit dem Leben von Jugendlichen im Dorf Nabua befassen. Dazu zählt „Primitive“, eine Installation auf sieben Bildschirmen, „Phantoms of Nabua“, eine Installation auf nur einem Bildschirm sowie der Kurzfilm „A Letter to Uncle Boonmee“. Darüber hinaus hat Apichatpong Weerasethakul in Zusammenarbeit mit der Mailänder Edizioni Zero das Buch „CUJO“ herausgegeben. Es enthält Dokumente und Fotografien, die mit dem „Primitive Project“ in Isan zusammenhängen. Die Installationen und Kurzfilme wurden in Auftrag gegeben vom Münchner Haus der Kunst, der Foundation for Art and Creative Technology (FACT) in Liverpool und von Animate Projects in London. In München und Liverpool wurde 2009 das „Primitive Project“ gezeigt. Unter www.animateprojects.com ist „Phantoms of Nabua“ permanent abrufbar. Alle Teile des „Primitive Projects“ wurden von „Kick the Machine Films“ und „Illuminations Films“ produziert.

 

llluminations Films
präsentiert
A Kick the Machine Films (THAILAND)
and Illuminations Films Past Lives (UK) Production


in Koproduktion mit
Anna Sanders Films (FRANCE)
The Match Factory (GERMANY)
GFF Geissendoerfer Film-und Fernsehproduktion KG (GERMANY)
Eddie Saeta, S.A. (SPAIN)


mit Beteiligung von
Fonds Sud Cinéma (FRANCE)
Ministère de la culture et de la communication CNC (FRANCE)
Ministère des Affaires Etrangères et Européennes (FRANCE)


gefördert von
World Cinema Fund (GERMANY)
The Hubert Bals Fund, International Film Festival Rotterdam (NETHERLANDS)
Office of Contemporary Art and Culture, Ministry of Culture (THAILAND)


in Zusammenarbeit mit
ZDF/Arte (GERMANY)
Louverture Films (USA)


und mit
Haus der Kunst, Munich (GERMANY)
FACT (Foundation for Art and Creative Technology) Liverpool (UK)
Animate Projects, London (UK)

 

 

Titelseite

vom 29. September 2010