"Dass es geschah ist verbürgt. Wie es geschehen ist, haben wir erfunden."


MAHLER AUF DER COUCH
(Österreich/BRD 2010)

Buch & Regie:  Percy Adlon und Felix Adlon

mit Barbara Romaner, Johannes Silberschneider, Friedrich Mücke, Eva Mattes, Karl Markovics, Lena Stolze

Spieldauer: 101 Minuten

Kinostart: 07. Juli 2010

Im Sommer 1910 sucht Gustav Mahler den Rat von Sigmund Freud. Denn das alternde Musikgenie plagt rasende Eifersucht: Ein Liebesbrief hat ihn wie ein Schlag getroffen - an ihn adressiert, aber für seine Frau Alma bestimmt. Der Absender, ein gewisser Walter Gropius, beschreibt darin seine Affären mit Alma in allen Einzelheiten. Mahler ist zerstört. Was weiß dieser Jüngling schon von ihm und seiner geliebten Alma, von zwei Menschen, die die Musik auf ewig verbunden und erfüllt hat? Mahler, der gefeierte Weltstar, bekommt keine vernünftige Note mehr aufs Papier. Der Besuch bei Freud soll helfen und fördert ganz Erstaunliches zu Tage. Die dramatischen Details einer gewaltigen Liebe.

 Text und Foto: Kinowelt

Ein Film so elegisch und melodramatisch nicht zuletzt wegen seiner Musik, die von Gustav Mahler komponiert wurde. An Viscontis Filmklassiker "Der Tod in Venedig" (1971) nach der Erzählung von Thomas Mann erinnernd. Aschenbach ist ebenfalls Komponist und fährt mit dem Passagierdampfschiff in die Bucht von Venedig ein. Der aufsteigende und sich verteilende Rauch aus dem Schornstein des Schiffes untermalt durch die Musik Gustav Mahlers, bringen etwas betörendes mit sich. Die Szene hat eine Analogie im neuen Film der Adlons in den Aufnahmen mit nebeldurchtränkten Tälern in den österreichischen Bergen. Die Geschichte erzählt sich fast im Nebenbei, obwohl die Handlung doch die Hauptsache ist. Gerade die Einzelheiten sind so wichtig, damit der Film nicht umkippt. Die Szenen im Wohnhaus, wo die Hauptakteure sinnigerweise zusammentreffen, verdeutlichen den freizügigen Umgang vor einem zumeist psychedelischen Hintergrund, der innerhalb dieser gesellschaftlichen Kreise gerade stattfindet. Die gesamte Wiener Moderne kommt so zum Vorschein. Natürlich geschieht dies angesichts der neuen Therapiemöglichkeiten Sigmund Freuds, der sich vorgenommen hat das Verhalten des Menschen zu entschlüsseln. Das erinnert in seiner Aufmachung alles ein wenig an die frühen 1970er Jahre, ebenfalls eine Zeit des Umbruchs in der psychedelische Erfahrungen zum Allgemeingut wurden.

 

  Inhalt:       

Gustav Mahler (Johannes Silberschneider, l) sucht Sigmund Freud (Karl Markovics, r) an seinem Urlaubsort in Holland auf.

 

Gustav Mahler, Komponist und Direktor der Wiener Hofoper, fährt um 1910 von Altschluderbach ins niederländische Leiden, um sich von Sigmund Freud helfen zu lassen. Denn neben einem schweren Herzfehler, einem abgehackten Gang und einem verhärmten Gesichtsausdruck plagt den Komponisten auch die rasende Eifersucht.

 

Walter Gropius (Friedrich Mücke)

 

Zu recht, wie Freud erfährt, denn Mahlers schöne, junge Frau Alma macht kein Hehl daraus, dass ihr Geliebter kein geringerer ist, als der junge Architekt Walter Gropius.

