"Explorations
in architecture" liefert detaillierte Einblicke in ein
forschungsbedingtes Umfeld. Das Buch will mehr sein als nur
beschreibend, dabei sollen neue Denkansätze bei der
Vermittlungsarbeit zur Anwendung kommen. Was der Band
beschreibt, hat nicht mehr viel mit einem herkömmlichem
Unterrichtsablauf zu tun. Interdisziplinär geht es zu, um
verstärkt zu wissenschaftlich-technischen Resultaten zu
gelangen.
Die
technikorientierte Sicht kommt auch bei der Bebilderung zur Geltung, die
bisweilen wie bei einer Panoramasicht rundum folgt. Weil es sich aber
nicht um ein Raumfahrtprogramm handelt, das quasi im luftleeren Raum
oder Vakuum stattfindet, scheint mir der Begriff Umfeld passender zu
sein für die Vorgänge, die auf diese Weise eine neue Bedeutung bekommen.
Bemerkenswert ist
die Aufmachung des Bandes, der Bucheinband hat eine perforierte
Oberfläche, die abwaschbar ist. Verbunden mit einem auffaltbaren
Klappentext, auf diesem aufgedruckt befindet sich das
Inhaltsverzeichnis. Genau wie auf dem rückseitigen Klappentext das
Stichwortverzeichnis zu finden ist. Das ist insgesamt recht angenehm in
der Handhabung.
Das Papier der Buchseiten der Marke Munken Print ist leicht rauh,
weshalb die abgedruckten Abbildungen mit Fotografien von Moris
Mezulis nicht hochglänzend wirken. Zwischendrin finden sich jedoch
einige Fotoreproduktionen auch auf glänzendem Papier, so daß eine
Qualität der Abbildungen nicht gemindert ist.
Das Buch von Reto Geiser setzt sich aus vier
elementaren Teilen zusammen, die innerhalb einer Gliederung das gesamte
Buch durchlaufen und durch zusätzliche Beiträge ergänzt werden: Die
elementaren Bauteile des Buches lauten: A
Methodology; B
Networks; C
Didactics; D
Technology.
Mehrere Essays
erstellt von Stadtplanern, Technologiesoziologen,
Architekturtheoretikern geben dem neuen Umfeld einen erweiterten Sinn.
Im ersten Teil der Erkundungen in
Explorations findet sich
mit: "Stop Making Sense" ein Beitrag von Angelus Eisinger.
In Anlehnung an
Latours Vorstellungen will Eisinger die Architektur hier als Sequenz von
Übersetzungs- und Rückübersetzungsprozessen von Gesellschaft in
Architektur und Architektur in Gesellschaft verstanden wissen. Design
Research der Architektur steht somit in unmittelbarer Beziehung zur Gesellschaft.
Arbeiten von vier
Entwurfsstudios an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen in
Lausanne und Zürich sollen vorgestellt werden. Jede dieser Einheiten verkörpert ein
eigenständiges Verständnis von Forschung in der Architektur. Damit
werden unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, Perspektiven und
Motivationen ersichtlich, die für jedes Studio kurz umrissen seien.
Das
LAPA von Harry Gugger in Lausanne beschäftigt sich anhand
konkreter städtischer Situationen wie einem Stadtteil von Havanna
mit den Determinanten und Optionen des architektonischen Arbeitens.
Dabei bezieht es alle Maßstabsebenen ein – vom Baufeld einer
punktuellen Intervention bis hin zur Reflexion der gesamten Stadt.
Gleichzeitig vereint das Labor alle Phasen architektonischen
Arbeitens von der Erarbeitung eines umfassenden Verständnisses
urbaner Alltage bis zum Entwurf und seiner hypothetischen baulichen
Umsetzung. Forschung besteht also in der Integration der
systematisch erworbenen Kenntnisse in der Entwurfsarbeit und
deren bauliche Konkretisierung.
Das
Labor ALICE der Gruppe um Dieter Dietz situiert sich im Feld
der Interaktionen zwischen digitalen und analogen Manifestationen
des architektonischen Entwurfs. Die Gruppe fokussiert dabei auf das
Moment des Lernens als Konsequenz des Machens. Die wiederholte
Konfrontation der so generierten Modelle mit alternativen
Raumverständnissen erweitert über die Zeit die architektonische
Expressivität und konfrontiert sie gleichzeitig mit ihrem Kontext.
Das
MAS Urban Transformation in Developing Territories unter der
Leitung von Marc Angélil setzte sich in den vergangenen Jahren
verschiedentlich mit dem urbanen Alltag von Addis Abeba auseinander.
Ausgehend von einem heuristischen Verständnis von Städtebau als
„forms of negotiation“ legt es in mehreren Iterationen die lokalen
Produktionsprozesse urbaner Raumwirklichkeiten frei. So entsteht
einerseits ein Fundament für entwerferische Interventionen, die über
die notwendige Sensibilität für die Andersartigkeit dieser Realität
verfügen. Andererseits verdichten sich die vor Ort gemachten
Einsichten zu einem Verständnis für kontextuelle Bedingtheiten von
Planung, die eine Reichweite weit über den konkreten
Untersuchungsort hinaus besitzen.
Das
Studio von Fabio Gramazio und Matthias Kohler schließlich
untersucht mit seinen Manipulationen von Robotern das Verhältnis
zwischen digitalen Technologien, Architektur und Produktion. Dadurch
entstehen Entwürfe, die sich nicht mehr mit traditionellen
Fertigungsweisen umsetzen lassen, sondern nur mehr von entsprechend
programmierten Robotern gebaut werden können. So verkürzt der
Computer die Distanz zwischen Entwurf und Bauen und verankert
dadurch Technik und Produktion im unmittelbaren Einflussbereich des
Architekten.
