Ausstellungsprojekt im Frankfurter Goethemuseum

 
W
ie stellt man Literatur aus?

Sieben Positionen zu Goethes "Wilhelm Meister" 
 

Die temporäre Backsteinmauer des Jean Luc Cornec umringt das Goethedenkmal in einem nicht geschlossenen Kreis. Die Leute sind aufgerufen sich hineinzubegeben.

 Foto: Maass   

Mit dem Wort ausstellen ist eigentlich schon alles gesagt, was sich im Goethemuseum abspielt. Alte Literatur auf neuen Pfaden präsentieren, haben sich die Kuratoren zum Ziel gesetzt. Das geschieht experimentell. Wie sich das äußert , was sich die Kuratoren ausgedacht haben, findet an drei Orten statt. Im ovalen Arkadensaal des Museums sind die sieben Positionen, die Projekte der Künstler aufgebaut. In der Speisekammer der Goethes im ersten Stock des historischen Gebäudes befindet sich eine Duftsammlung, deren Aufgabe ist, dem Besucher ein bestimmtes Flair zu suggerieren. Damit soll eine Umkehrung des Vorhandenen erreicht werden. Als drittes ist das Goethedenkmal zu erwähnen, das früher in der Taunusanlage seinen Platz hatte und jetzt mitten auf dem Goetheplatz vor dem Hintergrund der Frankfurter Skyline steht. Das Denkmal wird durch eine temporäre Mauer aus Backsteinen umringt. Ein Kunstwerk wie sich herausstellt, womit der Begriff des Ausstellens wieder ins Spiel gebracht wäre.

 

In Bezug auf die temporäre Mauer erweist sich ein französischer Künstler als Erschaffer des Bauwerks auf dem Goetheplatz. Schon der erste Eindruck vom Roman "Wilhelm Meister" brachte ihn dazu, Backsteine zu benutzen und zwar als Bremsklotz. Das klingt erst einmal negativ, aber in Wirklichkeit ist eine Bremse unerläßlich, damit man nicht in den Abgrund rast. Ganz abgesehen davon, ist eine negative Philosophie in Frankfurt nichts neues, wenn man an die negative und positive Freiheit bei Arthur Schopenhauer denken mag.

 

In einem Gespräch mit Ruth Fühner, sagte der Künstler Jean Luc Cornec: "Mein Turm ist ja einerseits im Bau - aber zugleich ist er schon eine Ruine".

 

"Wilhelm Meister" zählt wie Goethes "Wahlverwandtschaften" zu den großen Entwicklungsromanen der Epoche. Im frühen 19. Jahrhundert fand ein Umbruch auf dem Gebiet der Literatur statt. Es gibt eine Aussage im Roman von "Wilhelm Meister", wo er sagt, er wolle sich dem Druck seines bisherigen Leben entziehen - da ist das Prägende, das Prägen schon drin, erklärt der Künstler. Besonders gut sieht man das an dem isolierten Stein, dem Modul in der Ausstellung im Goethe-Haus - so ein Stein, der will etwas erzählen, jeder kann darauf etwas projizieren. Manche erinnert das an die Anfänge der Schrift.

 

Der Konzeptkünstler Jean Luc Cornec meint, ein Stein in einer Vitrine sei für ihn ein Paradox. Eigentlich wirft man mit Steinen, um Revolution zu machen, so wie 1968 auch in Frankfurt. So ist der Stein in der Vitrine fast eine Anspielung auf die, die den langen Gang durch die Institutionen angetreten haben und jetzt etabliert sind. Das erinnert auch an "Wilhelm Meister". Man könnte von ihm sagen, er verrät seinen Traum - oder, andersherum: er wird vernünftig. Und gehört von da an wie die 68er zu denen, die nicht mit Steinen werfen sollten, weil sie im Glashaus sitzen.

 

Irgendwann hat sich der Künstler, wie Wilhelm Meister auf Reisen  begeben, um jemanden zu finden der die Steine produzieren sollte. Er hat Ziegeleien in Belgien und Norddeutschland aufgesucht, manche waren zu teuer, die anderen wollten sich auf so einen Auftrag nicht einlassen. Es war die letzte, bei der es geklappt hat. Die Firma Deppe an der holländischen Grenze bei Nordhorn, der Besitzer fand das Projekt spannend und hat einen großzügigen Preis gemacht.

 

Jean Luc Cornec sagt: "Ich hatte die Arbeit schon fertig konzipiert, so wie sie jetzt da steht, als Turmgrundriss, Turmruine mit dem offenen Zugang - und dann les ich den Text noch mal, Wilhelm Meister, konkret über die Turmgesellschaft. Ich hatte den schon dreimal sehr aufmerksam gelesen, aber jetzt erst springt mir ein Satz ins Auge, der das alles wie von Zauberhand zusammenzufassen scheint: Zitat: "Er übersah den ganzen Ring seines Lebens, nun lag er leider zerbrochen vor ihm und schien sich auf ewig nicht schließen zu wollen."

 

Die Arbeit Cornecs besteht aus mehreren Elementen, drinnen und draußen. Womit ein genius loci angesprochen ist, wie zum Beispiel bei Gaston Bachelard erwähnt. Der Ort, der hier erfunden wurde, ist nicht soziologischer Natur, sondern phänomenologisch zu begreifen. Denn es ist ein Ort der Poesie. Das was draußen ist, ist spektakulär, das wird wahrgenommen, das lockt vielleicht die Menschen ins Goethehaus. Dort ist der isolierte Backstein in der Vitrine, kein Buch nur ein Stein. Obwohl immer von gewichtigen Büchern gesprochen wird. Selbst in der deutschen Nationalbibliothek schlummern in den Magazinen tief unter der Erde in den Regalen einzelne Backsteine neben Büchern, die sich lediglich dadurch auszeichnen, daß sie bedruckt sind. Die Sprache ist eben universell einzuordnen. Wie lange die Mauer stehen bleiben soll, ist nicht bekannt.

 

 

Titelseite

vom 06. September 2010