 

Nach einigen Analyse-Sitzungen, in denen per Rückblende die Geschichte von Mahlers Beziehung zu Alma erzählt wird, stellt sich dem Psychoanalytiker folgendes Bild dar: Alma ist mit 22 eine nicht nur attraktive und lebensfrohe, sondern ebenso selbständige, künstlerisch ambitionierte Frau, die sogar selbst komponiert. Ihre Liebe zu Mahler entspringt ihrer Suche nach einem Vaterersatz.

 

 
 

Alma Mahler (Barbara Romaner) im Streit mit ihrem Mann Gustav Mahler (Johannes Silberschneider).
 

So gibt Alma alles auf und ordnet sich dem selbstherrlichen Egomanen unter, der ein Weibsbild will und keinen „Kollegen“ an seiner Seite duldet. Hausfrau, Dienerin und Mutter zweier Kinder ist Alma. Nach fünf Jahren Ehe stirbt die ältere Tochter an Diphtherie und Freud bescheinigt Mahler, dass er Alma unterbewusst die Schuld daran gibt. Und Freud zwingt Mahler, noch genauer hinzusehen und Wahrheiten zu begreifen, die er aus Almas Mund stets verleugnet hat.

 

Er selbst trägt die meiste Schuld am Leiden seiner Frau und seinem eigenen. Denn er hat wissen müssen, dass es schief geht, eine so von Lebensfreude und Lust sprühende junge Frau in sein abgelegenes, egozentrisch-düsteres Arbeitsuniversum einzubinden.

 

Almas Ehebruch öffnet mit Freuds Hilfe also Mahlers Augen. Und obwohl er seine Anstellung als Operndirektor verliert, weil er bei Volk und Presse durch seine Arroganz immer unbeliebter wird, kann Mahler nun mit frischer, alter Kraft weiter komponieren. Alma behält Gropius als Liebhaber, bleibt aber bei Mahler, da sie befürchtet, ihn durch eine Trennung zu zerstören.

 

Mahler lebt nicht mehr allzu lange. Nach seinem Tode heiratet Alma den Architekten Walter Gropius.

 

Stab
Regie, Drehbuch: Percy Adlon, Felix Adlon
Produzenten: Eleonore Adlon, Burkhard Ernst, Konstantin Seitz
Bildgestaltung: Benedict Neuenfels, AAC/BVK
Schnitt: Jochen Künstler
Ausstattung: Bernt Amadeus Capra, Veronika Merlin
Kostüm: Caterina Czepek
Ton: Dietmar Zuson, Michael Etz, Zach Seivers
Maske: Christine Ziegler
Casting: Nicole Schmied

 

 

 

 

 

 

 

 

Besetzung
Gustav Mahler - Johannes Silberschneider
Alma Mahler - Barbara Romaner
Sigmund Freud - Karl Markovics
Anna Moll - Eva Mattes
Justine Mahler-Rosé - Lena Stolze
Walter Gropius - Friedrich Mücke
Anna von Mildenburg - Nina Berten
Alexander von Zemlinsky - Matthias Stein
Bruno Walter - Michael Dangl
Karl Moll - Karl Fischer
Max Burckhard - Max Mayer
Alfred Roller - Michael Rotschopf
Berta Zuckerkandl - Johanna Orisini-Rosenberg
Arnold Rosé - Simon Hatzl
Gustav Klimt- Manuel Witting
Franz Hirn - Daniel Keberle
Putzi und Gucki - Jolanda und Lotta Klaus
 

Format: 35mm / 1,85:1
Ton: Dolby Digital
FSK: freigegeben ab 12 Jahren

 

 

Esa-Pekka Salonen dirigiert das Schwedische Radio-Sinfonieorchester bei den Musikaufnahmen für "Mahler auf der Couch". Rechts im Bild Regisseur Percy Adlon.
 

Die Bedeutung der Musik für diesen Film

 

Was wäre Viscontis "Tod in Venedig" ohne das Adagietto aus Mahlers 5. Symphonie?