Themen zur
Methodologie behandelt Sanford Kwinter in: "A Discours
on Method (for the proper conduct of reason and the search of efficacity
in Design)". Der Beitrag geht von der Annahme aus, das Leben
in einer Art Code gespeichert ist. Hierfür wurde zuerst der Begriff der
"negativen Entropie" eingesetzt, das noch bevor die Helixstruktur der
DNA durch Röntgenkristallographie entschlüsselt oder entdeckt worden
war.
Zu den
Netzwerktheoretikern zählen der französische Soziologe und
Philosoph
Bruno Latour und die Architektursoziologin Albena Yaneva mit
dem Essay "An Ant's view of architecture". Darin stellt sich das
Problem, wie mit einem Gebäude, das üblicherweise statischer Natur ist,
etwas wie Bewegung und Transformation hergestellt werden kann. Eine
serielle Fotoreihe dient als Beispiel, in der einzelne Bewegungsschritte
eines sich linear vorwärts bewegenden Objektes wie etwa beim Vogelflug
dargestellt sind. Das wird hier als der "euklidische Raum" bezeichnet,
der entweder subjektiv, humanisiert oder wissensbedingt ist und den
Gegenstand umgibt. Serielle Ereignisse lassen sich genauso auf Gebäude
übertragen. Schließlich wird eine Differenzierung bei der Wortwahl
vorgenommen, wenn Bilderserien durch den euklidischen Raum "rollen" oder
"gehen". Die Autoren weisen darauf hin, daß mit jeder Neuentwicklung der
Architekturzeichnung, das können neue Rendering Methoden bei CAD
Programmen sein, auch neue Problematiken entstehen. Zum Beispiel bei der
Umsetzung von der Zeichnung in ein dreidimensionales Modell kann dies
der Fall sein. Wobei die Multidimensionalität der Objekte immer mehr in
den Vordergrund gelangt bei der Entwicklung. Durch den "context" in dem
es steht, was ein ökologischer Zusammenhang sein kann, entsteht erst das
fließende oder transformierte Gebäude, das für sich gesehen statisch
bleibt. "Ant" bedeutet soviel wie Actor-Network-Theorie.
Themen zu
Didactics beschreiben Daniel Bisig und Rolf Pfeifer im
Beitrag: "Understanding by Design: The Syntetique approach to
Intelligence". Daraus geht hervor, daß Ergebnisse nicht mit einem
aktuellen Wissensstand enden, sondern durch Phänomene geprägt sind, die
auftauchen und das Bild verändern und vorantreiben. Es geht um
künstliche Intelligenz und darin um die Artefaktforschung, das heißt es
geht um die Funktionsfähigkeit der Einzelteile beispielsweise eines
Roboters, die immer noch Zeichen hoher Anfälligkeit mit sich tragen,
weshalb die Untersuchung künstlicher Intelligenzen ein junges und stets
umstrittenes Forschungsgebiet geblieben ist.
Zu Technology
findet sich ein Essay von Georges Teyssot wie "Architecture as
membrane" konfrontiert gleich mit zwei Hypothesen, indem "organloser
Köper" der nicht auf der Singularität seiner Autonomie beruht und
"Organismus" sich gegenübergestellt werden. Daraus resultieren
zahlreiche Reflexionen, die ein ganzes Bataillon an Namen und Werken aus
der Primär- als auch Sekundärliteratur heranziehen. So entstehen zwei
unterschiedliche und doch zusammenhängende Hypothesen zur Fragmentierung
des Körpers.
Eine dritte Gruppe
nach Gliederung und Essay sind einzelne Fallstudien, Historical Case
Studies. Dieser Teil besteht aus zwölf Beiträgen unterschiedlichster
Art und Autoren. Deane Simpson befaßt sich mit Rem Kohlhaas.
Der genaue Untertitel lautet: "Performative Modernities: Rem
Kohlhaas's delirious New York as inductive research", eine
Veröffentlichung aus dem Jahre 1978, die sich auf die späten 1970er
Jahre bezieht als historische Untersuchungen in Bezug auf Architektur
verstärkt aufkamen.
Das nächste Beispiel
von Kim Förster
hat die Bezeichnung: Alternative Educational Programs in
Architecture: The Institute for Architecture and Urban Studies.
Methodologische
Fallstudien wie der zweiseitige Beitrag: The Invention of the Urban
research Studio: Robert Venturi, Denise Scott Brown and Steven Izemour's
Learning from Las Vegas, 1972. Autor ist Martino Stierli.
Harry Gugger
und Carolin Stapenhorst gehören zum zuvor erwähnten LAPA (Laborataire de la production
d'architecture) und nennen ihren Beitrag: From City to Detail: The Sphere
of the Architect und müssen erkennen, die Sphäre des Architekten ist
eingeschränkt, deshalb hat LAPA versucht eine Methodik zu entwickeln,
die Studenten erlaubt, interdisziplinär zu forschen.
www.explorationsinarchitecture.ch
EXPLORATIONS IN ARCHITECTURE:
Teaching, Design, Research
Verlegt vom Swiss Federal Office of Culture,
Bern, Urs Staub
Herausgegeben von Reto Geiser
216 Seiten, 32,4x21,6 cm, über 370 farbige
Illustrationen,
mit Beiträgen von Angelus Eisinger, Sanford Kwinter, Bruno Latour, Rolf
Pfeifer, Georges Teyssot et. al.
Birkhäuser Verlag für Architektur,
Basel/Boston/Berlin
ISBN 978-3-7643-8921
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