Das Drehbuch schildert die Auswirkungen der Affäre zwischen Alma und dem jungen Walter Gropius auf Gustav Mahler nicht nur mit Bildern und Worten, sondern vor allem auch durch Töne. Die Begegnung von Mahler und Freud bekommt ihre volle Wucht, Dimension und Bedeutung erst durch das Werk, das Mahler genau zu dieser Zeit, seinem letzten Sommer, komponierte, als er von Almas Ehebruch erfuhr. Es ist das letzte Musikstück, das er noch selbst vollendete, der erste Satz der 10. Symphonie. Die handgeschriebenen Hilferufe in der Partitur zeigen die Hilflosigkeit des verzweifelten Mannes.

 

Dieser Satz trägt alle Elemente in sich, die ein brillanter Filmkomponist für die Geschichte erfinden würde. Die bleiche, tödliche Stimmung der Niederlage, die sich aufbäumenden inneren Stimmen, Hoffnungsschimmer, Wutausbrüche, Folterung, Schmerz, Trostversuche, und plötzlich ein bohrender, riesiger Akkord, wie eine Felswand, aus dem das hohe “A” einer Trompete sticht. A für Alma.

 

Die junge Alma erfährt ihre Rechtfertigung durch die Musik. Denn sie war nicht nur Mahlers Frau, sie war auch sein Assistent, Notenschreiber, Kritiker und Beschützer. Der Film nimmt ihren Fall gegen die Anschuldigungen späterer Biografen, die aus ihr eine Alkoholikerin machten, deren einziges Ziel es war, Berühmtheiten in ihr Bett zu locken. Neun Jahre lang, von ihrem 22. bis zu ihrem 31. Lebensjahr, diente sie nur Mahler. Danach war sie ausgebrannt. Sie begann ein neues Leben, das sie berühmt und berüchtigt machte. Es gibt aber keinen Zweifel, dass wir ihr einen entscheidenden Anteil an Mahlers Entwicklung als Komponist verdanken.

 

Der 1. Satz der 10. Symphonie ist in Form einer Probe aufgenommen. Das heißt, der Satz wird in seine Bestandteile zerlegt, einzelne Stimmen und Instrumentengruppen herausgeholt, Tempi verlangsamt und gesteigert, und das Stimmen, “Abklopfen”, Abbrechen und andere probentypische Geräusche so benutzt, als ob Mahler selbst das Stück einstudiert. Außerdem nahm er noch das großartige Adagietto von Mahler’s 5. Sinfonie auf, weil Mahler genau dieses Adagietto Alma schenkte, nachdem er sich in sie verliebt hatte sowie das „Ruhevoll“, aus der 4. Symphonie, ebenfalls neu auf. Dadurch ist Mahler, der Komponist, durchgehend gegenwärtig. Esa-Pekka Salonen hat diese Probe dirigiert und für den Film eingespielt.

 

Gustav Mahler schrieb neun Symphonien (eine Zehnte blieb unvollendet), zwei große Vokal-Orchesterwerke – die Chorkantate „Das klagende Lied“ und das mit zwei Sängern bestückte „Lied von der Erde“ – und zahlreiche Liedkompositionen sowohl für Klavier- wie Orchester-Begleitung, darunter die Zyklen „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und „Kindertotenlieder“. In seiner Musik spiegelt sich die Mittlerstellung ihres Schöpfers zwischen Tradition und Zukunft exakt wider: In ihrem Formenkanon unzweifelhaft der Vergangenheit verpflichtet, weist sie in ihrer Sprache und mit ihren emotionalen Inhalten doch schon den Weg in das Neuland der expressionistischen, ja atonalen Musik der „Moderne“.

 

Eine deutsch-österreichische Koproduktion, produziert von Eleonore Adlon (pelemele FILM&STAGE)
und Burkhard Ernst, Konstantin Seitz (Cult-Filmproduktion) in Koproduktion mit Hans-Wolfgang Jurgan
(ARD Degeto), Hubert von Spreti (Bayerischer Rundfunk), Heinrich Mis (ORF) sowie Eberhard von
Junkersdorf (Bioskop).


Gefördert von der FFA, FFF Bayern, ÖFI, FFW und CineTirol.

 

www.mahleraufdercouch.de

 

 

 Nachtrag von Prof. Franz Willnauer  (auszugsweise)

 ... Objektiv lässt sich das Geschehen so zusammenfassen: Mahler war durch Richard Nepallek, einen Wiener Neurologen und entfernten Verwandten Almas, schon früher auf Sigmund Freud hingewiesen worden. Nach Ausbruch der Ehekrise im Gefolge des Briefes von Gropius an Alma und durch Mahlers Erkenntnis, dass Alma das Verhältnis auch weiter aufrechterhält, nachdem sie sich in einer Aussprache mit Gropius „für Mahler“ entschieden hat, fühlt er offensichtlich das Bedürfnis nach einer Beratung durch Freud, der sich damals an der holländischen Nordseeküste im Urlaub befindet. Mahler war in tiefe Verzweiflung gestürzt worden und reagiert – mit unzähligen Liebesbezeugungen als Zeichen seiner existentiellen Erschütterung. Daraus dürfen wir schließen, dass er zumindest einen Teil der Schuld an der Krise bei sich selbst suchte – und sich von Freud Aufklärung, besser: Entschuldung erhoffte.

 

Nepallek vermittelte das Treffen in Leiden, wo Freud zum Abschluss seiner Ferien einen Kollegen besuchte. Durch Mahlers verzweifelten, von einer Angina-Attacke samt Kollaps unterbrochenen Versuch, die Skizzen seiner Zehnten Symphonie vor dem Ferienende Anfang September fertig zu stellen, wurde der Termin telegrafisch mehrfach verschoben; er fand schließlich am Nachmittag des 26. August 1910 statt, unmittelbar nachdem Mahler nach 20stündiger Bahnfahrt in Leiden angekommen war.

 

In einem vierstündigen Gespräch, das die beiden laut Freuds Erinnerungen auf einem Spaziergang durch die von Grachten durchzogene Stadt führten, hat Freud, wie er an Reik schreibt, Mahler „analysiert und, wenn ich den Berichten glauben darf, sehr viel bei ihm ausgerichtet“. Offensichtlich verschwieg Mahler Almas Ehebruch vor Freud, denn, so Freud, „sein Besuch schien ihm notwendig, weil seine Frau sich damals gegen die Abwendung seiner Libido von ihr“ (also gegen sein sexuelles Desinteresse oder Versagen) „auflehnte... Ich hatte Anlass, die geniale Verständnisfähigkeit des Mannes zu bewundern... Es war, wie wenn man einen einzigen tiefen Schacht durch ein rätselhaftes Bauwerk graben würde.“ Was die beiden im Einzelnen besprochen haben, ist nicht überliefert.    

Nachtschatten sind verweht an einem mächt’gen Wort,

verstummt der Qualen nie ermattend Wühlen.

Zusammen floß zu einem einzigen Akkord

mein zagend Denken und mein brausend Fühlen.

 

Ich liebe Dich! – ist meine Stärke, die ich preis’,

die Lebensmelodie, die ich im Schmerz errungen.

O liebe mich! – ist meine Weisheit, die ich weiß,

der Grundton, auf dem jene mir erklungen.

 

Ich liebe Dich! – ward meines Lebens Sinn.

Wie selig will ich Welt und Traum verschlafen,

O liebe mich! – Du meines Sturms Gewinn!

Heil mir – ich starb der Welt – ich bin im Hafen!

27. Aug. 1910     Im Coupé auf der Rückkehr

 

 „bin fröhlich ... aus strohhalm balken geworden“, telegrafierte Mahler noch vor der Rückkehr nach Toblach an Alma. Freud hatte ihm wohl vor allem die Sorge genommen, dass der Altersunterschied zwischen ihm und Alma die eigentliche Ursache ihrer Entfremdung sein könnte.[...]

 

Titelseite

vom 03. Juli 2010